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Tatsächlich dauerte es keine zehn Minuten, bis Hawks gleichmäßig und ruhig atmete. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das Sofa und versuchte meine Füße warm zu reiben, während ich dem prasselnden Regen zusah. Grau und wild klatschte er an das Fenster und verwandelte sich in einen undurchdringlichen Vorhang.

Unwillkürlich dachte ich an die Wohnung, die mir Jeanists Heldenagentur gestellt hatte. Die Decke in der Küche hatte ein Leck, von dem ich niemandem auf Arbeit erzählt hatte. Ob der Hausmeister sich wohl schon darum gekümmert hatte? Ich hatte all mein Hab und Gut in dieser Wohnung. Die CDs, die Kimmi mir geschickt hatte, ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln.
Und einen Rucksack.
Alte Angewohnheiten, die man nur schwer los wird.

Unsicher sah ich über meine Schulter zum schlafenden Hawks. Was für eine perfekte Kindheit man wohl haben musste, um so erfolgreich zu werden?

Wieder vibrierte das Handy in meiner Jacke. Ich erinnerte mich an Kimmis ungelesene Nachricht. Aber die Benachrichtigung war ein verpasster Anruf von Parola. Offenbar war sie bei dem Unwetter nicht bis zu mir durch gekommen. Ich ignorierte den Anruf und öffnete stattdessen Kimmis Text.

„Die Show ist ins Wasser gefallen T_T Ich hoffe, du konntest dich vor dem Sturm in Sicherhheit bringen. Erzähl es nicht weiter, aber ich habe gehört, dass er von einem Quirk ausgelöst wurde. Irgendwo hat wohl jemand die Kontrolle verloren."
Stumm schnaubte ich ein Lachen. Hätte ich Kimmi rechtzeitig mehr Beachtung geschenkt, würde ich vielleicht nicht hier festsitzen.

„Hey."
Erschrocken sprang ich hoch. War ich eingeschlafen? Hawks stützte sich hinter mir auf seinen Ellbogen und zog langsam eine Augenbraue hoch. „Wer ist Kimmi?"

„Was? Woher kennen Sie Kimmi?" Verschlafen rieb ich mir die Augen und rollte die verspannten Schultern. Wie spät war es?

„Du hast ihren Namen gerufen. Laut."

Plötzlich war ich ungemein dankbar dafür, dass es noch immer so düster war, denn die Wärme, die mir in die Wangen stieg, konnte kaum zu übersehen sein. „Nur eine Freundin. Ich muss schlecht geträumt haben. Es tut mir Leid, dass ich Sie geweckt habe."

Aber Hawks ließ mich nicht aus den Adleraugen. „Ich kann dir nicht mal vorwerfen, dass du lügst", murmelte er und klang beinahe frustriert.

„Wieso sollte ich lügen?", fuhr ich den Helden sofort an. Da war wieder dieses unsichere Flattern in meiner Brust. Deshalb konnte ich Helden nicht leiden.

„Ich weiß wer Kimmi ist."

„Warum fragen Sie dann?" Seine Ruhe machte mich nur noch wütender.

„Weil ich deine Reaktion sehen wollte."

Für eine Weile starrten wir uns nur an. Hawks ruhig und berechnend, obwohl das Fieber noch immer Röte auf sein Gesicht malte und ich, ebenfalls rot, aber vor Wut und Scham.

„Da haben Sie meine Reaktion. Wie es scheint, geht es Ihnen ja wieder besser. Dann lasse ich Sie jetzt in Ruhe." Ich rappelte mich ungelenk auf die Füße, meine Muskeln schmerzten von der seltsamen Position, in der ich eingeschlafen war und ich spürte einen kalten Fleck an meinem Oberschenkel, wo ich mich auf die nassen Socken gesetzt hatte.

„Wo willst du hin?", fragte Hawks und seine Stimme verlor schon wieder an Substanz.

„Ich werde mich vor den Fahrstuhl setzen, bis irgendwer das Ding repariert hat."

„Und das soll ich dir glauben?"
Ich war schon halb wieder bei der Tür, als Hawks es endlich geschafft hatte, sich aufzusetzen.

„Es ist mir ziemlich egal, was Sie glauben. Sie haben alles Recht der Welt mich für eine von den Bösen zu halten." Wütend warf ich die Arme in die Luft, weil mir klar wurde, dass es wahr war. Ich hatte nicht das Recht, wütend auf Hawks zu sein. Mein Einbruch hier war nur ein weiterer Beweis dafür, wie verkorkst ich war.

„Komm zurück", krächzte der Held mit versagender Stimme. „Ich wollte mich nicht über deinen Albtraum lustig machen."

„Albtraum?", fuhr ich ihn spitz an. „Wer hat was von Albtraum gesagt?!"
Er zeigte grob in meine Richtung.
„Ich habe keine Albträume!", fauchte ich, nur um endlich die Tränen zu bemerken, die über meine Wangen liefen. Wie sehr ich es hasste! Die eine Sache, die meine Mutter mir nicht hatte austreiben können, egal wie sehr sie es versucht hatte. Immer, wenn ich vom Tod träumte, wachte ich auf, heulend wie ein kleines Kind. Es gab nichts, was ich dagegen tun konnte.

„Wovon hast du geträumt?", fragte Hawks, der schwankend in meine Richtung kam.

„Von Zwiebeln", maulte ich, während ich versuchte, meine Wangen zu trocknen. „Hören Sie auf, herum zu laufen. Sonst heißt es am Ende doch noch, ich hätte Ihnen was getan. Haben Sie kein Schlafzimmer?" Thema wechseln. Ein Klassiker. Wenn er auch nicht so überzeugend war, wenn man noch immer nicht aufhören konnte, zu weinen.

„Best Jeanist macht sich deswegen Sorgen um dich." Aber Hawks war genauso wenig überzeugend, während er unsicher einen Fuß vor den anderen setzen musste und sein Blick immer wieder unscharf wurde.

„Klar. Und Sie haben das hier alles als Intervention geplant", schnaubte ich und ergab mich. Ich konnte meine Wut ja doch nicht aufrecht erhalten. „Wo ist Ihr Schlafzimmer?" Wieder legte ich Hawks Arm um meine Schultern. Gerade noch rechtzeitig, wie sich herausstellte, denn er sank sofort in meine Arme. „Hey, hey!" Ich tätschelte ihm die Wange, um ihn bei Bewusstsein zu halten.

„Die Treppe rauf", flüsterte er. „Aber das ist -", wollte er protestieren. Doch Hawks hatte keine Ahnung davon, was ich gelernt hatte.

Ich machte einen Schritt vor ihn, ohne dabei seinen Arm los zu lassen. Wie erwartet, sank er wie ein nasser Sack gegen meinen Rücken. Vor ihm in die Hocke zu gehen, ermunterte ihn zu einem undeutlichen Brummen, aber ich schlang meine Arme um seine Oberschenkel und zog ihn hoch, um ihn Huckepack nehmen zu können.

„Rechts oder links?", fragte ich, während ich mich darauf konzentrierte, die Balance zu halten und gleichzeitig das tote Gewicht auf meinem Rücken oben zu halten.

Hawks glühte regelrecht und schaffte es nicht mehr aus eigenen Stücken, auf meinem Rücken zu bleiben. „Links. Zwei", ächzte er direkt an meinem Hals. Sein Kopf hing über meine Schulter und sein haariges Kinn kratzte an meinem Hals. Aber immerhin hatte er aufgehört, sich über mich zu beschweren.

Ich stieß die zweite Tür auf der linken Seite grob auf und war erstaunt. Irgendwie hatte ich mir sein Schlafzimmer in rot und schwarz vorgestellt. Samt und ... irgendwie verrucht. Er hatte diesen Ruf.

Stattdessen stand in der Mitte des Raums ein riesiges Himmelbett, mit einem durchsichtigen, weißen Baldachin, der wie Wolken aufgebauscht war. Irgendwie kitschig.

Vorsichtig ging ich zur rechten Seite. Ich wusste nicht, wo er wirklich schlief - sein Bett war makellos gemacht- , aber die rechte Seite war näher zur Tür, also ging ich dorthin.
Hawks stöhnte nur leise, als ich ihn aufs Bett sinken ließ.

„Sie brauchen dringend einen Arzt." Doch es schien, als hätte ich das Wohlwollen der Götter aufgebraucht, denn wieder zuckte ein Blitz über den Himmel und erleuchtete die ausladenden Fenster.

Frustriert sah ich mich um. Würde ich ihn so alleine lassen, würde man mir wirklich die Misshandlung eines Helden anhängen.
Ich würde Hawks wenigstens so lange Pflegen müssen, bis wir einen Arzt hier her rufen konnten.

HeldenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt