Kapitel 49 - Die Zeit danach

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Xenia p.o.v.

Jener Moment am Samstag zwischen Kilian und mir hatte etwas verändert. Unsere Beziehung war tiefer geworden. Seitdem konnten wir kaum noch ohne den anderen sein. In der Schule verbrachten wir jedes kleine bisschen Zeit zwischen den Stunden miteinander und redeten über alles und nichts. Wir hielten noch weitestgehend körperlichen Abstand zueinander - schließlich bestand die Gefahr der Markierung noch immer. Doch trotzdem konnten wir es einfach nicht lassen, Händchen zu halten und uns oft wie zufällig zu berühren. Auch nach der Schule verbrachten wir viel Zeit miteinander. Oft gingen wir im Wald spazieren, ins Kino oder etwas essen und trinken. Wir verhielten uns wie ein normales Pärchen und nicht wie zwei in sich verliebte Feinde, auf deren Schultern die Last zweier Völker lag. Wir genossen einfach die Zeit zusammen.

Doch natürlich vergaßen wir unsere Verantwortung nicht - so gern wir es auch täten. Oft sprachen wir darüber, wie wir Anton zu einem Geständnis bewegen konnten. Nur leider wurden wir zu häufig voneinander abgelenkt…So wie auch jetzt, als wir in einem Café saßen, die Prophezeiung vor uns auf dem Tisch, sowie eine Tasse heiße Schokolade für mich und einen Latte macchiato für Kilian.

Ich hatte die Brauen nachdenklich über die Prophezeiung zusammengezogen, nur leider ist es schwer, dich zu konzentrieren, wenn ein heißer Typ mit deiner Haarsträhne spielt.
"So schön wie der Sonnenuntergang", murmelte Kilian und wickelte sich die Strähne meines langen roten Haares um den Finger - zum gefühlt tausendsten Mal. Aber ich hinderte ihn nicht daran. Tatsächlich fand ich es irgendwie niedlich, wie er so fasziniert mit meinem Haar spielte.

"Vielleicht können wir am nächsten Hexenkreis Anton irgendwie dazu bringen, ein Geständnis vor den anderen abzulegen. Klar wäre die Idee mit dem Filmen einfacher, aber ich weiß nicht, ob uns die anderen das so abkaufen würden. Schließlich hätten wir es einfach manipulieren können."

"Wir sollten uns mal zusammen den Sonnenuntergang angucken", murmelte Kilian, noch immer völlig auf mein Haar fokussiert. Ich blinzelte. "Hörst du mir überhaupt zu?"
"Hm?" Verstreut blickte Kilian auf und sah dabei so süß aus, dass ich kichern musste.

"Was ist?", fragte er.
Doch ich grinste ihn nur an und winkte ab. "Nichts. Was hast du über den Sonnenuntergang gesagt?"
Nun lächelte er mich mit diesem Strahlen in den Augen an, das ich so sehr mochte.
"Wir sollten ein Sonnenuntergang-Date haben. Wir könnten uns auf eine erhöhte Stelle setzen, ein Tuch ausbreiten, picknicken und den Sonnenuntergang betrachten. Und dann…"

Sein Lächeln machte einem spitzbübischen Grinsen Platz und unter langen schwarzen Wimpern warf er mir einen vielsagenden Blick zu. Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Dennoch ging ich auf sein Spiel ein.
"Und dann?", fragte ich leise lächelnd. Ich ahnte bereits, was kommen würde.
"Und dann sehen wir, was diese romantische Atmosphäre so mit sich bringt."

Ich lachte leise. "Ist das deine Umschreibung für: und dann küssen wir uns?""
Er grinste breit. "Das hast du jetzt gesagt." Ich schnaubte. Dann legte ich den Kopf leicht schräg.
"Weißt du, was noch romantisch wäre?", fragte ich.
"Was?", erwiderte er sofort neugierig.
Lächelnd beugte ich mich leicht zu ihm vor und sah ihm tief in die Augen.

"Ein Spaziergang im Mondlicht. Wenn der Vollmond scheint und die Nacht von seinem silbrigen Glanz erhellt wird. Um uns herum nur der Wald und die Tiere, die ihn bevölkern. Aber sonst nur wir beide. Wir werden Händchen haltend in Mondlicht getaucht spazieren und wenn wir dann auf eine Lichtung kommen…"
"Werden wir uns küssen?", warf Kilian hoffnungsfroh ein.
Ich schmunzelte.

"Eigentlich wollte ich sagen, dass wir uns dann den Vollmond in seiner vollen Pracht ansehen werden, aber wer weiß, was diese romantische Atmosphäre mit sich bringt?", wiederholte ich seine Worte von vorhin.
Er lächelte verheißungsvoll.
Seit Samstag hatten wir es geschafft, uns nicht mehr zu küssen. Das war fast eine ganze Woche, denn heute war bereits Freitag. Vielleicht mochte es nach nicht viel klingen, aber wenn man die Tatsache mit einbezog, dass alles in mir darauf brannte, ihn wieder so nah zu spüren, war das eine große Leistung.

"Wir können es bald ausprobieren, schließlich ist nächsten Samstag wieder Vollmond", meinte Kilian.
Verdutzt blickte ich ihn an. "Woher weißt du das? Hast du einen Mondkalender?"

Er schnaubte. "Sowas brauch ich nicht." Vielsagend blickte er mich an. Und da machte es plötzlich Klick.
"Ihr wisst sowas instinktiv?", flüsterte ich. Wir waren in einem Café, weswegen ich nicht genau implizierte, wen ich mit ihr meinte. Aber Kilian verstand mich auch so. Er zuckte mit der Schulter.

"Wir spüren es. An Vollmond sind wir am stärksten, dann werden wir wieder schwächer, bevor wir wieder stärker werden und an Vollmond den Höhepunkt unserer Kraft erfahren."
Das hatte ich gewusst, aber dass sie es deswegen spürten, nicht.
"Cool", hauchte ich. Dann röteten sich meine Wangen, als mir ein Gedanke in den Sinn kam. Lächelnd strich mir Kilian sanft mit meiner Strähne über die rote Wange.

"Spuck's schon aus", murmelte er liebevoll. Ein wenig verlegen zuckte ich mit der Schulter.
"Na ja... kannst du mich dann wieder tragen?"
Hoffnungsvoll blickte ich ihn an. Ich hätte gerne wieder Lust, in seinen Armen zu liegen und den Wind im Gesicht zu spüren. Bei meiner Frage musste er leise lachen. Zärtlich blickte er mich an.

"Ich kann dich immer tragen, Liebling."
Die Farbe in meinen Wangen vertiefte sich.
"Andererseits…", murmelte er…", dann wäre das ja gar kein Spaziergang mehr, findest du nicht auch?"

"Das wäre mir egal", grinste ich, was ihm ein Lächeln entlockte.
"Na dann...", meinte er und lächelte mich an. Wie immer drohte ich in seinen Augen von der Farbe des Meeres zu versinken. Und wie immer musste ich mich daran erinnern, dass ich das nicht durfte. Wir hatten Wichtiges zu erledigen. Also seufzte ich und kam wieder auf das Thema zu sprechen, das ich am liebsten irgendwo ganz tief vergraben würde:
"Was hältst du davon, wenn wir uns Anton am nächsten Hexenkreis vornehmen?

Augenblicklich wurde Kilian wieder ernst und ließ nun auch meine Strähne los. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und stellte ihn wieder ab, bevor er schließlich sprach:

"Die Frage ist, wie stellen wir das an? Wir müssten ihm irgendwie diesen Wahrheitszauber per Tee oder ähnlichem verabreichen und selbst dann ist nicht sicher, ob das reicht. Schließlich kann es sein, dass er nicht genug davon trinkt, oder ihn entdeckt und auflöst."

Das war das ewige Problem. Es gab zu viele Variablen. Als hätten wir eine Mathegleichung vor uns mit kaum bekannten Zahlen.
"Wir brauchen mehrere Pläne. Falls Plan A nicht funktioniert, brauchen wir einen Plan B und für den Fall, dass der nicht funktioniert, einen Plan C und so weiter. Nur...mir fällt nur die Möglichkeit mit dem Wahrheitsserum ein."
Kilian starrte nachdenklich in seinen Kaffee.

"Oder wir brauchen andere Zeugen."
"Hm?", fragend blickte ich ihn an.
"Überleg Mal", sagte er.
"Da draußen sind noch immer irgendwo Antons Exfreundin und vermutlich die Seelengefährtin von seinem ehemaligen Freund. Wenn wir sie irgendwie ausfindig machen könnten und sie die Wahrheit sagen würden…"
"Das wäre zu riskant", warf ich ein. "Wir können sie nicht dieser Gefahr aussetzen. Anton brennt darauf, sie zu finden."

"Wir würden sie nicht dieser Gefahr aussetzen, sondern sie ein Video machen lassen. Man kann uns nicht vorwerfen, es irgendwie manipuliert zu haben, weil wir die Leute nie gesehen haben."

Ich war mir nicht sicher, ob uns trotzdem alle glauben würden, aber es wäre ein Anfang. Nur…
"Wie finden wir dieses Paar?"

"Ich habe Kontakte, bei denen ich nachfragen kann", erklärte Kilian.
Natürlich. Wieso war ich nicht darauf gekommen, dass die Werwölfe untereinander vernetzt waren? Das waren wir Hexen schließlich auch.

"Gut. Dann frag du bei deinen Kontakten nach. Der nächste Hexenkreis ist heute in drei Wochen. Bis dahin müssten wir dann hoffentlich genügend Pläne haben."
Kilian nickte. Dann fragte er mit einem hoffnungsvollen Lächeln:

"Hättest du dann Lust, auf ein Sonnenuntergang-Date heute Abend?"

Bei der Vorstellung von Kilian und mir, eingetaucht in den Strahlen der untergehenden Sonne, wurde mir ganz warm. Wie könnte ich da also verneinen?
"Nur zu gerne", erwiderte ich lächelnd.
Und somit war es abgemacht.

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