Kapitel 57 - Der Feind

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Kilians p.o.v.

Anton. Natürlich sagte mir dieser Name etwas. Schließlich hatten wir es die ganze Zeit auf ihn abgesehen. Und jetzt war er hier. Die Gedanken schossen nur so durch meinen Kopf: Warum ist er hier? Was hat er vor? Woher weiß er, dass ich ihn kenne? Und dann noch ein letzter, schmerzhafter Gedanke:
Hat Xenia ihn geschickt?

Aber das konnte nicht sein. Ich traute es ihr einfach nicht zu. Das war nicht ihre Art.
Aber du hast ihre Familie bedroht, flüsterte eine gehässige kleine Stimme in meinem Kopf. Und zumindest ein Werwolf schützte immer seine Familie, koste es, was es wolle. Dennoch zwang mich der Gedanke, dass Xenia mich einfach so verraten hatte, beinahe in die Knie.

"Du fragst dich bestimmt, wie es kommt, dass wir hier aufeinander treffen", mutmaßte Anton, so entspannt, als stände er nicht gerade allein seinem Feind gegenüber. Dabei war diese Situation hier alles andere als entspannt, sie war gefährlich. Ich musste mich zusammenreißen. Musste mich konzentrieren und alle Gedanken an Xenia fort schieben. Obwohl Anton so entspannt tat, wusste ich, dass meine nächsten Handlungen über Leben und Tod entschieden. Ich ließ den Blick an Anton vorbei schweigen, betrachtete wachsam seine Umgebung. Aber er schien wirklich allein zu sein. Währenddessen sprach Anton weiter:

"Schon beim Hexenkreis ist mir aufgefallen, dass sich deine liebreizende Xenia etwas ungewöhnlich benahm. Natürlich wusste sie es ganz gut zu verstecken, aber ich bin ein aufmerksamer Mann. Ich habe meine Leute auf sie angesetzt. Reine Vorsichtsmaßnahme natürlich, aber es hat sich ausgezahlt. Denn obwohl Xenia einen magischen Schutzschild um sich gesponnen hatte, war es ein Leichtes, ihr auf die altmodische menschliche Art zu folgen. Und so haben wir dich entdeckt."

Er grinste selbstgefällig, während ich stocksteif dastand. Also hatte Xenia mich doch nicht verraten. Die Erleichterung war nur von kurzer Dauer, sogleich wurde sie von einem mulmigen Gefühl abgelöst. Sie hatten uns beobachtet. Aber wie? Ich hatte nichts bemerkt….

"Zuerst dachten wir uns nicht dabei. Xenia trifft sich mit einem Jungen, nichts Seltsames. Aber ich hatte da meine Vorahnungen...und habe recht behalten. Als einer meiner Leute an jenem Tag auf der Lichtung beobachtet hatte, wie du dich in einen Wolf verwandelt hattest, hatten wir endlich Gewissheit."

Sein Grinsen wurde verachtend.
"Scheint so, als hättest du diese Fähigkeit von deinem Vater geerbt, so wie du die Augenfarbe deiner Mutter geerbt hast", höhnte er.

Ich stutzte und starrte ihn misstrauisch an. Woher wusste er von meinem Vater…? Und woher kannte er die Augenfarbe meiner Mutter? Vielleicht war es ja nur dahingesagt, aber etwas sagte mir, dass dem doch nicht so war. Anton bemerkte wohl, dass seine Worte mich nicht losließen, denn nun grinste er hämisch.

"Ach, wusstest du das nicht? Ich kannte deinen Vater. Kannte deine Mutter."

Sein Grinsen wurde bitter.
"Deine Mutter kannte ich sogar sehr gut. Schließlich waren wir ein Paar."

Alles in mir kam zu einem Stillstand, während ich diesen Hexer anstarrte. Seine Worte erreichten meinen Kopf, sickerten in mich ein. Deine Mutter kannte ich sogar sehr gut. Schließlich waren wir ein Paar.

Ich verstand die Worte, begriff ihre Bedeutung, auch wenn ich es lieber nicht täte. Denn mein Herz wollte das nicht glauben. Meine Mutter war nicht nur eine Hexe...sondern auch mit diesem Hexer hier zusammen gewesen, der vielleicht den Krieg initiiert hatte.
Etwas von meinen Gefühlen musste sich in meinem Augen widerspiegeln, denn nun fing der Hexer an, hämisch zu lachen.

"Das hast du nicht gedacht, was? Aber so war es. Bis eines Tages dein Vater daherkam und sie für sich beansprucht hatte."

Wieder schlich sich diese Verachtung in sein Gesicht, doch da war noch mehr: Abgrundtiefer Hass.

"Hat was von Seelenverbindung gelabert und sie mir geklaut. Dabei waren wir Freunde. Aber das war ihm egal. Es ist nur gerecht, dass ich ihm letztendlich das habe heimzahlen können. Schade, dass du nicht dabei warst und sehen konntest, wie er geschrien und gebettelt hatte."

Wieder lachte Anton so gehässig, doch ich hörte ihn gar nicht mehr. Zu laut war das Tosen meines Blutes, das mir in den Ohren dröhnte. Ich sah nicht mehr die schwach beschienene grüne Wiese, auf der wir standen oder die fast schwarz wirkenden Bäume um uns herum, die die Lichtung eingrenzten. Da war nur Anton in meinem Blickfeld. Wie er so gehässig darüber lachte, sich darüber freute, meinen Vater umgebracht zu haben. Er war dabei gewesen, er hatte meine Familie umgebracht. Mein Rudel. Er hatte meinen Vater leiden lassen.

Die ewige Wut auf die Hexer in mir brodelte stark und brachte mein Blut zum Kochen. Hass - so dunkel und schwer wie Teer - stieg in mir auf und verschlang beinahe jeden rationalen Gedanken, der mich anschrie, nicht voreilig zu handeln. Mich nicht provozieren zu lassen. Meine Muskeln spannten sich an, bereit zum Sprung.

Da hörte Anton auf zu lachen und sah mich mit einem grausamen dunklen und bösartigen Grinsen an.
"Deine Mutter war wenigstens noch zu etwas mehr gut als nur flehen und schreien. Dieser letzte Fick mit ihr war wirklich ganz unterhaltend."

Etwas riss in mir bei diesen Worten. Vielleicht meine Beherrschung. Vielleicht dieses letzte Fitzelchen Vernunft. Vielleicht etwas anderes. Meine gefletschten Zähne und der mörderische Ausdruck in meinen Augen waren die einzige Warnung. Im nächsten Moment stieß ich mich kräftig ab. Und sprang. Direkt auf den Hexer zu. Bereit, ihm die Kehle herauszureißen.

Doch da wurde Antons Grinsen plötzlich breiter. Bösartiger. Das Funkeln in seinen Augen selbstgefällig, sadistisch. Da wurde mir klar, dass ich einen Fehler begangen hatte.
Aber da war es auch schon zu spät.

Im nächsten Moment schoss von links ein rot glühendes Etwas auf mich zu. Für eine winzige Sekunde sah ich es im Augenwinkel, da traf es mich auch schon in die Seite.
Wie ein abgeschlossener Vogel fiel ich auf die Erde. Ich spürte den dumpfen Schmerz kaum, hörte nicht das Ächzen meiner Knochen. Nein. Für einen Moment war da gar nichts. Als wollten meine Nerven mir noch einen letzten Moment der Ruhe geben. Eine letzte Sekunde Ruhe vor dem Sturm.
Mit einem markerschütternden Geheul fingen all meine Nerven plötzlich an zu brennen, zu kreischen. Gleißende Elektrizität floss durch meinen Körper, zerstörte alles auf ihrem Weg. Feuer wälzte durch jeden Winkel, durch jede Zelle. Da war nur noch Schmerz. Nichts anderes existierte mehr. Nur solche unglaubliche Qual. Muskeln rissen, Nerven verbrannten, Knochen schmolzen.

Der Geruch von verbranntem Fleisch erreichte meine Nase, doch ich nahm es kaum wahr über den Schmerz. Ich hörte mich selbst kaum winseln, das Brausen und Tosen des Feuers der Hölle übertönte alles. Ich hörte und sah die anderen Hexer nicht, die plötzlich wie aus dem Nichts auf die Lichtung traten. Hörte nicht die Worte, die sie wechselten. Sah nicht einmal mehr Antons sadistische Miene.

Alles, was da noch war, war purer, zerstörerischer Schmerz, der alles andere überschwemmte. Hätte ich noch einen klaren Gedanken fassen können, hätte ich mir den Tod gewünscht. Hätte ich noch etwas anderes als bloßen Schmerz fühlen können, hätte ich mich nach dieser süßen Dunkelheit gesehnt. Aber der Schmerz nahm alles ein, fraß sich durch mich, verbrannte mich, brach mich...bis ich nichts mehr sein würde als glühende Asche.

With or Without youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt