Kapitel 22 - Ander

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Ich hasste es. Ich hasste es, ihn so zu sehen und ich hasste es, wenn er mich so anschrie, auch wenn ich ihn verstand.

Wer mochte es schon, wenn alle einen mit großen Augen ansahen und man das Mitleid dabei förmlich spüren konnte?

Patrick wollte kein Mitleid, genauso wenig wie ich. Ich verstand ihn und tat doch genau das, was er nicht wollte, schaute ihn so an und behandelte ihn auch so.

Warum? Es war die pure Panik und Angst in mir, das er wegen dieser Sache drauf ging. Dass er sich vielleicht nie wieder erholte oder mich verließ. Ich liebte ihn und ich wollte ihn nicht gehen lassen. Niemals!

Bei der Tatsache, dass es nicht sein erstes Mal war, dass sowas passiert war, wurde mir ganz schlecht. Ich spürte, wie die Tränen über meine Wangen liefen und kniff die Lippen zusammen.

Ja, Patrick war ein Kämpfer, aber ich war es nicht. Ich hatte immer nur so getan, aber nun war ich schwach. Patrick brauchte mich gar nicht. Er brauchte jemand, der wirklich stark war und nicht so einen Macho, der sich bloß aufspielte. In Wahrheit lag ich in meinem Inneren doch schon lange in Trümmern.

Der Mann, den ich jahrelang geliebt hatte, hatte Patrick vergewaltigt. Wie sollte es mir da bitteschön gehen? Ich hatte mich so getäuscht in Omar und jedes Mal, wenn ich jetzt an unsere gemeinsam Zeit zurück dachte, schien alles mit einer klebrigen dunklen Masse überzogen. Da gab es keine guten Erinnerungen mehr, sie waren alle wie ausgelöscht. Meine Zukunft lag vor mir, in Patrick, doch auch diese Brücke schien zu bröckeln und im Begriff zusammen zu stürzen.

Ich schluckte, als Patrick sagte, dass er gehen wollte. Langsam stand ich auf und sah ihn an. Ich war unsicher. Sollte ich ihm diesen Wunsch erfüllen? Ich wollte nicht, dass er starb und hier wäre die Verpflegung definitiv besser. Hier waren Profis am Werk.

»Patrick, du musst hier bleiben.« sagte ich daher eindringlich.
Ich sah, wie die Wut wieder in seinen Augen aufflackerte, wie ein gefährliches Feuer, das durch den Wind neu entfacht wurde.
»Kannst du nicht einmal das tun, worum ich dich bitte?«, schrie er mir entgegen und ich zuckte zusammen.
Ich hasste es, wenn man mich anschrie. Normalerweise würde ich jetzt zurück schreien, dass er mich doch am Arsch lecken konnte, aber ich konnte nicht. Nicht nach so einem Erlebnis. Und ich wusste ja genau warum er das tat.

Heiße Tränen rannten über meine Wange und ich sah zu Boden.
»Ich will nur, dass es dir gut geht und ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Hier fühlst du dich vielleicht nicht wohl, aber du hältst das durch. Ein paar Tage, dann kannst du nach Hause, aber bitte bleib hier. Sie werden dich gesund machen. Bitte, ich hab Angst um dich. Das ist kein Mitleid Patrick, das ist Angst. Ich...damals, als ich diese beschissene Chemo machen musste, hab ich einen Jungen kennengelernt. Wir waren Freunde. Er hat mir geholfen und ich hab ihm geholfen, aber dann...konnte ich ihm nicht mehr helfen. Es war zu spät.«

Schwer schluckte ich und wischte mir über die Augen, wütend auf mich selbst, dass ich hier wie ein Baby herum heulte. Patrick war derjenige, der heulen sollte und nicht ich.
Tief atmete ich durch und zwang mich zur Ruhe. Dann blickte ich wieder in die blauen Augen und griff nach seiner Hand.

»Ich will kein Mitleid und ich weiß, dass du auch keins willst, aber ich habe Angst, dass ich dich auch noch verliere, denn das schaffe ich nicht. Ich schaff das nicht ohne dich, hörst du? Ich bin kein scheiß Kämpfer wie du!«

Der Kloß in meinem Hals wurde weniger, auch wenn er ein Gefühl der Übelkeit in meinem Bauch zurück gelassen hatte. Ich hatte keine Ahnung, ob Patrick mich verstand, mich hasste oder mich wieder anschreien wollte, aber ich war froh, dass ich das gesagt hatte.

Er hatte mit mir offen geredet und ich hatte es bei ihm genauso gemacht. Vielleicht hatten wir uns in diesem paar Stunden hier neu kennengelernt und vielleicht hatte das schlussendlich auch etwas gutes.

Patrick räusperte sich und ich blickte ihn wieder an.
»Ich wollte dich nicht anschreien. Es tut mir leid. Ich...bin manchmal so impulsiv. Das hat nichts mit dir zu tun. Ehrlich nicht«, meinte er und ich lächelte leicht.
Kurz nickte ich ihm zu und ging hinüber zum Fenster, um es zu öffnen.

Draußen war schönes Wetter und gerade als ich ihn kurz alleine lassen wollte, damit er sich ein wenig sammeln und beruhigen konnte, hörte ich ein leise geflüstertes, "Danke".

Ich hielt inne und drehte mich zu ihm um.

Ein sanftes Lächeln umspielte meine Lippen.
»Du musst mir nicht danken. Ehrlich nicht. Ich bin so froh, dass du lebst, da bin ich gerne für dich da«, sprach ich ehrlich mit ihm und blickte nachdenklich nach draußen.

»Weißt du was, ich hab gehört, frische Luft soll gut tun. Komm, lass uns ein wenig nach draußen gehen. Nimm deinen Ständer mit und auf gehts«, schmunzelte ich und deutete auf den Tropf. Mir war klar, dass es sich zweideutig anhörte, aber das war auch meine Absicht. Es passte einfach zu mir und Patrick.
Vorsichtig half ich ihm auf, wobei ich nur ein genervtes Brummen von Patrick zu hören bekam. Natürlich mochte er es nicht, wenn man ihm bei etwas wie dem Aufstehen half, aber im Inneren war er mit Sicherheit froh über die Hilfe.

Langsam schlenderten wir zum Fahrstuhl und fuhren nach unten, wo wir dann eine kleine Runde im Garten drehten und uns schließlich auf eine Bank setzten. Ich legte wieder einen Arm um den anderen und drückte ihn ein wenig an mich.

»Wie schaffen das schon irgendwie. Alles wird gut werden und ich werde nicht zulassen, dass dieser Arsch nochmal auch nur in deine Nähe kommt. Das schwöre ich dir«, sagte ich bitter und biss die Zähne fest zusammen. So sehr ich Omar geliebt hatte, so sehr verabscheute ich ihn nun. Wie konnte man nur sowas tun?

Sanft streichelte ich die Hand von Patrick und wunderte mich über mich selbst. Normalerweise war ich nämlich nicht der Typ für so romantische Dinge.

Nun gut, ich müsste es doch mittlerweile wissen, dass Patrick Dinge mit mir anstellte, die ich noch nicht von mir selbst kannte, aber ich genoss es und von mir aus konnte er gerne weiterhin verrückte Dinge mit mir anstellen. Ich war bereit dafür und ich würde mich voll und ganz fallen lassen. Nun gab es nur mehr ihn für mich und ich musste kein schlechtes Gewissen mehr haben. Das war wohl das erste Gute an der ganzen Geschichte.

Desire - Ander & Patrick // Elite FF // BoyxBoy ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt