Auf ganzer Linie

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„Robert Ritter. Anfangs 40. Steckschusswunde im linken, oberen Oberkörper. Starker Blutverlust und blutiges Spucken. Innere Verletzungen nicht auszuschließen. Blutdruck 100 zu 80, Puls 124. Hartes oberes Abdomen."

Philipp versuchte den Worten des Notarztes zu folgen, während er den Infusionsbeutel hielt, so dass die zwei Sanitäter, die Rolltrage schieben konnten, auf der Robert lag und mit einer Atemmaske beatmet wurde. Das Hemd war offen und die Haut der linken Seite war mit Blut verschmiert. Auch der provisorische Notverband aus Gazen und Pflaster, waren bereits wieder mit Blut besudelt.

In der Zwischenzeit hatte Robert das Bewusstsein beinahe verloren und die Augen waren nur noch einen spaltweit geöffnet. Jedoch bekam der Verletzte immer wieder mit, wie Philipp gut auf ihn zusprach und anfeuerte.

Wacker, blieb der Jüngere, der beiden Polizisten an der Seite der Rolltrage und wich erst leicht zurück, als sie in den Schockraum gefahren waren und eine Schwester den Infusionsbeutel übernahm und an einen Ständer aufhängte.

Der zuständige Arzt des Klinikums, übernahm die Infotafel des Notarztes und hing sie an die Trage. „Sofort an den Monitor anschließen! Ich brauche ein großes Labor und man muss sofort einen OP-Saal reservieren!", gab er durch und die Pflegekräfte taten sofort wie ihnen befohlen.

Das Piepen des EKG's wurde hörbar und auch ohne Vorkenntnisse wusste Philipp, dass der Ton unregelmäßig und viel zu schnell war. Und das ließ ihn jeglichen Muskel im Körper verkrampfen.

„Komm schon Robert, mach jetzt nicht schlapp", flüsterte er und blieb anständig an der Wand des Schockraumes stehen, so dass er niemanden störte.

„Sonogramm ist bereit", kündigte eine Schwester an und der Arzt untersuchte sofort mit dem Ultraschall Roberts Oberkörper.

„Freie Flüssigkeit Bauchraum. Innere Blutungen. Scheint als wären die Milz und der Magen betroffen. Oberkörperöffnung nicht zu verhindern. Außerdem sollen sie genügend Konserven 0 negativ bereithalten!"

„Was heißt das?", fragte Philipp besorgt, als er beobachtete, wie ein Pfleger mit dem Telefon am Ohr eiligst aus dem Raum rannte.

„Das heißt, dass definitiv Organe durch den Schuss verletzt wurde und Kommissar Ritter nicht nur nach außen, sondern innerlich verblutet!", erklärte der Arzt schnell und blickte augenblicklich zum Monitor, als das Piepen des EKG's beinahe unerträglich im Ohr wurde und weitere Geräusche dazukamen.

„Kammerflimmern!", rief eine Krankenschwester und holte sofort den Defibrillator, nachdem der Arzt danach gebeten hatte.

„Kommissar Stehler, ich muss Sie bitten, draußen zu warten", sagte der Arzt, während das Gerät auflud und ein Pfleger kam direkt auf Philipp zu.

„Nein...ich kann doch nicht..."

„Kommissar Stehler bitte!"

Widerwillig, sich aber der Situation bewusst, ließ sich Philipp in den Flur begleiten, sah aber durch die Rillen der Rollladen durch, die am Fenster des Schockraumes hingen. Somit konnte er beobachten, wie Robert geschockt wurde, um den Herzschlag wieder in Gang zu bringen. Was schon gruselig in den Filmen aussah, war noch furchteinflößender im echten Leben.

„Robert komm schon", flehte Philipp, und schüttelte mit dem Kopf. Szenen aus seiner frühen Polizistenzeit, wo er einen Kollegen verloren hatte, spielten sich vor seinem geistigen Auge ab und das konnte nicht wieder passieren.

Das durfte nicht wieder passieren.

„Kommen Sie Kommissar Stehler", durchbrach der Pfleger, Philipps Trance, „warten Sie GANZ draußen, es ist wirklich besser! Sie bekommen sofort Bescheid, wenn sich etwas tut!" Schwer atmend, nickte Philipp und ließ sich vom Krankenpfleger in den Wartesaal begleiten, wo er eine Packung mit Reinigungstüchern erhielt und dann zurückgelassen wurde.

„Philipp!"

Der Angesprochene drehte sich um und sah, wie Michael den Warteraum betrat und sofort auf ihn zukam. „Bist du verletzt? Geht es dir gut?"

Philipp suchte nach Worten, doch nichts gelangte in seinen Kopf. Sein ganzer Körper zitterte und alles schien unwahr.

„Hey, Junge!", drängte Michael und packte Philipp sorgsam an den Oberarmen. „Ich bin okay", stotterte Philipp dann langsam hervor. „Mir ist nichts passiert..." Seine Stimme war kaum hörbar.

„Okay, das ist immerhin schon mal was. Was ist mit Robert? Wie geht es ihm? Konnten die Ärzte schon was sagen?"

Philipp fühlte sich wie von einem Trecker überrollt. Michaels Fragen waren wie eine Lawine, die über ihn prasselte.

„Sein Herz blieb stehen Micha...", flüsterte Philipp und Michael hielt inne. „Sie haben mich rausgeschickt, weil Sie ihn reanimieren müssen...", atmete Philipp scharf ein und suchte, die Fassung zu bewahren, „...ich hab noch gesehen, wie sie ihn geschockt haben..."

„Scheiße", murmelte Michael nun genauso geschockt und zuckte auf, als Philipp sich selbst räusperte und heftig mit dem Kopf schüttelte.

„Konntet Ihr den Wagen verfolgen?"

„Bisher noch nicht. Die Fahndung läuft und Alex koordiniert die Suche. Dani und Joschi sind beim Jugendamt und leiten die Ermittlungen.", erklärte Michael auf Philipps Frage und dieser nickte. „Philipp, was ist eigentlich genau passiert?"

„Ich weiß es nicht. Wir hatten uns aufgeteilt und ich ging in die Garage, Robert ins Gebäude. Wir mussten schnell handeln. Ich weiß nicht was im Gebäude passiert ist, aber mich hat eben dieser Audi beinahe überfahren. Als ich Robert anfunkte hörte ich nur, wie er nach Atem schnappte und sein Keuchen...dann ging ich sofort nachsehen.

Dann lag er da...im eigenen Blut...wer auch immer auf ihn geschossen hat wusste genau, wo hinzielen. Diese zwei Spalten bei der Schusswesten an den Seiten...das ist so schwer zu treffen..."

Michael nickte nach Philipps Erklärung. „Aber du wurdest nicht verletzt? Wirklich nicht?" Philipp schüttelte auf Michaels Frage mit dem Kopf.

„Philipp..."

„...ich geh nicht nach Hause, Michael, das kannst du vergessen! Ich...ich habe schon mal einen Partner durch einen Schuss verloren...ich will das nicht wieder durchleben. Kann ich bitte hier bleiben und warten, bis wir wissen, wie es Robert geht?"

Michael atmete tief durch und erinnerte sich daran, wie Alex erzählte, wie niedergeschlagen Philipp war, nachdem er damals angeschossen wurde. Und er kannte auch den Grund wieso.

„Gut. Halte uns bitte auf dem Laufenden. Aber Philipp, das war nicht deine Schuld. Ich weiß, wie gerne du dir so was einredest, aber es stimmt nicht. Und wenn ich höre, dass du das tust, schicke ich dich nach Hause."

Philipp nickte verstanden. „Schon klar", lenkte er ein und Michael seufzte.

„Soll ich hierbleiben?"

„Nein, geh' die Frauen unterstützen. Findet das Schwein! Nicht nur dass er Robert das angetan hat...er hat seinen Sohn dabei, der durch diese Ereignisse mehr als traumatisiert sein wird. Und kein Kind sollte so was mitansehen!"

Michael stemmte die Hände in die Hüfte und musste Philipp Recht geben. „Seine Tante, die Pflegemutter, wird bald in unserem Büro eintreffen. Ich halte dich auf dem Laufenden und du uns, klar?", stellte Michael nochmals klar.

„Glasklar", versicherte Philipp und sah Michael dabei zu, wie dieser den Wartesaal und das Krankenhaus verließ.

Mit schwerem Kloss im Hals, nahm Philipp einer der Tücher aus der Packung und begann sich, Roberts Blut von den Händen abzuwaschen. 

Nicht ohne meinen Sohn // K11 - die neuen Fälle // German FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt