04

69 9 0
                                    

Es war seltsam, von einem Pro-Helden aus dem Krankenhaus geführt zu werden. Wir gingen durch einige ungewöhnlich leere Flure, ehe wir mit einem Fahrstuhl ins Untergeschoss fuhren. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Auch wenn ich nicht oft in Krankenhäusern gewesen war, so hatte ich doch aus diversen Shows im Fernsehen gelernt, dass im Untergeschoss immer die Leichenhallen waren.

Unsicher warf ich Best Jeanist einen Seitenblick zu. Bis auf die wenigen Zentimeter über seinem Kragen war er völlig mit Stoff bedeckt. Sollte er mich angreifen, würde ich nicht schnell genug reagieren können um mich zu wehren. Ich wischte mir den kalten Schweiß in meinen Handflächen an dem Pullover ab, den der Held mir gegeben hatte.

"Du musst nicht nervös sein", summte der Mann fröhlich. Wie hatte er es bemerkt, ohne zu mir herüber zu sehen? "Mein Fahrer wartet hier unten auf uns, damit wir ungesehen das Krankenhaus verlassen können."

"Warum?" Nichts an seiner Aussage beruhigte mich auch nur ansatzweise. Wenn niemand wusste, wo ich war, was sollte ihn dann davon abhalten, mich doch noch für das, was ich getan hatte, hinzurichten? Nicht nur hatte ich bezüglich meiner Identität betrogen, ich hatte eine nicht registrierte Fähigkeit und hatte diese oben drauf auch noch dazu benutzt, jemanden zu töten.

Der Jeanist hielt mir die Tür eines langen, dunklen Wagens auf. "Es gibt schon genug Gerüchte um deine Person. Wenn man dich jetzt in meiner Begleitung sehen würde, könnten wir die Presse nicht mehr kontrollieren."

Obwohl er mich nicht überzeugt hatte, ließ ich mich auf das kalte Leder gleiten. Ich hasste Leder. Es war kalt und im Sommer klebrig und man musste perfekt still sitzen, ansonsten quitschte und quiekte es wie eine Horde Schweine.

Als hätte er meine Gedanken gehört, glitt der Jeanist auf der anderen Seite auf die Rückbank und sein Sitz machte nicht das leiseste Geräusch. Frustriert biss ich mir auf die Zunge.
"Also Lina Mei." Der Wagen setzte sich in Bewegung und ich spannte jeden Muskel an, um meinen Sitz genauso still zu lassen, wie es der Held konnte. "Wir müssen ein paar Dinge klären." Er zog ein modernes Tablet aus seiner Tasche und mit wenigen Bewegungen fand er, was er suchte. "Wenn das nicht dein richtiger Name ist, wie heißt du wirklich?"

Meine Finger gruben sich in die Sitzfläche, bis meine Nägel drohten, das Leder zu durchbohren. Überlebe!, ermahnte ich mich selber. Zum ersten Mal in meinem Leben war da niemand, der mir eine Richtung vorgab. Ich musterte die Reflexion des Helden in der Fensterscheibe. Er war sehr geduldig, aber deutlich achtsamer als der Polizist es zuvor gewesen war. Ich sah, wie seine Augen zu meinen Händen huschten und zwang mich sofort, meine Finger zu enstpannen.
"Ich habe keinen wirklichen Namen."

Der Held tippte etwas auf das Display. "Dann werden wir uns etwas überlegen müssen. Hast du einen bestimmten Wunsch? Ich meine, irgendwie müssen wir dich nennen."

Skeptisch drehte ich mich zu ihm herum. "Das geht? Einfach so?"

"Ich kann mir einen Namen ausdenken, wenn du möchtest, aber ich kann dir nicht versprechen, dass er dir gefallen wird." Er zuckte mit den Schultern und war schon drauf und dran, etwas zu tippen.

"Lina Mei ist okay", kam ich ihm schnell zuvor.

Nickend gab er den Namen ein.
"Jetzt zu etwas größerem." Er ließ das Tablet sinken und sah mir direkt in die Augen. "Dein Quirk."

Ich schluckte trocken. Wie viel würde ich preisgeben müssen? "Sie waren da. Sie haben gesehen, was ich getan habe", versuchte ich abzulenken.
"Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich erst eintraf, als du dir das Messer in den Hals gerammt hast." Er hatte den Anstand ehrlich bedrückt auszusehen. "Ich habe einige der Videos gesehen, die im Internet kursieren, aber ich möchte von dir hören, was du tun kannst."

Ich hatte keines der Videos gesehen und je öfter die Leute davon sprachen, desto weniger wollte ich es. Meine Erinnerung drehte sich einzig und alleine um Kimmie. Ihre Schreie, die Todesangst in ihren Augen. Ich hatte gehört, dass sie versucht hatte, mich zu besuchen, aber ihre Verletzungen waren deutlich schlimmer als meine, weshalb man ihr jeden Kontakt verboten hatte.
"Ich kann eine Verbindung zu anderen herstellen", begann ich zögerlich. Zu wissen, dass man etwas tun oder sagen muss ist das eine. Aber gegen die über Jahrzehnte anerzogenen Muster zu verstoßen, war nicht leicht.

"Hast du deswegen den Koloss noch einmal angegriffen, als du bereits verletzt warst?"

Langsam nickte ich. "Ich hatte die Verbindung im ersten Moment nicht hergestellt, weil ich dachte, die Helden würden sie retten." Wieder schluckte ich. Die Helden hatten versagt und mich dazu gezwungen, mein Leben aufzugeben.

"Was passiert dann? Wenn du diese Verbindung hergestellt hast."

Ich faltete meine Hände im Schoß, um sie nicht unruhig zu kneten. "Ich kann das, was mir passiert, auf die andere Person übertragen."
"Und du bleibst dabei unverletzt?" Ich wusste, dass er meinen Hals besah, ohne zu ihm auf zu schauen. "Was kannst du noch?"
"Das ist alles. Ich übertrage meine Verletzung auf die andere Person." Das war nur ein Bruchteil von dem, was ich mit meinen Fähigkeiten mittlerweile anstellen konnte, aber ich würde nichts verraten, was ich nicht unbedingt muss.

"Ich verstehe", murmelte der Jeanist und tippte wieder etwas auf das Tablet. Aber er verstand gar nichts. Mein Quirk, der Pakt, war so viel mehr als bloße Übertragung von Wunden. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr verstand ich, was meine Eltern damit meinten, wenn sie sagten, dass wir zu Bösem geboren waren.

"Wer ist Stain?", fragte ich und riss den Helden aus seiner Konzentration. Ich deutete auf eine Anzeigetafel an einem Hochhaus, die neuste Nachrichten über einen Verbrecher namens Stain zeigte. Tsukauchi hatte auch von ihm gesprochen. Davon, dass meine Strafe ausgesetzt wurde, weil dieser Stain so viel Arbeit machte.

"Ein Verbrecher", tat Jeanist meine Frage ab, aber er ging nicht sofort wieder zu seiner Arbeit zurück. "Machst du dir Sorgen wegen ihm?"

"Ich weiß nicht mal, wer das ist. Ich hatte nie viel Zeit für Nachrichten."

Man sah dem Helden an, dass er mehr fragen wollte, es sich aber anders überlegte. "Stain hat einige sehr starke Helden getötet oder verwundet. Sein Auftreten und seine Überzeugung haben viele kleinere Ganoven angestachelt."

"Was sind seine Überzeungungen?"

Seufzend ergab sich Best Jeanist meiner Ablenkungstaktik. "Er ist der Meinung, dass es zu viele Helden gibt, die sich nur nach Ruhm und Geld sehnen. Und solche Helden hätten nicht das Recht, sich Helden zu nennen."

Wieder sah ich zu dem Bild auf der großen Reklametafel. Der Mann war wirklich nicht schön anzusehen. Mit seinem breiten Froschmaul und den zotteligen Haaren. Es erstaunte mich, dass so jemand so einen Einfluss haben konnte. "Ich meine", murmelte ich, "er hat nicht Unrecht." Fragend sah ich zu dem Helden hinüber. Hatte ich zu viel gesagt?
Doch in meinem Kopf spon sich Stains Aussage schon viel weiter.
Aber gilt das Gleiche nicht für Verbrecher? Selbstmitleidige Jammerlappen, die sich von der Welt ungerecht behandelt fühlen? Sowas sollte sich nicht als Böse bezeichnen.

Der Pro-Held sah mich neugierig an. "Ich denke, dass der Grundgedanke vielleicht nicht falsch ist. Helden sollten mehr als nur ihr eigenes Leben im Sinn haben", gestand er mir unerwartet ehrlich. "Aber er übersieht dabei, dass unser Image ein wichtiger Teil unseres Jobs ist. Nur ein zuversichtlicher, positiver Held kann den Leuten Sicherheit und Zuversicht vermitteln."
Mir war nicht entgangen, dass er mich die ganze Zeit gemustert hatte. Ich nickte zustimmend, auch wenn ich seine Worte nur halb glaubte. Das Image. Tss.

HeldenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt