Kapitel 8

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Es war still beim Abendessen. Alea stocherte in ihren Nudeln herum und schien nicht sonderlich erpicht darauf, etwas zu essen. Orion hatte ein paar mal versucht, ein Gespräch anzufangen, doch das war dann durch eine oftmals einsibige Antwort zu Ende gebracht worden. So hatte er sich das ganze nicht vorgestellt. Er hatte das Freundschaftsband der Kinder enorm unterschätzt. Das war ein ziemlich dummer Fehler von ihm gewesen. Und Orion fiel auch nichts ein, mit dem er Aleas Laune bessern konnte. Doch vielleicht brauchte es ein paar Tage, bis sie sich wieder aufgerafft hatte, und dann konnte er sein Spiel mit ihr weiterspielen. Bis dahin brauchte er wohl noch etwas Geduld.

Doch wenn es nicht funktionierte, was konnte Alea dann noch aufheitern?

Ein weiterer Ausflug nach Faramont war wohl nicht sonderlich effektiv in ihrer Lage. Orion überlegte angestrengt und kam zu einem Entschluss. Alea musste von dem Gegenmittel erfahren. Sie musste wissen, dass er es geschafft hatte, eines herzustellen. Doch was würde dann passieren? Vielleicht konnte er das Gegenmittel ein paar Meerkindern injizieren. Eine Handvoll davon würden sicher nicht schnell eine neue Zivilisation aufbauen und mitnichten die Magischen wieder zusammenraffen können. Doch was würde Alea dann machen? Eine Elvarion war da schon etwas anderes, als ein normaler Anschu oder eine Zalti oder ein Lachswanderer. Und laut Prinz Cassaras' Erzählungen war Alea sehr wohl in der Lage, anzuführen. Doch wann genau sollte er ihr von dem Mittel erzählen?

Orion erschrak. Auf was für Gedanken er kam!

Es war absurd. Wie tief er sinken konnte, das hatte er nicht gedacht. Nein, Alea brauchte Zeit um dies alles zu verdauen. Sie konnte – und wollte – ja nicht für die nächsten Tage lang so gut wie nichts sagen, vor sich hinstarren und lustlos in ihrem Zimmer hocken (Alea würde kaum noch weitere Räume seiner Villa sehen oder Spiele spielen wollen).

Doch auch Orion musste sich jetzt an diese Situation anpassen. Nix da, einfach weitermachen wie zuvor. Und Alea konnte er ja auch nicht unbeaufsichtigt lassen. Nicht, dass das schon mal der Fall war, außer beim überaus ärgerlichen Gespräch mit Lennox. Aber offiziell lief hier eine Gretzerbande rum, die Alea höchstwahrscheinlich auch noch entführen wollte, da sie ihnen ‚auf die Schliche gekommen ist'. Orion konnte natürlich nicht bei jedem seiner Männer sagen: „Ich hab ihn schon überprüft. Er ist sauber."

Er sah sie wieder an und überlegte, wie er folgendes formulieren sollte.

„Alea. Wir wissen, dass die Entführer hier im Haus sind. Deine Freunde haben sie schon entführt, und da du weißt, dass sie dahinter stecken, werden sie dich bestimmt auch noch in ihre Gewalt nehmen."

Alea reagierte nicht. Hörte sie überhaupt zu?

„Es gibt ein paar meiner Leute", fuhr er fort, „die zu hundert Prozent keine Gretzer sind, da bin ich mir absolut sicher. Sie sind schon sehr lange bei mir angestellt, und haben mir bis jetzt immer treue Dienste erwiesen. Die würden mich sicher nicht verraten. Jinx, Blakkarsson oder Hagen – am besten bleibst du in Zukunft immer in ihrer Nähe, wenn du gerade nicht bei mir bist."

„Hmm", machte Alea.

„Okay?", fragte Orion.

„Ja."

Nach einem kurzen Moment und einem Blick auf den unangerührten Teller vor ihr, fragte er überflüssigerweise: „Hast du keinen Hunger mehr?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Du kannst jederzeit auf dein Zimmer gehen. Es ist ja auch schon spät." Er winkte Jinx zu sich, der an der Wand stand und dem Geschehen mit zusammengekniffenen Augen verfolgte. „Jinx wird dich auf dein Zimmer bringen. Und meine Anzahl Leute vor der Tür werde ich verdoppeln."

„Okay", sagte Alea und stand auf. Dann folgte sie Jinx mit nach draußen.

Orion lehnte sich stöhnend zurück. Dann ließ er noch ein paar Bücher auf ihr Zimmer bringen (vor allem die, die Thea auch mochte) und verließ ebenfalls den Raum.

Mitten im Gang stand der Nixenprinz.

Orion erschrak, als er Cassaras' grimmige Miene sah, doch er fasste sich sofort wieder und fragte scharf: „Was ist denn jetzt los?"

„Ich will den Silberumhang", knurrte Cassaras. „Der Deal war, dass ich ihn bekomme, wenn das Mädchen hier ist."

Eigentlich war die Frage wirklich sinnlos gewesen. Was konnte er sonst wollen?

„Ich habe ihn nicht", gab Orion zurück. „Und er wird bestimmt auch nicht einfach so vor der Tür liegen, jetzt, da Alea da ist." Er holte tief Luft und schaute sich nach unerwünschten Mithörern um. „Sie haben ihre Arbeit gut gemacht, Prinz, aber ich denke, Alea kann nun bei mir bleiben und ich brauche Ihre Dienste nicht mehr."
„Ich habe noch nicht den Umhang!", wiederholte Cassaras und ballte die Hände zu Fäusten. Knackte es dabei oder hatte sich Orion einfach nur verhört? „Und ohne der Elvarion kann ich ihn nie bekommen. Niemals. Und Sie haben wohl nicht vor, das Mädchen wieder gehen zu lassen." Seine Augen verengten sich. „Womit mein Anteil des Deals noch nicht eingelöst ist."

„Was erwarten Sie von mir?", fragte Orion und hob die Arme. „Dass ich mit den Fingern schnippe und – puff! - liegt hier dieser Umhang? Ich kann Alea nicht wieder gehen lassen. Und außerdem: Sie wird ihn auch nicht sofort bekommen, kaum dass sie aus der Tür spaziert. Sie ist noch ein Kind. Wahrscheinlich erhält sie ihn erst, wenn sie erwachsen ist, oder allemal älter als jetzt. Zwölf Jahre! Glauben Sie wirklich, eine Zwölfjährige ist imstande dazu, die Ozeane zu ‚retten'?"

Cassaras öffnete seine Hände wieder, nur um sie wieder zu schließen und Orion finster anzuschauen. Leider war er um einiges größer als der Doktor, und Orion kam sich in seinen Augen klein vor.

„In ihr steckt mehr, als es auf den ersten Blick aussieht.", sagte Cassaras. „Mag sein, dass sie das in ihrem jungen Alter noch nicht schafft – was ich selbst ebenfalls bezweifle. Doch sie hat das Zeug dazu und ist auch noch immun gegen den Virus im Wasser."

Die Tür ging auf und Jinx traf herein.

„Sie ist jetzt...", sagte er, doch verstummte jäh, als er Cassaras sah. Orion scheuchte ihn schnell wieder raus und schloss dazu die Tür. Er drehte sich wieder dem Prinzen zu, der im selben Moment abermals zu sprechen anfing.

„Ich erwarte keinenfalls, dass ich ihn gleich bekomme", sagte er, und er sagte dies mühsam gefasst. „Doch ich muss ihn bekommen, und das kann ich eben nur mit ihrer Hilfe. Ich habe meine Möglichkeiten zu erfahren, wann ungefähr ich ihn kriege."

„Möglichkeiten? Irgendein magisches Zeug, hm? Dann können Sie doch diese ‚Möglichkeiten' einsetzen, und sich hier wieder blicken lassen, wenn es irgendetwas neues gibt. Was wohl kaum der Fall sein wird. Aber wollen Sie wirklich den Rest Ihres Lebens damit verbringen, der Elvarion hinterher zu schnüffeln? Wegen eines Umhangs?" Orion hatte das Motiv Cassaras' noch nie richtig verstanden. Was konnte man nur an einer Strickjacke so begehrenswert finden? Mag sein, dass man damit in die Zukunft schauen kann, aber konnte man das auch als Nixe? Und zu allem Überfluss auch noch als halber Landgänger?

„Den Rest meines Lebens?", grollte der Prinz nun richtig wütend. „Ich lebe schon so lange. Und in meinen hundertfünfzig Jahren habe ich schon so einiges erlebt, gesehen oder erfahren. Doch der Umhang ist der Ziel des Wartens, des ewiglangen Wartens, und ich werde ihn bekommen." Mit diesen Worten drehte er sich um und lief mit forschen Schritten davon.

Orion sah ihm hinterher. Er wollte Cassaras nicht zu seinem Feind machen, doch es stimmte. Ein Teil der Abmachung war eben der Silberumhang und Orion war sich sicher, dass der Prinz nun alles daran setzen wird, ihn zu bekommen. Wie weit er damit gehen würde, wollte der Doktor gar nicht erst wissen.

Orions Spiel (Alea Aquarius Perspektivenwechsel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt