Folge 2 ~2.4~ Superdupernatural

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~2.4~

Am nächsten Tag bin ich pünktlich im Büro und kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wie ich das bewerkstelligen konnte. Die Nacht war kurz und der Morgen verflüchtigt sich immer weiter im undurchsichtigen Dunst der Erinnerungen. Auch nach der ersten Tasse schwarzem Wachmacher fehlen mir die Teile zwischen Aufstehen und Kaffeetrinken. Ich schließe die Augen und lehne meinen Kopf gegen einen der aufgetürmten Aktenstapel, während mein Rechner hochfährt und ich mir wünsche, dass der Berg von allein verschwindet. Scheinbar bin ich auf Autopiloten hierhergefahren, dann schaffe ich es sicher auch, mit der Kraft des Traumzustandes den Papierkram abzuarbeiten.

„Wow, du siehst... bescheiden aus. Aber immerhin lebendiger als der Golem." Es ist die tiefe Stimme und der Verweis auf das mystische Wesen, was weniger fabelhaft war als gedacht, was mich - ohne die Augen zu öffnen - wissen lässt, wer vor mir steht. Vikar Damast. Sein Vergleich hinkt in mehr als einer Weise und doch höre ich ihn leise lachen. Ich gebe ein Golem frönendes Grölen von mir, ehe ich den Kopf hebe und den dummquatschenden Ankömmling mustere. Damast grinst verschmitzt. Obwohl auch er in den letzten Tagen wenig Schlaf bekam, sieht er nicht aus, wie der wandelnde Tod oder einer seiner Lakaien.

„Das war richtig authentisch", lobt er mich und ich versuche, die nächste Salve bestmöglich zu überhören. Ich bin zu müde und mäßig gelaunt für diesen Mist. Der Detective lässt sich unbeeindruckt auf den abgewetzten Stuhl neben meinem Schreibtisch fallen, fingert an dem Namensaufsteller herum, der strategisch perfekt auf einem breiter werdenden Riss im Holz steht und schlägt die langen Beine übereinander. Dieses Revier ist eines der ältesten der Stadt und wir haben noch die alte Ausstattung. Keine schicken Stehtische und ergonomisch korrekten Sitzgelegenheiten. Einer meiner Kollegen verbringt den ganzen Tag auf einem Holzstuhl. Ich schiebe mein Namensschild sofort wieder an die korrekte Stelle.

„Was willst du? Wartet keine Seance auf dich oder ein Trollnotfall?", kontere ich, als er nicht von allein mit der Sprache herausrückt und setze mich aufrecht hin. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn kurz darauf kommt der Sergeant und der Captain des 12. Reviers um die Ecke. Ich greife unwillkürlich nach der Mouse und ziehe einen der Berichte dichter heran, während ich ihnen achtsam mit den Augen folge.

„Fragt mich derjenige, der Phantomen nachjagt", erwidert Damast schnippisch, schielt zu meinen Vorgesetzten und wirkt seltsam ungerührt. „Schlecht geschlafen?" Ich beobachte aufmerksam, wie die Bosse das Büroabteil verlassen und habe erst danach die Muße, das Gespräch mit Damast wieder aufzunehmen. Eine weitere Ermahnung und noch mehr nutzlosen Papierkram kann ich nicht gebrauchen.

„Nur zu wenig und es ist KEIN Phantom", relativiere ich und mustere meinen Störenfried kritisch. Mein Kollege sieht irgendwie anders aus. Es dauert einen Moment, bis mir klar wird, warum. Er trägt diesmal einen ordentlichen schwarzen Kurzmantel. Darunter blitzt ein dunkelblauer Pullover mit unscheinbarem Zopfmuster hervor. Eine schlichte graue Stoffhose sitzt angemessen an ihm und er entspricht damit mehr oder weniger dem Dresscode für Detectives. Aber nur fast. Ich hingegen trage einen ordnungsgemäßen mittelgrauen Anzug mit einem elfenbeinfarbenen Hemd und schwarzer Krawatte. Fast automatisch greife ich mir an den Knoten und ruckele daran rum, weil sie mich schon den ganzen Tag nervt.

„Stimmt ja, es ist der böse Zwilling", erwidert er schnippisch und betrachtet auch mich einmal von oben bis unten. Ich entlasse meine Krawatte mit einem Raunen und für einen Sekundenbruchteil zuckt sein Mundwinkel, als wartete er darauf, dass ich nach seinem ungewöhnlich adretten Outfit frage.

„Ich habe Pablo gefunden", berichte ich stattdessen.

„Picasso?"

„Pablo, der Hund." Damast drückt das Verstehen mit einem bejahenden Laut aus, fragt aber nicht weiter nach. „Er ist verletzt, aber lebt", erörtere ich daraufhin. Aber auch das ruft keine anteilnehmende Reaktion bei ihm hervor. Ich mustere ihn absichtlich starr, ohne mit meiner Skepsis hinter dem Berg zu halten. Er erwidert es gelassen und wir liefern uns ein Gefecht mit Blicken, bei dem ich ohne Frage als Sieger hervorgehe.

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