Abwarten

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„Kommt darauf an, was du als Positives bewertest", erwiderte Philipp und sah, wie der Chirurg gerade wieder den Wartesaal verließ.
„Robert hat die OP zumindest schon mal überstanden und der Zustand ist soweit stabil aber noch immer kritisch. Alles aber mit hoher Vorsicht zu genießen. Seine Milz musst mit einer so genannten synthetischen Haut gerettet werden und sein Magen war tatsächlich auch verletzt worden. Deshalb das Blut spucken. Wäre die Kugel noch weiter in den Körper gedrungen, hätte sie auch eine der Herzwände treffen können."
„Aber er lebt?", hörte Philipp Alex im Hintergrund fragen und wusste so, dass Michael ihn auf Lautsprecher geschaltet hatte.
„Ja, er lebt Alex. Er wird gerade zur Intensivstation gebracht zur Überwachung. Das Risiko einer Nachblutung ist groß und man will natürlich bereit sein. Macht alles noch Angst, aber die Ärzte sind zuversichtlich, da Robert nach der Sache im Schockraum die OP sehr gut überstanden hatte. Scheint, als will er noch ein wenig dableiben!"
Philipp hörte Alex sowie Michael vorsichtig, aber leicht durchatmen.
„Halt dich selbst auch an dem fest, Philipp, ist das klar?", drängte Michael. „Glasklar", antwortete Philipp wieder.
„Habt ihr schon mehr?"
„Das Handy der Pflegemutter wird verkabelt und die Psychologin von Flückiger ist ebenfalls informiert. Von Dani und Joschi habe ich noch nichts gehört, kann aber bedeuten, dass sie etwas gefunden haben!"
„Hoffen wir's! Und bitte, passt auf euch auch okay? Ich kann mich nicht Zweiteilen."
„Werden wir und du passt gut auf Robert auf! Halte uns auf dem Laufenden!", rief Alex bevor sich Michael verabschiedete und aufhängte.

Philipp steckt sein Handy in die Hosentasche und atmete tief durch.
„Kommissar Stehler?", kam ein junger Mann auf Philipp zu und dieser nickte. „Ich bin Assistenzarzt Brunner. Ich habe bei Ritters Operation assistiert. Ich nehme an, Sie wurden schon unterrichtet?"
Philipp nickte und gab dem schlaksigen Mann in seinem Alter die Hand. „Ja, eine ihrer Krankenschwester hat mich informiert. Wie geht es ihm denn?"
„Er schläft noch und ist natürlich sehr geschwächt. Wir hoffen natürlich auch stark, dass keine Nachblutung geschieht. Aber wir sind positiv. Wie Ihnen sicherlich auch schon gesagt wurde, ist Ihr Kollege ein Kämpfer."
„Kann ich zu ihm?", fragte Philipp nach der Erklärung und der Arzt nickte. Sie und Ihre Kollegen sind als Notfallkontakte eingetragen. Von dem her, können Sie zu ihm!", fügte er seiner Geste hinzu und zeigte Philipp gestisch die Richtung.
Gemeinsam liefen sie das Treppenhaus hinauf und betraten die Intensivstation des Klinikums.
„Okay, Zimmer 4...", murmelte Doktor Brunner und ging auf einer der geschlossenen Türen zu und legte die Hand auf die Türfalle.
Dabei fiel ihm auf, dass Philipp am Fenster stehen blieb und hineinblickte. „Oh man...", flüsterte der junge Kommissar und schluckte schwer.

Robert lag mit aufgerichtetem Oberkörper im Bett und war mit Schläuchen und Kabeln übersäht. Sauerstoffbrille, Infusionen, Sauerstoffmesser, Blutdruckmesser; Philipp konnte nicht mal alles zuordnen. Normale Infusionsbeutel, Blutbeutel; es war ein Graus.
„Es sieht furchterregender aus, als das es ist, Kommissar Stehler. Denken Sie daran, Kommissar Ritter wurde gerade erst operiert."
„Natürlich", murmelte Philipp und nickte dann Doktor Brunner zu, der dann langsam die Türe öffnete und sie so aufhielt, dass Philipp eintreten konnte.
„Und denken Sie dran. Langsam. Noch wirkt die Narkose leicht."
„Keine Sorge, ich bin hier weil ich mir Sorgen mache. Nicht um ihn auszuquetschen", versicherte Philipp und Brunner nickte dankend, bevor er die Tür wieder zuzog und verschwand.
„Außerdem will ich nicht, dass du zu einer Nebensache wirst...", murmelte Philipp mehr zu sich selbst und blickte wieder auf Robert.

Als er selbst im Krankenhaus war, war er, so ungern er es auch gehört hatte, das Opfer. Robert, war nicht der Hauptfokus wie Philipp damals. Und Philipp wusste, wie sich dies anfühlte. Als sein Kollege damals erschossen wurde, waren der Hauptzeuge, der das eigentliche Ziel war, sowie der getötet Kollege der Fokus. Er selbst, der alles mitansehen musste, seinen Freund versuchte am Leben zu halten und in den eigenen Armen verloren hatte, war kaum beachtet worden.
„Ein Polizist muss dies schließlich abkönnen", war die Devise vieler und Philipp fühlte sich damals im Stich gelassen.
Er wusste, dass er nun in einem sehr guten, familiären Team war und dies nicht geschehen würde, aber er empfand es als wichtig, das Hauptventil zu sein.
Schließlich war Robert allmählich zu seinem freundschaftlichen Mentor geworden. All' die Tipps, die Gänge zum Therapeuten um die Traumen zu verarbeiten – Robert stand immer an Philipps Seite und war das Hauptventil.
Nun konnte Philipp dies endlich zurückgeben.

Langsam, ging der Jüngere auf das Bett zu, nahm sich einen Stuhl und setzte sich an die Seite.
„Hey Kumpel", begann Philipp langsam und nahm vorsichtig Roberts Hand, so dass er keinen Schlauch oder kein Kabel beschädigte, „dich kriegt man so schnell nicht klein, was?"
Philipp bemerkte, wie seine Stimme zu zittern begann, als er sich Robert genauer ansah. Die aschfahle Haut, die farblosen Lippen, die dunklen Schatten unter den Augen, das Haar, das sonst immer perfekt gestylt war hing wirr und matt hinunter; es wirkte so fremd.
„Du hast mir echt einen Schrecken eingejagt, Robert...", flüsterte Philipp und fühlte, wie die Angst und der Schock nun langsam wirklich einsetzten, „...ich krieg' das nicht nochmal hin, einen Kumpanen zu verlieren. Da erschieße ich lieber nochmals jemanden und lass' mich von dir belehren." Philipp zuckte auf, als etwas über seine Wange lief und als er seine freie Hand darauf legte, spürte er eine Träne.
„Mensch, was bin ich für ein Weichei...", lachte Philipp leise und atmete tief durch. Dabei fiel ihm auf, wie sich Roberts Finger um seine Hand legten.
„Selbst im Schlaf passt du auf mich auf...", schüttelte Philipp den Kopf und drückte fester zu, „...jetzt bin ich aber mal wieder dran okay?"

Nicht ohne meinen Sohn // K11 - die neuen Fälle // German FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt