Das Blut rauschte in seinen Ohren. Jeder Muskel pochte und jeder Knochen stach, und doch fühlte er - was? Erleichterung? Trauer? Wut?
Reglos starrte Chat Noir auf das Gesicht Gabriels hinab. Das Gesicht seines Vaters. Er sah, dass er weinte. Die grauen Augen starrten an Chat vorbei in den Himmel, Tränen hinterließen Spuren auf den staubigen Wangen.
Es war vorbei. Der Gedanke war abwegig.
Gabriel war müde und erschöpft, zerrissen von Trauer und Wahnsinn. Die graue Iris schien zerbrochen, gesplittert. Seine Hände rissen nicht mehr an seinen Haaren, lagen kraftlos im Straub.
„Du hast mich verraten.“
Gabriel Agreste schrie nicht mehr, er brüllte nicht. Die geflüsterten Worte drangen aus seinem Mund, die Augen weit aufgerissen fanden endlich Chat Noirs Gesicht. Wahnsinn - und Hass - nichts anderes konnte Chat darin erkennen, und es raubte ihm den letzten Atem. „Nein“, hauchte Chat Noir leise, sodass nur Gabriel ihn hören konnte. „Nein - Du hast mich verraten.“
Er ballte die Hand zur Faust, drehte sich weg und ging. Ließ seinen Vater zurück, am Boden liegend, verletzt, ignorierte dessen Rufe und Schreie, die er ihm hinterherwarf. Sein Körper rebellierte, seine Muskeln brannten, doch Chat riss sich zusammen, ließ sich nichts anmerken.
Er spürte die Blicke auf seinem Rücken, die Blicke fremder Menschen, die ihm nachstarrten.Er ging, zog sich auf die Dächer von Paris zurück.
Gabriel Agreste konnte niemandem mehr schaden, die Polizei ihn bald in Gewahrsam nehmen. Chat fragte sich unwillkürlich, was er dabei fühlte - aber da war nichts greifbares, nur leere Kälte. All die Wut und der Hass, die Angst oder Enttäuschung, selbst die Schuld, die er seinem Vater gegenüber gefühlt hatte, war verpufft. So wie der Akuma unter Chat Noirs Krallen.
Er sah auch nicht nach Alya, die noch auf dem Dach sitzen musste - sie war stärker, als er, er wusste, sie würde sie erneut verwandeln können, verschwinden können, sich in Sicherheit bringen können.
Es war ein Dach von Vielen, auf dem er schließlich zum Stehen kam. Stirnrunzelnd senkte er den Blick, auf seine Hände hinab, die noch immer die Brosche umklammerten. Das kleine runde Schmuckstück glänzte unschuldig im Sonnenlicht, der violette Amethyst in der schwarzen Fassung glitzerte leicht. Man konnte ihm die Kälte nicht ansehen, die darin hauste.
Sein Blick wanderte weiter auf seine Unterarme - der zuvor aufgerissene Stoff des Anzugs war wieder wie neu - die Form seiner Handschuhe hatten sich verändert, die schwarze Oberfläche wurde von filigranen, goldenen Linien durchzogen.
Chat Noir hatte sich bei seinem Kostüm nie große Gedanken darum gemacht, wie es aussehen sollte. Er hatte gewusst, dass es sich ändern konnte.
Die goldenen Linien, die wie Krallenspuren den Anzug zierten, erinnerten ihn an Marinettes Geburtstagsgeschenk an ihn. Dies hier war ihr Design. Erst hatte er an Krallenspuren gedacht – vielleicht waren es auch Tigerstreifen, die seinen Anzug nun zierten.
Chat blinzelte, umschloss die Brosche wieder mit den Fingern.Er hatte gerade nicht viel Zeit, über seinen neuen Anzug nachzudenken - oder über die überraschenden neuen Fähigkeiten, die er im Kampf gezeigt hatte -
Die Polizei würde bald bei ihm Zuhause auftauchen - und er musste unbedingt vorher noch mit jemandem sprechen.
***
Adrien fand Nathalie in dem verwüsteten Arbeitszimmer seines Vaters. Sie schien nervös, lief auf und ab, schob immer wieder in fahrigen Bewegungen ihre Brille zurecht. Aus ihrem strengen Dutt hatte sich eine schwarze Haarsträhne gelöst und sie sah immer wieder auf ihre Armbanduhr.
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Magic can turn people into monsters | Chat Noir
Fanfic"Jemand hat mal gesagt, das der Tod nicht der größte Verlust im Leben sei. Der größte Verlust im Leben ist das, was in uns stirbt, während wir noch leben." Der Sommer ist vorbei und Adrien Agreste beginnt sein letztes Schuljahr - sein Bestes und Sc...