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Ich hatte nichts mehr zu dem Thema zu sagen gehabt und war stattdessen das Geschirr spülen gegangen. Es auszusprechen war schrecklicher, als ich erwartet hatte und ich war dankbar für die Einsamkeit in der Küche, als ich leise in das Seifenwasser weinte. Das zweite Mal in so kurzer Zeit, dass ich heulte. Ein Rekord.

Aber wie konnte ich auch nicht heulen? Meine Eltern hatten mich zurück gelassen. An einem so fremden Ort. Voller feindseliger Menschen, die ich belügen musste, um am Leben zu bleiben. Ich hatte keinen richtigen Schulabschluss, keine Ausbildung oder sonst irgendwelche Berufserfahrung.

Alles, was ich konnte, war weglaufen und lügen und ein Pferd mit bloßen Händen stemmen. Früher wäre das mal eine Attraktion in einem Zirkus gewesen, aber heute, wo jeder irgendwelche besonderen Quirks hatte, war ich nur eine von vielen.

Und dann kam noch dazu, das mein Quirk für einen Helden ziemlich nutzlos war. Zuerst musste ich das Ziel direkt berühren, was schon riskant genug war und dann konnte ich damit ausschließlich verletzen. Ich konnte niemanden bewegungsunfähig machen, wie Medusa oder Terribilis oder fesseln, wie der Jeanist es so oft tat. Ich könnte tödlich verwunden und das war nichts, was gut aussah bei einem Helden.

Lustlos trocknete ich die Schüssel ab und stellte sie zurück in den Schrank. Es war seltsam. Mein Blick glitt über das gleichförmige Geschirr. Alles gehörte zum selben Set. Alles war der gleiche Elfenbeinton. In der Besteckschublade passte jede Gabel perfekt zur nächsten. Wie in einem Einrichtungshaus, dachte ich und drehte mich dem Wohnzimmer zu. Es war mir zuerst nur unbewusst aufgefallen. Aber nichts in dieser Wohnung war persönlich. Das graue Sofa mit der passenden Tagesdecke und den abgestimmten, schlichten Kissen.
Keine Deko, keine Bilder, nicht mal Pflanzen. Dafür, dass Hawks in der Öffentlichkeit so ein charmanter Held war, war seine Wohnung erschreckend unpersönlich.

Ich trat an das große Fenster heran, auch wenn der Regen es unmöglich machte, auch nur bis zum Ende des Balkons zu sehen. Irgendwie unterschied sich diese Wohnung nicht sehr von denen, in denen ich bisher mein Leben verbracht hatte - mal abgesehen von der schieren Größe.

Fertig eingerichtete Wohnungen, mit Möbeln aus einem Katalog. Alles perfekt zueinander passend. Kalt und steril. Einem Gefühl folgend streifte ich durch die untere Ebene der Wohnung. Öffnete Tür um Tür, nur um ein riesiges Zimmer nach dem anderen zu entdecken. Unter Anderem ein Badezimmer, wie ich es für diese Wohnung erwartet hatte. Mit einer Badewanne, die größer war, als mancher Leute Whirlpool. Einer Dusche mit so vielen Knöpfen, das ich mich fragte, was außer Wassertemperatur man denn noch einstellen musste? Und natürlich der obligatorischen Spiegelwand mit LED-Beleuchtung. Sogar die Wasserhähne waren golden, wie es zu so einem protzigen Badezimmer passte.

Doch ein Zimmer verwirrte mich. Ein Schlafzimmer, bestimmt dreimal so groß, wie das oben. Warum hatte er mich dazu gebracht, ihn die Treppe rauf zu schleppen, anstatt ihn hier abzusetzen? Neugierig öffnete ich die Türen des Kleiderschranks und hier fand ich die Kleidung, die ich erwartet hatte. Maßgeschneiderte Anzüge, Schubladen voller Uhren und Krawatten. Ein ganzes Regal voller Designerschuhe. Sogar die schwarze Bettwäsche passte zu dem Bild, das ich von dem Helden hatte.

Ich schloss die letzte Schublade und spürte den Neid in mir aufwallen. Wie ein Tropfen schwarzer Tinte in klarem Wasser. Wieder kamen mir Stains Worte in den Sinn. Über Helden, die sich in ihrem Ruhm und Reichtum sonnten.

„Bist du dumm?!", unterbrach ich meine Gedanken sofort. Aber ist das Wasser erstmal verschmutzt, ist es schwer, es wieder so klar wie vorher werden zu lassen.

Wieder ging mein Blick zum Fenster. Es wurde Zeit, dass ich hier raus kam. Ich funktionierte am besten, wenn ich stumpfe Arbeiten für Parola ausführen konnte, bei denen ich nicht über mich und die Situation um mich herum nachdenken musste.

Auf dem Weg zurück sammelte ich meine Schuhe auf und zog wieder das Leder über meine Hände. Genug.

Als ich das Schlafzimmer betrat, saß Hawks aufrecht in seinem Bett, sein Blick hinaus in das trostlose Grau des Regens. „Ich habe dich verletzt", stellte er fest, als er mich mit gepackten Sachen sah. „Das war nicht meine Absicht."

Ich schüttelte den Kopf. „Brauchen Sie noch etwas? Soll ich jemandem Bescheid sagen?"

„Eine Bitte hätte ich noch. Den Brief, mit dem das alles angefangen hat."

Artig holte ich den Brief und reichte in Hawks. Mit einer seiner Federn als Brieföffner trennte er das Papier und zog die dicke Einladungskarte hervor. Goldene Lettern auf der Vorderseite leckten an dem Neid in mir und musste mich abwenden, um nicht darüber nachzudenken, wie anders diese Welt von meiner war.

Nach wenigen Sekunden sah ich aus dem Augenwinkel wie Hawks mir etwas hinhielt. „Hier. Mein Dank."
Es war die Einladungskarte. Ich nahm sie entgegen und laß ungläubig, was er geschrieben hatte. Woher hatte er plötzlich den Stift geholt?
Auf der Karte war „Nehme Teil" angekreuzt und bei „+1" stand mein Name. Immer wieder sah ich zwischen Hawks und der Karte auf.

„Was?", fragte ich, als meine Gedanken immer weniger Sinn machten.

„Das ist eine Benefiz-Veranstaltung. Best Jeanist wird sicher schon jemanden bei sich eingeplant haben. Aber so stehst du auf der Liste."

„Warum?", fragte ich ungläubig. Es war nicht so, dass ich nicht neugierig war. Aber gleichzeitig war das der letzte Ort an den jemand wie ich gehen sollte.

„Damit du alle Seiten kennenlernen kannst, bevor du dich dagegen entscheidest, eine Heldin zu werden."

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