2. Tragen schwarz *überarbeitet*

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Wie hatten mich meine Beine so weit tragen können, bevor sie mit meinem elenden Rest zusammengebrochen sind, frage ich mich noch, bevor ich wieder in unserem Vorgarten stehe. Das Licht in der Küche brennt und die Dunkelheit der Welt hat zugenommen, seit ich aus der Haustüre gestürmt bin, zugenommen wie die Dunkelheit in mir selbst. Das Auto seiner Mutter, das vorher noch in unserer Einfahrt stand, ist weg.

   Was heißt schon weg. Du bist weg, und das für immer.

Meine Unterlippe beginnt zu zittern und diesmal nicht, weil die Trauer mit ihren Tränen aus mir herausbrechen will, sondern weil mir der Wind plötzlich seine kalte, knöcherne Hand um den Hals legt und ich mein Gefühl für die einstelligen Temperaturen zurückgewinne. Wie lange mochte ich weggewesen sein?

Als ich mit steifen Fingern meinen Schlüssel aus der Jackentasche puhle und mit dem Klicken des Schlosses die Türe aufschwingt, breitet sich in mir mit der entgegenströmenden Wärme kein wohliges Gefühl aus. Ich will nicht zulassen, dass ich mir gewärmt vorkomme, dass ich mich wohl fühle. Und wenn es keinen Sinn ergibt, hat es sehr wohl einen Sinn, dass ich friere und frieren wollte.

Das Einzige, das mir in der Vergangenheit ein Lächeln in die Seele und hitzige Wangen gezaubert hatte, war der Gedanke, die Hoffnung an dich. Wovon soll ich jetzt leben?

Meine Mutter drückt mich beschützend an ihre Brust, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich oder sich selbst zu halten versucht. Schließlich hat sie erfahren müssen, dass der Sohn ihrer besten Freundin tot ist und sie leidet mit ihrer Freundin. Was denkt sie, was ich verloren habe?

Ich kann nicht beschreiben, wie sehr es schmerzt, jemanden über einen Verlust hinweg zu trösten, der dich selbst umzubringen scheint und keiner sieht es. Meine Umwelt ist nicht blind, aber ich war stumm. War stumm geblieben über all das, was du für mich ausmachtest, dass du im Grunde alles ausmachtest, das mich ausmachte.

Ich wusste immer, dass es ein Ende finden würde mit uns. Dass ich eines Tages nicht mehr für dich fühlen könnte. Aber niemals hätte ich meinem, unserem Leben diesen Verlauf zugetraut.

Unserem Leben? Was sag ich da! Es gab nie ein Uns. Es gab ein Du und ein Ich und beide wollten, konnten aber nie. Kein Happy End. Keine Pointe.

All die Gefühle, die ich in mir behalten habe, weil ich die Hoffnung nicht aufgab, sie eines Tages vor dir ausbreiten zu können, bauen jetzt ein Haus um mich. Schützende Mauern, ein Dach, damit ich nichts mehr zulassen kann, als diese Trauer zu empfinden. Es wäre nicht fair, jetzt noch zu lachen, Freude zu verbreiten.

Und woher sollte ich diese Freude nehmen. Ich bin nicht Schuld an deinem Tod, es war ein Unfall, aber ich gebe mir die Schuld, dass du an diesem Tag an diesem Ort zu dieser Zeit warst.

Hätte meine Entscheidung, vor drei Jahren einmal mutig zu sein, deinen Weg bedeutend anders gelenkt und du wärst niemals um diese Kurve gebogen? Hätte dich der Truck niemals erwischt und müsste ich mich dann nicht für etwas verantwortlich machen, für das ich rein gar nichts kann?

Ich überhöre das Klopfen an meiner Zimmertüre. Es dringt nicht durch die dicken Mauern, die mich umgeben. Kein Spalt gewährt Einlass. Und derjenige gibt auf, ich kann die verhallenden Schritte hören.

Während Dunkelheit und Licht sich abwechseln, Tage vergehen, kann ich nur darüber nachdenken, wer du warst. Nein! Wer du bist. In meinen Errinnerungen bist du noch und wirst es immer sein.

Ich sollte lächeln bei dem Gedanken an unseren morgendlichen Schulweg. Die Stelle im Wald, an der dein Fahrrad sich zu meinem gesellt hat. Die langen Minuten, die es mit dir an meiner Seite immer eilig hatten.

Ich sollte Lächeln bei dem Gedanken, einmal dein Gedanke gewesen zu sein. Stattdessen weine ich. Weine, weil wir es immer wusste, uns nie getraut haben. Weil wir die Zeit nicht genug zu schätzen wussten, die wir gemeinsam hatten und die jetzt so sehr fehlt. Weil du fehlst.

WENN ER STIRBT | ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt