Kapitel 5 - Entsetzen

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Xenias p.o.v.

Entsetzt starrte ich Kilian an. Wahrscheinlich hätte ich sofort das Weite suchen sollen. Hätte flüchten sollen, solange noch die Gelegenheit bestand.
Aber ich konnte nicht, ich war wie gelähmt.
Noch immer war es, als könnte ich das Fell an meiner Handinnenfläche spüren, obwohl es doch nur für einen winzigen Moment da gewesen war.

Das war nicht menschlich, eindeutig nicht. Und eingebildet hatte ich mir das bestimmt nicht.
Weswegen nur zwei Möglichkeiten blieben:
Entweder war Kilian ein Hexer und hatte einen Zauber wirken wollen, der schief gegangen war und ihn schnell korrigiert.
Aber ganz ehrlich? Nicht mal in meinen Gedanken hörte ich mich überzeugend an.
Nein, ob ich wollte oder nicht, wahrscheinlicher war die zweite Möglichkeit....

Kilian war ein Werwolf.
Und gerade drauf und dran gewesen, sich zu verwandeln.

Ich wusste über Werwölfe bescheid, gehörte meine Familie doch auch zu denjenigen, die sie jagten.
Man hatte mich von frühester Kindheit an über diese monströsen Kreaturen aufgeklärt.
Sie mochten sich als harmlose Menschen verkleiden, aber im Inneren waren sie gnadenlose Ungeheuer.
Töteten alles und jeden, der sich ihnen in den Weg stellte oder auch einfach aus ihrer Lust am Morden.
Dinge wie Vernunft interessierten sie nicht.
Sie waren eine Gefahr für alle, die ihnen zu nahe kamen.
Nur ein toter Werwolf ist ein guter Werwolf, war das Motto der Hexensippe.

Aber Kilian....konnte er wirklich ein Werwolf sein?
Ich musste mich täuschen. Schließlich hatte er mir bisher noch keinen Schaden zugefügt.
Bisher.
Bisher waren wir ja auch die ganze Zeit unter Menschen gewesen. Ich dumme Kuh. Natürlich hatte er mir nichts angetan.
Wahrscheinlich plante er, mich in eine finstere, dunkle Ecke zu zerren, wo er mich zerfleischen konnte.
Unwillkürlich erschauerte ich ängstlich.
Ich spürte kaum, wie mein Atem schneller wurde, während mir weitere Horrorszenarien vor die Augen traten:

Kilian, wie er gefährlich auf mich herablächelte und ihm lange Krallen wuchsen, mit denen er durch mein Gesicht fuhr.
Kilian, wie er genüsslich mein Blut von seinen Lippen leckte und mich dann mit einem beängstigenden mordlüsternen Blick ansah.
Kilian, wie er mir einen Arm abbiss und darauf herumkaute, als handle es sich um ein leckeres Steak.

Gott, mir wurde immer übler zumute.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich angefangen hatte, zu zittern, bis Kilian mich plötzlich an den Schultern fasste.
Erschrocken zuckte ich zusammen und fokussierte meinen Blick, sah ihm in die Augen.
Sorge.
Ich hätte schwören können, dass er besorgt blickte.
Aber das musste ich mir einbilden. Ein Werwolf konnte so etwas doch gar nicht fühlen, oder?
Ein Werwolf verspürte nur zwei Dinge:
Mord- und Sexlust.

Oh Gott. Erst jetzt wurde mir etwas klar. Er würde mich gar nicht nur töten, nicht wahr?
Nein, vorher würde er mich bestimmt noch vergewaltigen....
Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße.
Wie sollte ich hier nur rauskommen?

"Xenia!", wieder zuckte ich zusammen und riss die Augen auf.
Kilian sah mich streng an. Was hatte das zu bedeuten? Er sah nicht zufrieden aus. Würde er mich jetzt gleich essen wollen?
"Xenia, jetzt hör auf, so eine Panik zu schieben.", knurrte er leise, mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht.
Aber warum? Meine Panik konnte ihm ja wohl kaum Schmerzen bereiten, oder? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn. Schließlich laben sich Werwölfe doch an der Panik und an der Angst ihrer Opfer.

"Xenia, ich tu dir nichts, okay?", versicherte er mir sanft.

Daraufhin entkam mir ein bitteres, leicht hysterisches Lachen.
"Das sagen sie alle, bevor sie die Frau vergewaltigen oder noch Schlimmeres."
Ich wollte stark klingen, heucheln, ich hätte keine Angst vor ihm, aber Mann, das ging ja Mal mächtig in die Hose.
Meine Stimme hatte noch nie so sehr gezittert.

With or Without youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt