11 - nightmare

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Chat Noir hatte Adrien Agreste's Leben zerstört. Das dachte er zumindest, als sich Adrien zum ersten Mal die Prognose des Arztes anhörte - er hatte die letzten Tage halb schlafend, halb weinend verbracht, im stetigen Wechsel zwischen Teilnahmslosigkeit und weinendem Zittern.
Alya und Nino hatten ihn jeweils noch einmal besucht, öfter hatte sein Leibwächter die beiden nicht herein gelassen - sein Vater war häufig dort, aber Adrien tat so, als würde er schlafen - bis die Besuche seines Vaters in der letzten Woche wieder abgenommen hatten.

Nino hatte Marinette wieder nicht erwähnt, Alya hingegen hatte ihm erzählt, dass die Polizei ihre Leiche noch nicht freigegeben hatte - nicht einmal im Tod hatte Ladybug ihre Ruhe. Adrien fragte sich nur, warum er sie an dem Tag verlassen hatte.

Die Stimme seines Arztes, dessen Namen er sich nicht merken wollte, hatte ihm heute aus seinem Delirium reißen können - es war seine gute Laune gewesen, die Adriens Übelkeit wieder aufsteigen ließ.

Der Mann hatte ihm erklärt, wie zerschunden sein Körper wirklich war - nichts davon hatte Adrien richtig realisieren können, noch wahrgenommen. Jetzt wusste er endlich, dass es Chat Noirs Schuld war, dass er seit fast zwei Wochen das Bett nicht verlassen durfte, liegen bleiben musste - die Wunden an Hals und Kopf waren zu rosanen Narben verheilt, die hämmernden Schläge im Schädel schon längst zu nervigen Kopfschmerzen abgeklungen.
Es sind auch nicht die Rippenfraktur der unteren vier Rippen oder die zahlreichen Quetschungen und Prellungen im Bauch und Brustbereich gewesen, was die Ärzte so in Sorge versetzte - Adrien hatte Glück gehabt, keine seiner Organe hatten Schäden davon getragen.

Es war die Verletzung der Lendenwirbel.
Nichts weiter als ein Haarriss war es wohl gewesen, wie Adrien insgeheim vermutete, sonst hätte er damals nicht mehr minuten-, wenn nicht sogar stundenlang über die Dächer fliehen können -
Er erinnerte sich nicht daran, was genau passiert war, in den Augenblicken, in denen er Marinette in seinen Armen hielt und denen, wo er die Schatulle versteckt hatte. Er hatte ShadowMoth gesehen - er war geflohen. Das war alles.
Nur hatte er diesen Haarriss nicht bemerkt. Er hatte ihn wohl nur schlimmer gemacht. Zu sehr belastet. Als die Sanitäter ihn bewusstlos aufgefunden hatten, war es ein zweifacher Bruch im Wirbelbogen gewesen, bei dem ein Stück des Knochens sein Rückenmark leicht verletzt hatte.
Und jetzt versuchte ein Mann den er nicht kannte, ein Mann, dessen gute Laune wie weggewischt schien, ihm irgendwie zu erklären, dass die leichten Nervenschäden im Rückenmark eventuell permanent bleiben könnten - dass niemand zu diesem Zeitpunkt genau sagen könnte, wann und ob er je wieder laufen könne.

Er gab Chat Noir die Schuld. Er gab sich selbst die Schuld. Er hatte sie nicht beschützen können - er würde sie auch nicht rächen können.

In den nächsten Stunden fand er keinen Schlaf mehr - er blendete seine Gedanken aus, versuchte zur Ruhe zu kommen, die sein Kopf ihm nicht gönnen wollte - konzentrierte sich ausschließlich darauf, etwas zu [style]fühlen[/style]. Denn erst jetzt wurde ihm bewusst, dass da immer diese Taubheit in den Beinen gewesen war - dass er sich nicht halten konnte, wenn er aufstehen wollte.
Erst als er seine Fingernägel in den Oberschenkeln vergrub, brachte es ihm Ruhe vor dem Gedankensturm - das dumpfe Ziehen auf der Haut unter der Pyjamahose, das Kribbeln in den Zehen, wenn der diese bewegen wollte.

Auch in dieser Nacht suchten ihn die Geister heim - Albträume, die ihn nicht losließen, ihm nicht halfen, der Kälte zu entkommen, die ihn umklammerte.
Er träumte vom Eiffelturm, von den Monstern im blutrotem Nebel, dem Lachen eines Teufels im purpurnen Licht.
Er lag am Boden, unfähig sich zu bewegen, von unsichtbaren Fesseln gebannt.
Er konnte die Augen nicht schließen, während die Flammen ihn verschlangen und Marinette seinen Namen schrie - der Klang ihrer Stimme zerfetzte seine Ohren, das Geräusch ihrer berstenden Knochen zerriss ihm sein Herz - es waren schwarze Pfoten, die ihn wachrüttelten, seine Schulter umklammerten, während heiße Tränen über seine Wangen flossen.
,,Es war nur ein Traum, Adrien!" Die Bedeutung von Plaggs Worten erreichten ihn nicht, als Adrien nach Luft schnappte, sich an der Matratze festhielt und glaubte, er würde fallen.

Magic can turn people into monsters | Chat NoirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt