~1.2~
Mit kreisenden Gedanken bleibe ich noch etwas länger sitzen, inspiziere wieder und wieder die aufgeschlagene Akte und weiß letztlich nicht, was ich suche. Anzeichen sind da, keine Frage, aber mir fallen allerhand andere Ursachen ein, die zu derartigen ungewöhnlichen Verhalten führen können. Nicht wenige davon habe ich dem engstirnigen Detective vor Minuten benannt. Als ich zum zigsten Mal die Bilder hervorhole und es merke, lege ich sie ohne einen Blick darauf zu verwenden. Ich drehe mich im Kreis. Die Anzeichen sind da, also, worauf warte ich? Den Beutel mit den schmutzigen Klamotten werfe ich mir über die Schulter, eher nach kurzem Zögern die Akte greife und daraufhin das Revier verlasse. Bevor ich an meinem Auto ankomme, dämmert es längst. Überall tanzen Schatten in den verschiedensten Farben.
Beim Betreten meiner Wohnung lasse ich das Licht ausgeschaltet. Der kleine Flur, von dem aus sich der Hauptbereich öffnet, wird durch das große Fenster und den Stadtlichtern im Wohnzimmer partiell mit beleuchtet. Trotzdem ist der Raum relativ dunkel. Wieder einmal ist die Straßenbeleuchtung vor dem Haus defekt. Doch ich lasse mich nicht beirren, denn ich habe Vertrauen in die Dunkelheit. Auch wenn es eigenartig klingt. Sie hat mir nie etwas ausgemacht und wenn ich ehrlich bin, dann betrachtete ich sie stets freundschaftlich. Nicht zuletzt, weil ich in sie hinein geboren wurde. Doch, das ist eine andere Geschichte.
Ich bewege mich mühelos durch die abgedunkelten Räumlichkeiten. Jeder Winkel ist mir bekannt. Jeder Schritt ist wissend. Ich begebe mich in die anschließende offene Küche und lasse Schlüssel und Handy auf der Kücheninsel liegen. Der Blick in den Kühlschrank unbefriedigend, daher mache ich kehrt, laufe gradewegs auf mein Bett zu und falle einfach hinein. Es ist praktisch, alles in einem Raum zu haben. Die Schlafstätte umfängt mich mit dem Duft von unruhigen Träumen und stickigen Nächten. In der letzten Zeit nicht ungewöhnlich, nicht mal unerwartet. Es ist nur ein Gefühl. Ein inneres Beben. Nichts Konkretes. Doch es lässt diese Anspannung in mir entstehen.
Wenig später drehe ich mich vom Bauch auf den Rücken und starre gen Decke. So, wie ich es in den letzten Nächten öfter praktiziert habe. In dieser Position fühlt es sich unvermittelt an, als würde jemand, mit den Ausmaßen eines Elefanten auf meinen Gliedmaßen sitzen. Die Anstrengungen der vergangenen Tage machen sich bemerkbar und brechen über mir ein, wie es der Golem getan hat. Ich bin müde, einschlafen kann aber nicht, denn ich sehe dauernd die schwarzen Fingerspitzen vor mir. Den trüben Blick seiner einst weitgeöffneten Augen. Seufzend drehe ich mich auf die Seite zurück und mache es so lange, bis ich auf die Wand an der einen Seite des Bettes stoße. Das Ganze vollführe in die andere Richtung, bis mich die Rückseite des Sofas stoppt. Hätte ich dabei die Bettdecke mitgenommen, wäre ich jetzt ein perfekter Burrito. Ächzend rolle ich mich auf den Rücken zurück. Es ist zu früh, um zu schlafen. Teile meines Gehirns sowie ein Großteil meines Körpers legen lauten Protest ein, während ein anderer erneut einen Sprint beginnt.
Am nächsten Morgen stehe ich, trotz schlafloser Nacht und eines kurzen Abstechers zur Apotheke, pünktlich vor dem gerichtsmedizinischen Gebäudekomplex. Dr. Nathanael Wariks Reich. Der Bezirksgerichtsmediziner ist ein Mann Mitte dreißig. Groß. Schlank. Seine Abschlüsse alle samt Summa cum laude. Seine Reputation ist bemerkenswert und seine Faszinationen umfangreich. Er gehört zu diesem gewissen Menschenschlag, die alles wissen oder zu mindestens schon mal darüber gelesen haben. Er besitzt das Talent, niemanden merken zu lassen, ob er die Dinge tatsächlich weiß oder nur vermutet. Damit erzeugt er eine Sicherheit, die ich anregend finde. Zudem lässt er in seiner Freizeit Drachen steigen, was im ersten Moment gar nicht zu der geerdeten Ausstrahlung passt und trotzdem, das Bild vollkommen abrundet. Dieses Detail erfuhr ich, als ich ihm eine halbe Stunde dabei zusah, wie er mir, seiner Meinung nach, die perfekte Tasse Tee herstellte. Letztendlich habe ich es nicht fertiggebracht, ihm zugestehen, dass ich meinen Tee am liebsten heiß mag und mit Honig statt mit Milch. Es war auch egal, denn ich genoss die unbeschwerte Kameradschaft, die er mir zuteilwerden ließ, da der Stand bei den sonstigen Kollegen nicht der Einfachste ist.
DU LIEST GERADE
Solution X
Mystery / Thriller~Es gibt Dinge in dieser Welt, die mehr sind als bloße Fantasien in den Schriften vergangener Zeiten. Tief verankert in alten Religionen, Bräuchen und Erinnerungen existieren Wesen und Kreaturen jenseits von hell und dunkel. Nichts ist nur schwarz...