Folge 1 ~1.3~ Mit dem Wissen um Wahrheit und Tod

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~1.3~

Er wiederholt das Ganze und lässt das Video zum Anfangszeitpunkt zurückspulen, als wäre der vorige Versuch nur ein Irrtum gewesen. Wieder ist nichts zu sehen und ich beiße unmerklich die Zähne zusammen. Pastors Schultern versteifen sich und die Anspannung baut sich stetig weiter auf. Er starrt ungläubig auf den Monitor.

„Was zum..." Er stoppt, bevor er den Fluch aussprechen kann und sieht zu mir. „Spinn ich?" Eine offensichtlich rhetorische Frage. Ich erkenne die puren Zweifel und reine Irritation in seiner Stimme. „Sie haben es auch gesehen, oder? Da war ein... ein... ein Schatten..." Sein Zeigefinger drückt sich mehrmals gegen den Bildschirm und jedes Mal kann ich quasi sehen, wie die Pixel unter der Membran schreien. In seinem Gesicht bemerke ich das Wechselspiel aus absoluter Sicherheit und nagendem Zweifel. Seine Augenbrauen sind ein stetiges Kräuseln. Auch sein Mund öffnet und schließt sich im Sekundentakt. So viele Fragen, die einem kontinuierlich durchfluten. Ist es wirklich wahr? Kann man seinen eigenen Augen trauen? Kann man sich jemals sicher sein? Meine Erfahrungen lehren mich, dass es kein Absolut gibt.

Für einen Moment lang glaube ich, dass er einen weiteren Versuch startet, hofft und erwartet, doch dann lehnt er sich zurück und lässt ermattet seine Hände in den Schoß fallen.

„Was ist...was passiert hier?" Seine Frage ist nur ein Flüstern und ich bin sicher, dass er darauf keine der Antworten will, die ich ihm geben kann. Ruckartig steht er auf, streicht sich energisch durch die Haare und wandert ein paar Schritte durch das kleine Büro. Statt ihm dabei zu zusehen, lasse ich mich auf den freigewordenen Stuhl fallen und spule erneut zurück. Wieder kein Schatten. Ich friere das Bild ein und wandere sorgsam alles mit den Augen ab. Am äußeren Bildrand bleibe ich hängen.

„Ist das einer der Zeugen?", frage ich und deute auf die schmale Gestalt im Hintergrund. Pastor kommt wieder zurück und beugt sich über meine Schulter hinweg dichter an den Bildschirm heran.

„Laut Bericht wurden nur die Mitarbeiter der Tankstelle als Zeuge befragt. Niemand sonst", gibt Pastor wieder und starrt fragend auf den Monitor. Seine Augen kneifen sich zusammen, als würde sich damit die Auflösung der Aufnahmen bessern lassen. Er wirkt überrascht. „Lass das Video weiterlaufen", sagt er und streckt seine Hand nach der Computermouse aus, um es selbst voranzubringen. Nun lehnt er fast auf meiner Schulter. Ich schubse spielerisch seine Hand weg und wir sehen uns augenblicklich stoisch an. Abrupt richtet er sich auf und macht stattdessen eine auffordernde Geste in meine Richtung. Er hat nicht mal gemerkt, dass er mich duzt. Ich hebe amüsiert die linke Augenbraue, drücke kopfschüttelnd auf Play und lasse die Aufnahme weiterlaufen. Diesmal konzentrieren wir uns einzig auf die Geschehnisse im Hintergrund.

Die Person ist, wie erwartet, nicht kaum zu erkennen. Sie trägt einen hellen Pullover oder eine Jacke. Jeans, die etwas zu weit sind. Helle Turnschuhe. Es sind einzig Vermutungen. Es gibt keine Farbe. Nur Schattierungen. Es könnte jeder sein. Die Statur ist eher schmächtig, nicht besonders groß. Mehr die eines Jugendlichen. Oder einer kurzhaarigen Frau. Sie steht vollkommen regungslos da und beobachtet die Geschehnisse an der Tankstelle. Würde ein unbeteiligter Zeuge nicht weglaufen oder sich in irgendeiner Form regen? Gut, in der heutigen Zeit würde man eher eine Handyaufnahme tätigen. Doch die Person macht nichts dergleichen. Erst als die Schüsse fallen und Bakow zu Boden geht, regt sich die Gestalt. Sie läuft ein paar Schritte auf das Auto zu, bückt sich. Unmittelbar danach schreitet sie ruhig und langsam aus dem Bild.

„Was hat er da aufgehoben?", fragt Pastor. Wieder spulen wir zurück. Durch den Winkel der Kamera ist nicht näher zu erkennen, was es ist, aber kurz, bevor die Schüsse fallen, sieht man, wie es dorthin geworfen wurde. Vielleicht durch den Toten. Wir öffnen die Aufnahmen der Tankstelle erneut und lassen beides parallel ablaufen. Tatsächlich erkennt man kurz vor dem Auftreffen, wie der Tote schwungvoll seine Hand hebt, ehe auf die Polizisten zustürmt. Was er wirft, ist nicht zu erkennen. Hernandez meldet sich zurück und wir bitten ihn darum, die vermerkten Parts in die forensische Abteilung zu geben. Wenn wir Glück haben können sie das Bild schärfen und uns damit Details liefern.

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