Kapitel 2

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„Schon seit kleines Kind an wurde mir erzählt, dass ich auf keine Fall mit kaltem Wasser in Berührung kommen darf.", begann Alea ihre Erzählung. „Meine Pflegemutter Marianne hat auch stets auf mich aufgepasst, doch am liebsten wäre ich einfach... in die Fluten hineingesprungen!" Sie schaute Orion an und erwartete wohl irgendein Kommentar, doch er hing ihr zu gebannt an den Lippen, als dass er etwas hätte erwidern können. Sie nahm den Faden wieder auf. „Doch dann bin ich auf die Alpha Cru gestoßen. Marianne hatte einen Herzinfarkt... und dann erfuhr ich von ihr, dass meine leibliche Mutter mich in Renesse übergeben hatte! Für mich stand außer Frage: Ich musste dort hin. Auf hoher See bin ich dann bei einem Sturm über Bord gefallen. Ich hatte Todesangst und dachte, ich würde sterben. Aber dann habe ich Kiemen und Schwimmhäute bekommen! Nicht den klitzekleinsten Schmerz spürte ich. Als wir dann schließlich in Renesse angekommen waren, fanden wir leider keinerlei Hinweise darauf, wo meine Mutter sein könnte. Doch dafür fanden wir in einem toten Wal eine Schüttelkugel." Sie zuckte bei „toter Wal" kaum merklich zusammen. „In Hajara stand eine Nachricht geschrieben: Die, die dies lesen konnten, sollten nach Loch Ness kommen! Also sind wir losgesegelt. Lennox und ich haben uns aber allein auf den Weg gemacht, da Tess' Eltern kamen. Und wir fanden in dem großen See tatsächlich eine mit Sauerstoff gefüllte Kuppel, in der uns eine alte weise Frau, Artama, erzählt hat, wer wir sind. Außerdem, dass ein Virus alle Meermenschen ausgerottet hat..." Jinx kam und servierte Gebäck, das der Knirps gleich zu verspeisen begann. „In Rach Turana haben wir auch Nachrichten von unseren Eltern bekommen, ich von meinem Vater und Lennox von seiner Mutter. Keblarr hat gesagt, dass ich eine Zwillingsschwester habe und dass er auf Island sei, und deswegen haben wir uns auf den Weg hierher gemacht. Doch die angebliche Kolonie, von der er gesprochen hat, stellte sich als eine Meute aus frustrierten und lebensmüden Erwachsenen heraus, die in alten Wohnwägen, einen Tagesmarsch von der Blauen Lagune entfernt, wohnten. Mein Vater war eine totale Enttäuschung für mich..." Umso besser, dachte Orion. „... darum wollte ich zur Alpha Cru zurück. Wir erfuhren von einem Doktor, der in beiden Welten lebt, und der nach einer Heilung für den Virus sucht! Und so trafen wir auf Sie", schloss Alea ihre Erzählung.

„Du hast nie Kopfschmerzen, Schüttelfrost oder Fieber bekommen, nachdem du im Wasser warst?", kam Orion noch einmal auf die wichtigste Frage zurück, auf die er eigentlich schon eine Antwort bekommen hatte. „Du konntest keinerlei Krankheitssymptome an dir feststellen?"

„Nein, nichts." Verdattert fuhr er sich durch die Locken. „Das ist unglaublich." Doch dann kam ihm ein Gedanke, mit dem er das Vertrauen von Alea sicher schnell erhalten würde. „Womöglich liegt in deinem Blut der Schlüssel für eine Heilung..." In ihrer Stimme hatte er deutlich herausgehört, wie gern sie die Meerkinder wieder „nach Hause" bringen wollte. Natürlich eine völlig absurde Vorstellung, doch mit Orions nächstem Schachzug würde er die Elvarion der letzten Generation schnell auf seine Seite ziehen. „Darf ich dir Blut abnehmen? Ich könnte verschiedene Untersuchungen -"

„Natürlich." Alea sprang auf. „Am besten sofort!"

„Na, das ist die richtige Einstellung", lachte Orion. „Ich habe ein Labor hier im Haus." Beim Wort „Haus" konnte er sehen, wie der Oblivion sich abschätzend umschaute und dies allemal kein „Haus" nennen würde. „Ich zeige es dir." Und wie auch schon erwartet, erhob sich auch Lennox. „Ich komme auch mit." „Ja, kein Problem", erwiderte Orion und versuchte, seine Stimme nicht allzu kühl klingen zu lassen. „Mein Butler Blakkarsson zeigt euch anderen in der Zeit alles." Er schaute Tess, Ben und Knirps an. „Ihr alle könnt gern ein paar Tage bleiben. Jeder bekommt sein eigenes Zimmer. Ihr seid herzlich willkommen!" Du am allermeisten, Alea, fügte er in Gedanken hinzu, bevor er Lennox und sie zu dem Fahrstuhl führte. „Auf ins Labor!"


***

Orion führte Lennox und Alea in sein Labor. Er öffnete, mit dem kritischem Blick des Oblivionen im Rücken, eine Spritze aus einem der vielen Schränke. „Es ist nur ein kleiner Piks." Alea rollte den Ärmel ihres Hemdes hoch und er nahm ihr Blut ab. Mit einem Leuchten in den Augen wandte er sich ab und verstaute die Spritze. Womöglich, dachte er, liegt darin wirklich ein Heilmittel gegen den Virus! Doch dann kam ihm der Gedanke: Natürlich nicht! Sein perfekter Virus hatte keine Schwachstelle. Er wandte sich wieder den beiden zu. „Darf ich dir auch welches abnehmen?", fragte er Lennox. „Warum?"

Orions Spiel (Alea Aquarius Perspektivenwechsel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt