Kapitel 3

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Nach einer Weile schickte Orion Blakkarsson los, um die Kinder durch die Villa zu führen.

„Lass dabei bloß den Kerker aus!", hatte er noch gesagt, auch wenn sein Butler das sicher wusste. Natürlich, es war klar wie Kloßbrühe, doch wenn Alea ihre Schwester sehen würde, wäre sein ganzes Lügennetz gerissen.

Es dämmerte schon und der Doktor ging zum Hauptsaal der Villa, in der Jinx und die anderen schon gute Arbeit geleistet hatten – allerlei Speisen waren auf der festlich gedeckten Tafel und der riesige Raum an sich sah schon pompös ausgestattet aus.

„Wie ist es gelaufen?", fragte Alea, die schon am Tisch saß. „Konnten Sie etwas herausfinden?"

Er bejahte. „Viele Dinge. Aber du musst mir ein klein wenig mehr Zeit geben. Manche der Kulturen, die ich angelegt habe, brauchen ein paar Tage, um valide Ergebnisse zu liefern. Ich würde morgen aber gern ein paar Wassertests mit dir machen, Alea – nur, um ganz sicherzugehen, dass dein Körper beim Kontakt mit dem Virus wirklich keinerlei Schaden nimmt." Sie willigte sofort ein. „Ich bin dann auch wieder dabei", stellte Lennox klar. Natürlich. Der Junge war doch wie eine störende Klette!

Er bemühte sich, neutral zu klingen. „Ja, sicher." Der Doktor häufte sich etwas auf seinen Teller. „Hätten Sie vielleicht Rotfarntee für Lennox?", fragte Alea. „Ich meine... Rofus."

Orion schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Rofus ist momentan schwer zu kriegen", log er. „Ich bräuchte innerhalb der nächsten zwei Wochen auch dringend neuen für meine Spritze." Enttäuscht nickte Alea, doch er lächelte sie aufmunternd an. „Ich muss sagen, ich bin sehr froh, dass wir uns kennengelernt haben."

„Das war Schicksal!", rief der Knirps. Tess schüttelte den Kopf.

„Das war, weil wir einen Oblivion haben, der in Häuser reinkommt, ohne gesehen zu werden." Aha. Dann waren sie also tatsächlich bei seiner alten Praxis gewesen. Orion sprach diesen Gedanken gleich darauf aus. Dann fragte Lennox: „Wieso haben Sie Ihre Praxis eigentlich aufgegeben?"

„Oh, es wurde mir einfach zu viel." Er trank. „Ich praktiziere zwar gerne, aber noch lieber forsche ich."

Ben klinkte sich ein. „Was erforschen Sie denn?" Orion machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich glaube, es wäre zu kompliziert, das zu erklären."

„Versuchen Sie es doch mal", forderte Lennox ihn heraus mit seinem unfreundlichen Tonfall. Dafür erntete er einen überraschten Blick von Alea.

„Okay. Also, einfach ausgedrückt: Ich forsche an einer Heilung von Krebs." Das war eine Lüge. Aber wozu hatte man den auch einen Wandererblockierer und Getränke, in denen man kein Stimmungsspiel lesen konnte? Lennox schaute ihn unverwandt an. „Offenbar waren Sie bisher nicht sehr erfolgreich."

„Lennox!", zischte Alea und auch in Orion brodelte eine kleine Wut auf.

„Da hat er durchaus recht. Leider ist mir der große Durchbruch bislang nicht gelungen."

Lennox setzte noch eins drauf. „Und wieso haben Sie so viel Geld, wenn Sie beruflich gar nicht erfolgreich sind?"

„Ich verstehe, wieso du das wissen willst", gab er kühl zurück. „Es ist in Ordnung, dass du fragst." Eine Lüge musste her, und zwar schnell! In seinem Kopf ratterte es. „Ich habe das Geld tatsächlich nicht mit meiner Forschung verdient. Es ist so: Meine Bemühungen, den Virus einzudämmen, waren in der Meerwelt recht bekannt – es stand damals an allen Anzeigesäulen. Vor einigen Jahren haben mich ein paar überlebende Meermenschen ausfindig gemacht. Sie wollten mir dafür danken, dass ich mich derart für die Meerwelt eingesetzt hatte. Es handelte sich um Meermenschen, die in der Landgängerwelt zu Geld gekommen waren..." Zu einem gewissen Grad stimmte das sogar. Außer der Teil mit dem Geld. Das verdiene ich viel besser, dachte er.

„Sie meinen, Sie haben das alles geschenkt bekommen? Auch die vierzehn Autos in den Garagen?" Alea funkelte Lennox wütend an. „Hör auf damit!"

Das kleine Brodeln seiner Wut war jetzt schon beinahe überkochend. Doch zum Glück hatten ihn jahrelang Erfahrung mit Thea gelehrt, die Gefühle zu verbergen, die anderen Leuten normalerweise auf der Stirn geschrieben waren. Orion seufzte künstlich. „Es ist bestimmt nicht leicht zu glauben, aber ja: Mein Reichtum ist mir von anderen Meermenschen geschenkt worden." Das klang einfach zu lächerlich. Da hatte Alea anscheinend eine Idee. „Könnten Sie vielleicht etwas von Ihrem Geld an andere Meermenschen weiterschenken?"

„An deinen Vater und die Kolonie?", fragte Orion sofort zurück. Oder eher: An die lebensmüden Menschen, die nur bei einem heißen Loch rumgammeln und den Tag lang nichts machen?

„Das wäre so was von cool!", rief der Knirps.

Orion lächelte. „Das ist bereits geschehen, Alea", log er. „Ich habe heute Nachmitttag zwei meiner Angestellten zu der Kolonie deines Vaters geschickt. Sie hatten einen ganzen Anhänger voll mit Lebensmitteln und anderen Dingen dabei, die Keblarr und seine Leute bestimmt gut gebrauchen können."

Alea entfuhr ein spitzer Schrei. „Was? Das ist ja..." Sie sprang auf, lief um die riesige Tafel herum und umarmte den Doktor. Dieser lachte überrascht. „Wie könnte ich Meerbrüder und Meerschwestern denn leiden lassen?"

„Danke", sagte Alea. „Wir sind doch jetzt ein Team", gab Orion zurück, woraufhin sie ihn gleich ein zweites Mal drückte. Nach einer Weile machte er sich von ihr los.

„Möchtet ihr heute Abend in meinem Heimkino ein paar Filme anschauen?"

Ben war beeindruckt. „Heimkino?", wiederholte er.

Orion winkte Jinx und Blakkarsson zu ihm und sprach auf Isländlisch mit ihnen, damit die Kinder sie nicht verstehen konnten. „Bereitet für sie mit Hagen das Kino vor und ein paar Snacks. Doch behaltet den Rotzbengel gut im Auge!" Damit meinte er eher Jinx. Abgesehen von seinen Darkonern konnte nämlich keiner Lennox sehen. Er wandte sich wieder den anderen zu. „Fein! Blakkarsson, Hagen und Jinx zeigen euch alles. Habt einen schönen Abend!" Mit diesen Worten stand er auf und ging zum Aufzug. Er fuhr wieder runter zum Labor. Die Ergebnisse von Aleas Blut wären zu interessant, als dass er jetzt etwas anderes machen würde. Er holte die benötigten Arbeitsutensilien heraus und begann zu forschen. Im Hinterkopf spukte ihm aber die ganze Zeit herum, dass er den Oblivion loswerden musste. Er war ein sehr, sehr großes Hindernis. Wenn er weiter solche Fragen stellte, müsste er ganz klar zu höheren Maßnahmen greifen. Und angeblich schienen Alea und er noch kein sonderlich großes Band zu verbinden. Sie hatte ihm widersprochen und gesagt, dass er aufhören sollte. Eine ernste Beziehung war demnach wohl ausgeschlossen – und schon nahm sein nächster Schachzug Gestalt an. Der Schachzug, der die Elvarion endgültig auf seine Seite ziehen würde.


***

Orion arbeitete die ganze Nacht durch. Ab und zu brühte er sich eine Tasse Kaffee auf, um wach zu bleiben. Bis zum nächsten Morgen hatte er kein Auge zugetan.

Orion beauftragte Jinx und Hagen, das Frühstück vorzubereiten. In der Nacht hatte er sich schon ein Programm überlegt, mit dem er die ganze Horde Kinder auseinanderhalten konnte. Schließlich war dies äußerst wichtig! Wenn der Oblivion sich mit Alea austauschen, und ihre Augen öffnen würde... Quatsch. Was wusste der schon? Trotzdem würde es sicher auffallen, wenn sie jeden Tag immer auseinander gehalten werden...

Blakkarsson hatte ihm erzählt, dass das Mädchen, Tess, sehr gut singen konnte. Darum hatte er für sie etwas ganz spezielles ausgedacht – was sie sicher von den anderen fernhalten wird. Bei Lennox war er zunächst unschlüssig gewesen. Von was ließ er sich von Alea trennen? Doch dann war ihm die Idee mit dem Autofahren gekommen.

Hoffentlich brachte er keine Delle in seine neuen Schlitten hinein.

Orions Spiel (Alea Aquarius Perspektivenwechsel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt