Kapitel 8

472 20 2
                                    

Adrian

Ich sehe ihre Augen vor mir, als ich den Flur entlang laufe. Meine Beine bewegen sich schnell, sie tragen mich schnell von ihr fort. Ihr Anblick hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Habe ich es übertrieben? Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen, ich konnte die Tränen in ihren Augen glitzern sehen. Sie hat am ganzen Körper gezittert. Ich wollte sie doch nur einschüchtern. Schlechtes Gewissen breitet sich in mir aus, mir wird übel. Ruckartig bleibe ich stehen und sortiere erstmal meine Gedanken. Ja, ich habe es vielleicht etwas übertrieben. Aber sie soll ruhig wissen, dass sie keine Spielchen mit mir spielen kann. Also beruhig dich, Adrian. So schlimm war es auch nicht, du musst deine Familie beschützen. Ich verbanne jeden Gedanken an sie aus meinem Kopf und begebe mich auf den Weg zu Will, um mich von ihm zu verabschieden.
Zuhause angekommen höre ich, wie laute Musik das ganze Anwesen beschallt. Ich versuche, durch mein Gehör die Quelle dieser Laute Musik zu finden. Im Salon finde ich meine Mutter vor, welche wild und ausgelassen zu der Musik tanzt. In der Hand hält sie ein leeres Glas, vermutlich war dort bis vor kurzem noch Feuerwhiskey drin. Wut keimt in mir auf, denn meine Gedanken wandern zu Liv, welche längst im Bett liegt und schläft. Ob sie bei diesem Lärm überhaupt schlafen kann, ist eher die Frage. Ich hätte nicht so lange bei Will bleiben sollen, aber ich konnte seine Schwester nirgends finden und musste dann so lange warten, bis sie aus ihrem Loch kam. Mit einer leichten Zauberstabbewegung bringe ich wieder Stille ins Anwesen. Meine Mutter beschwert sich lautstark, als sie die fehlende Musik registriert. „Liegt Liv in ihrem Bett?", unterbreche ich die Stille. Mutter schaut mich an, geht zu einem kleinen Tisch, auf welchem eine Glasflasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit drin steht. Sie füllt sich ihr Glas auf und schaut mich wieder an. „Ich.. Ic.. ich weiß es nicht.", lallt sie vor sich hin. Mit unsicheren Schritten kommt sie auf mich zu, ich will ihr gerade ausweichen, da streichelt sie meine Wange und sagt schluchzend: „Nikolai, ich weiß nicht wo die Kinder sind.". Als der Name meines Vaters fällt, durch zieht ein stechender Schmerz meinen gesamten Körper. Mutter fällt mir in die Arme und beginnt zu weinen. „Ich bin so eine schlechte Mutter, Nikolai. Ich habe versagt!", wiederholt sie immer und immer wieder. Ich nehme sie in den Arm und flüstere ihr gut zu, sodass sie sich nach einer Weile wieder beruhigt hat. Daraufhin nehme ich ihr das Glas aus der Hand und stelle es auf dem Tisch ab. „Komm. Du bist sicher müde. Ich bringe dich ins Bett.", entgegne ich ihr ruhig. Ich stütze sie auf dem Weg ins Schlafzimmer, lege sie ins Bett und decke sie zu. „Danke, Nikolai.", murmelt sie, bevor sie sich zur Seite dreht und dann einschläft. Eine Zeit lang bleibe ich neben ihr sitzen und beobachte sie beim Schlafen. Als ich mir sicher bin, dass sie fest schläft, verlasse ich ihr Zimmer. Zurück im Salon setze ich mich auf einen der Sessel und starre auf das Glas mit Feuerwhiskey vor mir. Seit dem Tod meines Vaters habe ich keinen Tropfen Alkohol getrunken, denn genau der hat mich in diese Lage gebracht. Meine Emotionen gehen mit mir durch. Ich weiß nicht mehr, was ich fühlen oder denken soll. Wut steigt in mir auf. Wut, die mein ständiger Begleiter ist. Ich nehme das Glas in die Hand und betrachte die Flüssigkeit genauer. Der Geruch ist intensiv und brennt sie den Weg durch meine Nase. Ich rümpfe meine Nase und ein Schauer durchfährt meinen Körper. Ich sollte die Flüssigkeit einfach wegschütten und das Glas in die Küche bringen, aber ich bewege mich nicht. Das Glas kommt meinem Mund immer näher, sodass ich es mit meinem Mund schon berühre. Wie einfach es wäre jetzt dieses Glas einfach auszutrinken, die Verzweiflung wegzutrinken. Ruckartig werfe ich das Glas mit der Flüssigkeit gegen die Wand. Wut, Verzweiflung und Trauer brechen über mir zusammen. All diese Gefühle und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich sacke auf den Boden zusammen und lege meinen Kopf in meine Hände. Eine Weile sitze ich so auf dem Boden und versuche meine Gefühle zu sortieren. Als ich wieder aufschaue, ist mein Blick direkt auf das Gemälde meines Vater gerichtet. Mein Blick wandert weiter durch den Raum und bleibt bei einem Familien- Porträte hängen. Liv! Schlagartig springe ich auf, durch eine kleine Bewegung mit dem Zauberstab räume ich die Scherben zusammen und verlasse daraufhin den Salon, um nach Liv zu sehen. Sie liegt in ihrem Bett und schläft. Sie atmet friedlich ein und aus. Erleichterung durchfährt meinen Körper, sie hat nichts mitbekommen. Beim Öffnen der Tür, um das Zimmer wieder zu verlassen, knarrt die Tür leise. „Adrian?", höre ich, Liv verschlafen murmeln. Ich drehe mich zu ihr um. „Ich bin wieder zu Hause! Du kannst weiterschlafen, ich wollte nur nach dir sehen. Gute Nacht!", flüstere ich ihr zu und küsse sie auf die Stirn. Sie murmelt eine Antwort, welche ich nicht verstehe konnte. Leise verlasse ich ihr Zimmer und gehe in mein eigenes Bett.

„Guten Morgen!", Liv kreischende Stimme weckt mich. Ehe ich meine Augen öffnen kann, springt jemand auf mein Bett und hüpft aufgeregt hin und her. Müde öffne ich meine Augen und blicke direkt in Livs großen funkelnden Augen. „Du musst aufstehen! Du musst dich fertig machen!", schreit sie durch mein gesamtes Zimmer. Ich setze mich auf, fange sie im Sprung auf und setze sie auf meinen Schoß. „Wieso das denn? Was ist heute denn?", frage ich sie lachend und versuche sie mit meinen Armen festzuhalten, damit sie endlich mal still sitzen bleibt. „Na der Ball!", antwortet sie strahlend. Erst jetzt entdecke ich meine Oma, welche am Türrahmen angelehnt steht. „Ich konnte sie nicht davon abhalten dich zu wecken. Glaub mir, ich habe es versucht!", erzählt sie lachend. „Schon gut.", entgegne ich ihr grinsend. Liv hat sich währenddessen aus meinen Armen befreit und zieht nun an mir herum. „Komm jetzt!", nörgelt sie. Ich stehe auf, nehme sie auf den Arme und schwinge mit ihr durch mein Zimmer. Lachend fallen wir wieder auf mein Bett und bleiben lachend liegen, bis Oma sich wieder einmischt: „Kommt ihr beiden. Wir wollen frühstücken.". „Und dann muss Adrian sich fertig machen!", kreischt Liv fröhlich auf. Ehe ich ihr sagen kann , dass ich mich noch nicht so früh fertig machen muss, da der Ball erst am Abend stattfindet, ist Liv schon aus meinem Zimmer gerannt. Ich erhebe mich von meinem Bett, streiche kurz durch meine Haare, schaue dann meine Oma an und frage: „Frühstückt Mutter mit uns?". Omas Lachen verschwindet und ihr Gesichtsausdruck nimmt einen traurigen Anblick an. „Nein, sie schläft noch.". Was habe ich auch anderes erwartet? Ich zucke mit den Schultern und zwinge mich zu lächeln. „Dann essen wir halt wider zu dritt.", entgegne ich ihr.

Ich schaue in den Spiegel und richte nochmal meinen Anzug. „Du siehst wunderschön aus.", kommt es bewundernd von Liv. „Morgen muss du mir alles erzählen. Von den Kleidern der Mädchen. Von den Mädchen mit den du getanzt hast. Einfach von allem!". Ich muss lachen. „Das verspreche ich dir!", antworte ich ihr. Liv strahlt mich an und umarmt mich. „Ich will auch auf einen Ball", sagt Liv traurig. Ich hocke mich zu ihr herunter und umarme sie: „Glaub mir, ich wünschte du könntest mit mir kommen.". „Kommt Mommy denn heute gar nicht mit?", fragt Liv. Ich muss schlucken und suche nach einer passenden Ausrede. Ich kann meiner Schwester ja schlecht sagen, dass sie ihren Rausch ausschlafen muss. „Sie ist krank. Ihr geht es nicht gut.", antworte ich ihr. Das ist zu mindestens keine Lüge.
Ich verabschiede mich von Liv und meiner Oma und mache mich auf den Weg zum Ball, welcher heute bei Flint stattfindet. Heute wird es wenigstens kein Chaos werden, da Mutter überhaupt nicht mitkommt.

Sternenklar * Adrian Pucey ff *Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt