Kapitel 17

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Angespannt betrete ich am nächsten Tag den Proberaum. Heute beginnen die Proben der Sing Offs und es ist das erste Mal, dass ich das Voicegebäude betrete, seit bekannt ist, dass ich Samus Tochter bin. Und im Team Yvonne.
Mit leicht zitternden Händen fahre ich mir durch die Haare, als auf einmal alle Blicke auf mir liegen. Natürlich starren mich die Frauen alle wütend an. Als könnte ich was dafür, dass ich Samus Tochter bin.

„Hallo", begrüße ich dennoch alle freundlich und setze mich auf einen Stuhl, welcher am Rand des Raumes steht.
Natürlich bekomme ich entweder nur einen wütenden Blick oder ein Schnauben als Begrüßung zurück, weswegen ich den Kopf einziehe und traurig auf dem Boden sehe. Alles lief so schnell den Bach hinunter, sodass ich keine Chance hatte, es aufzuhalten.

Zuerst hassten mich alle, weil sie dachten, ich hätte was mit Samu und wäre deswegen sein Liebling. Ebenso stempelten sie mich als Hure ab, als sie sahen, dass da was zwischen Michael und mir läuft. Und nun hassen sie mich, weil ich ehrlich war, die Wahrheit erzählt habe und dennoch weiter bin, obwohl ich mich dazu entschlossen hatte, die Show zu verlassen. Doch Yvonne gab mir eine Chance, welche ich nutze. Ist das so falsch?
„Na?", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken, weswegen ich verwirrt aufsehe und mir hastig ein paar Tränen aus dem Gesicht wische.
„Hey", begrüße ich den jungen Mann, welcher sich neben mir auf dem Klavierhocker bequem gemacht hat.

Er hat kurze, schwarze Haare und braune Augen. Außerdem trägt er einen Drei-Tages-Bart.  Freundlich lächelt er mich an, weswegen ich mir ebenfalls ein Lächeln aufzwinge, obwohl ich gerade am liebsten nur weinen möchte. Deutschland ist irgendwie nicht so schön, wie ich es mir vorgestellt habe.
„Amanda, richtig? Samus Tochter?", fragt er nach, wobei er weiterhin freundlich bleibt und mir seine Hand entgegenstreckt.
„Ich bin Ben", stellt er sich vor und ich nehme verwirrt seine Hand, um diese zu schütteln.
Warum ist er so nett zu mir? Hier hasst mich doch jeder...

„Was... wurdest du von den anderen beauftragt, freundlich zu mir zu sein, um mich dann zu blamieren?", frage ich leise auf Englisch nach und suche in seinem Gesichtsausdruck irgendeinen Anhaltspunkt, der meine Theorie bestätigen würde.
Wegen meiner Aussage muss er leicht lachen.

„Nein, keine Sorge. Ich bin aus freien Stücken zu dir gekommen. Ich wollte dir Gesellschaft leisten, da du hier in der Ecke so alleine warst. Außerdem finde ich die Reaktionen, von den anderen, wirklich scheiße. Du warst schließlich ehrlich und hast die Wahrheit gesagt. Und dass Yvonne dir nun eine weitere Chance gibt, wusstest du ja nicht. Oh, verstehst du mich eigentlich? Oder rede ich zu schnell? Es tut mir leid! Ich habe einfach Deutsch geredet!"

Ich muss leise lachen, als er mich entsetzt ansieht.
„Keine Sorge. Ich verstehe jedes einzelne Wort, Ben. Ich kann vier Sprachen fließend. Deutsch beherrsche ich seit Kindheitstagen an", erkläre ich ihn und rede dabei auch Deutsch und nicht Englisch, wie ich es vorher tat.
„Wow! Vier Sprachen? Das ist ja krass!"
Ich kann nicht anders und muss leicht lachen.

„Das ist gar nicht so schwer. Schließlich ist es in Finnland so, dass man – wie eigentlich bei fast allen Ländern – Englisch als Fremdsprache hat. Als zweite kann man zwischen Deutsch und Schwedisch entscheiden. Da meine Mutter jedoch aus Deutschland kommt und ich diese Sprache schon konnte, habe ich mich für Schweden entschieden. Und das, obwohl wir Finnen die Schweden hassen. Das ist irgendwie ein ungeschriebenes Gesetz", grinse ich zum Schluss, während Ben mich immer noch ziemlich fassungslos ansieht.

„Das heißt, du kannst Finnisch, Englisch, Schwedisch und Deutsch?", fragt er zur Sicherheit nochmal nach, weswegen ich lachend nicke.
„Genau, Sherlock."
„Wow. Ich bin ja froh, dass ich Englisch wenigstens gut kann. Aber du brichst ja alle Rekorde!"
Erneut bringt er mich zum Lachen. Es ist irgendwie befreiend, dass mich einer hier wirklich nicht hasst. Oder er spielt nur freundlich?

Auf einmal ist meine gute Stimmung wie weggeblasen. Kritisch kneife ich meine Augen zusammen und begutachte ihn, als würde ich dabei irgendwas sehen, wie er mich vielleicht verarscht.
Bens Lächeln verschwindet nun ebenfalls. Er legt leicht den Kopf schräg und seufzt dann.
„Amanda, ich verarsche dich wirklich nicht. Ich bin nicht so ein Mensch... Ich bin hier eher auch der Außenseiter."

„Wieso?", frage ich kritisch nach und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Weil ich eigentlich hier gearbeitet habe. Ich bin nur durch Zufall hier. Ich habe nicht einmal eine Anmeldung", murmelt er so leise, dass ich Probleme habe, ihn zu verstehen.
„Wie meinst du das?", frage ich verwirrt nach und beuge mich etwas mehr zu ihm vor, damit wir nicht weiter belauscht werden.

Denn alle anderen Mitglieder sehen wütend und mit verschränkten Armen zu uns. Ich bin mir sicher, wenn Blicke töten könnten, dann wären Ben und ich schon mehrmals tot umgefallen.
„Nun ja... Ich war eigentlich Kameramann hier. Als die Aufzeichnungen mal fertig waren, habe ich einfach so vor mich her gesungen, als ich meine Sachen zusammenpackte. Die Coaches bekamen es mit und redetet mit mir, ob ich nicht auch vorsingen wollen würde, um mein Glück zu versuchen. Da aber die Anmeldungen für dieses Jahr ja abgeschlossen waren, meinte ich, ich würde es mir überlegen und mich dann für nächstes Jahr vielleicht anmelden... Aber dann hat Andreas alles dafür getan, mich noch für dieses Jahr reinzubekommen und ja... Nun bin ich hier. In Team Yvonne. Und alle hassen mich, weil ich mich ja nicht offiziell angemeldet habe. Sie bezeichnen mich als Coach-Liebling, weil die ja mich hierher gebracht haben."

„Oh", murmle leise und sehe ihn entschuldigend an.
„Das wusste ich nicht. Ich dachte wirklich, dass du..."
Ben lächelt mich leicht an und schüttelt dann den Kopf.
„Nein, ich verarsche dich nicht. Wir teilen ja in gewisser Weise das gleiche Schicksal. Alle hassen uns, weil wir halt irgendwie anders weitergekommen sind, als sie."
„Da hast du recht, Ben. Da hast du recht."

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Hello Dad • Samu Haber | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt