~3.1~
POV Vikar Damast
„Was für eine beschissene Idee... ernsthaft, Damast, was hast du dir dabei gedacht? Verdammt noch mal. WARUM?", fluche ich aufgebraucht in die Wildnis hinein und japse weitere Schimpfphrasen, als wären diese der letzte Strohhalm zum Überleben, während ich entkräftet durch das Dickicht stolpere. Der Wald schweigt. Natürlich. Ich habe nichts anderes erwartet. Es ist meine eigene Schuld. Ich weiche schwungvoll ein paar Eichenblättern aus, die mir der Wind entgegenträgt, was mich folglich über eine Wurzel stolpern lässt. Ich fange mich im letzten Moment, indem ich nach einem schmalen Ast fasse und prompt in eine verharzte Stelle greife. Damit verliere ich endgültig die Fassung und den letzten Rest Geduld.
„Diese verdammte NATUR!!!", brülle ich und runde es mit einem knurrenden Laut ab, der jeden Grizzly erschaudern ließe. Verstimmt begutachte ich die durchsichtigen, goldbraunen Rückstände in meiner Handfläche, die neben Moos, Flechten und kleinen Rindenteile auch einen traurigen, längst krepierten Käfer beinhalten. Ich beneide ihn für sein Glück, da er seinen Leidenspfad schon beendete. Meiner steht mir noch bevor, in mehr als einer Weise. Ich versuche, mit dem Daumen der anderen Hand und Spucke die klebrigen Überbleibsel zu entfernen und scheitere. Nachdem ich aufgebracht gegen eine andere Wurzel trete, sehe ich mich verstohlen um, um sich sicherzugehen, dass nicht irgendein Naturwesen aus dem Nichts vor mir auftaucht und erbost dreinschaut. Die, die ich bisher kennenlernte, waren von der weniger netten Sorte. Ich hasse die Natur. Nein, genau genommen hasst sie mich, denn anders ist es nicht zu erklären, dass es jedes Mal in einer Katastrophe endet, wenn ich nichturbane Räume betrete. Wurzeln sind immer da, wo ich hintrete. Jedes Mal, wenn ich mich umdrehe und zurückwende, sind plötzlich Äste mit Blättern oder Spinnenweben vor mir, die vorher nicht da gewesen sind. Ich trage niemals die richtige Kleidung, schwitze, friere oder wünschte, sie wären mir nicht gestohlen worden. Ich trete immer unvermittelt in Pfützen, Löcher und Erdhöhlen. Egal, wie vorsichtig ich mich bewege oder wie achtsam ich mich verhalte.
Es lässt sich wohl im Einverständnis festhalten, dass unsere Abneigung gegenseitig ist. Trotzdem stehe hier, mitten im Wald. Natur und ich sind keine gute Idee, sind es nie gewesen und werden es niemals sein. Also, warum bin ich hier? Ich muss todesmutig sein oder vollkommen schwachsinnig. Ich wünschte, ich würde mich daran erinnern, wann ich falsch abgebogen bin, denn mein Plan sah lauschige, asphaltierte Wege und Straßen vor. Nicht das hier. Ich trete noch einmal gegen die gleiche Wurzel. Schuld ist dieser verflixte Fitnesstest, zu dem mich der Sergeant zwingt. ‚Sie können sich nicht auf ihre Waffe verlassen, Damast', sagte er. ‚Sie müssen den Standards des Reviers entsprechen, Damast.', meinte er, während er sich klammheimlich Puderzucker von seinen Fingerkuppen rieb. Als ich es wagte, Captain Lamark konsultieren zu wollen, hat er mich angeschrien, als wäre ich Kadett an der Akademie. So ein drillender Nervsack.
Ich bin müde und angepisst. Mein Körper ist absolut dagegen, weiterzumachen und mein Verstand kurz davor, mich vollends meinem Schicksal zu ergeben und dem Bestatter Arbeit zu ersparen. Allerdings ist meine eher ballaststoffarme Ernährung kein Verwesungsbooster im klassischen Sinne. Aufgrund des lehmig-tonhaltigen Boden würde ich nicht als Humus, sondern als Wachsleiche enden. Das wäre kontraproduktiv und keine sehr attraktive Vorstellung. Ich ächze frustriert in die beschauliche Stille des Waldes hinein. Mir antwortet ein Zirpen. Ich schließe die Augen und streiche mir mit der Hand über den klammen Nacken. Trotz voranschreitenden Herbstes ist es immer noch verhältnismäßig warm und hin und wieder blitzen Sonnenstrahlen durch das dichte, verfärbte Laubdach hervor. Es ist eine wunderbare Jahreszeit, selbst in der Stadt.
Die Ruhe dringt zu mir durch und verlangsamt meinen pulsierenden Herzschlag, bis er an Normalität anheimelt. Dann sehe ich mich um. Wo bin ich eigentlich? Ich ziehe das Handy hervor und stecke es weg, als ich erwarteterweise kein Netz-Symbol vorfinde. Und nun? Ich habe keine nutzbringende Antwort parat. Doch eine plötzliche Welle des Unbehagens zwingt mich zur Obacht. Sie rollt über meine Haut und brandet im Haaransatz meines Nackens. Nicht einmal. Zweimal. Ich vernehme ein Knacken, gefolgt von einem nahenden Rascheln. Rechts von mir. Nein, links. So laut, dass es durch meine Kopfhörer dringt. Es schwebt um mich herum wie ein tiefes Echo. Ich halte abrupt inne und sehe mich alarmiert um. Nichts. Nur der Wind, der über die Blätter streicht und dabei scheinbar den Rhythmus meines rasenden Pulses annimmt. Im Wald können einem die Sinne Streiche spielen. Das Flüstern. Das Surren. Tanzende Schatten sind überall. Die Natur ist immer in Bewegung und dadurch kann man sich schnell täuschen lassen. Ich reibe mir über den Nacken, beruhige meine feuernden Gedanken, indem ich mir wiederholt sage, dass nicht in jedem Schatten eine Gefahr lauert und setze mich in Bewegung. Wäre mein Herz nicht längst auf Hochtouren, würde es durch das Prickeln vorangetrieben, das sich im selben Moment über meinen Nacken zieht und in beiden Ellenbogen verweilt.
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Solution X
Mystery / Thriller~Es gibt Dinge in dieser Welt, die mehr sind als bloße Fantasien in den Schriften vergangener Zeiten. Tief verankert in alten Religionen, Bräuchen und Erinnerungen existieren Wesen und Kreaturen jenseits von hell und dunkel. Nichts ist nur schwarz...