Ein seltsames Dorf

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Jon zuckte zusammen, als plötzlich ein besonders heller Blitz aufleuchtete und fast gleichzeitig der Donner losging. Vorhin hatte es sich noch so angehört, als wäre das Gewitter weiter gezogen, doch diesmal hatte Jon das Gefühl, der Blitz wäre direkt in das Haus eingeschlagen. Es dauerte ein paar Sekunden ehe er sich von dem Schreck erholte und weiter ging.

Als Jon dir Küche erreichte, saßen David und Geoffrey bereits an der reichhaltig gedeckten Tafel. „Guten Abend Geoffrey. „Oh, das sieht ja lecker aus“, sagte Jon, bekam aber von Geoffrey nur ein knappes „Ja“ zur Antwort.

Jon nahm neben David Platz und griff sich gerade ein Brötchen als er merkte, dass David nur lustlos in seinen Cornflakes herumstocherte. Auch Geoffrey war offensichtlich nicht in bester Laune. Die Stimmung war angespannt und Jon wurde etwas mulmig, zu Mute und als er nach Kyrill fragte, gab Geoffrey ihm nur eine nichtssagende Antwort und es schien ihm, als würde er ihn aus kalten Augen ansehen. Jon zuckte unwillkürlich zusammen.

Schweigend schmierte sich Jon ein Brötchen mit viel Nugat-Creme und biss hungrig hinein. An seiner betretenen Stimmung änderte das jedoch nichts, und so legte er das halbe Brötchen in Gedanken versunken wieder auf seinen Teller und starrte es minutenlang an. Jede Lust war ihm gründlich vergangen. Dabei war der Tag doch so schön gewesen, dachte er bei sich. Abgesehen von dem Gewitter natürlich. Ja, ok, die Sauerei in der Halle, das war nicht in Ordnung. Aber musste Geoffrey deshalb gleich eine Laune haben, dass einem das Blut in den Adern gefror? Was ist denn nur los, die beiden sind wie ausgewechselt.

Jon starrte noch immer in Gedanken verloren abwechselnd auf seinen Teller und auf das angebissene Brötchen. Plötzlich stand er auf und wandte sich zur Tür. „Wo willst du hin“ vernahm er Davids leise Stimme, die sich eigentümlich gekränkt anhörte.

„Äh... ähm… ich möchte schlafen gehen“, stammelte Jon unbeholfen und David gab mit einem traurigen Unterton zurück „Warte doch noch einen Moment, ich komme dann auch mit. Du weißt ja gar nicht, wo das Schlafzimmer ist.“ Jon fühlte sich ertappt, doch er sagte nichts. David stand auf und brachte Jons und sein eigenes Geschirr zur Spüle.

Jon blieb an der Küchentüre stehen und wartete ungeduldig. Er wollte dieser gereizten Stimmung einfach nur entkommen. Er beobachtete, wie David auch den restlichen Tisch abräumte, während Geoffrey wortlos seine Omelette aß.

Endlich war David fertig und ging mit trübem Blick zur Tür. Ohne Geoffrey eines Blickes zu würdigen verließ er den Raum. Jon blickte zu Geoffrey, der ihn aus kalten Augen anzusehen schien und lief dann David hinterher, der plötzlich zu weinen anfing.

Jon hielt ihn mitten auf dem Flur auf, drückte ihn fest an sich und fragte ihn „Was ist los, David?“ Die Antwort überraschte ihn: „Er... er hasst mich“, schluchzte David in Jons Hemd und weinte sich an seinem Bauch aus, während Jon ihm instinktiv beruhigend über die Haare fuhr und über seinen Nacken strich.“ Doch der Junge wollte einfach nicht zu weinen aufhören.

Wieso hasste Geoffrey David, ging es Jon durch den Kopf, nur weil wir die Halle dreckig gemacht haben? Das konnte er nicht glauben.

„Ist ja gut, Kleiner...“, flüsterte Jon mit sanfter Stimme. David schluchze und erwiderte leise: „Komm mal mit.“ Dann fasste er ihn an die Hand und zog ihn durch die Gänge. Plötzlich standen sie in einer großen Bibliothek, deren hohe Regalwände so riesig waren das eine Leiter für die obersten Regale angelegt worden war.

Jon fragte etwas verwirrt „Ehm... was willst du hier?“ David jedoch antwortete nicht und ging zu einem großen Pult aus Eichenholz, welches genau in der Mitte des riesigen Raumes stand. Als er auf eine bestimmte Stelle drückte, drehte eines der Regale gerade so weit, dass sie nun durch einen engen Gang eine Wendeltreppe hinunter gehen konnten. Jon schaute hinunter. Man erkannte im Dunkel nur die ersten paar Treppenstufen, die noch im flackernden Licht einer Fackel lagen, welche an der Wand ding. David nahm die Fackel nun in die Hand  und stieg die Stufen ins Dunkel hinab. Jon starrte ihm verwundert nach. Erst als der Fackelschein schon fast verschwunden war, fasste sich Jon und lief David schnell nach. Hinter ihm Schloss sich lautlos die Tür.

„Wo hin führt dieser Gang eigentlich“, wollte Jon wissen, als er David eingeholt hatte. Der aber  antwortete nicht und Jon schaute unsicher umher. Es kam ihm so vor, als wenn sie tiefer hinabstiegen, als ein Keller unter dem Landhaus sein konnte.

„Wie lange brauchen wir eigentlich noch?“ – „Lange“ gab David endlich zurück. Jon verdrehte nur die Augen und stöhnte genervt auf.

Endlich mit der schon halb abgebrannten Fackel unten angekommen gingen sie durch einen Tunnel noch weiter. Jon taten schon die Füße weh, als sie an einer etwas kleineren Treppe ankamen. David hing die Fackel in eine dafür vorgesehene Halterung an der Wand, stieg die Treppe hinauf und bedeutete Jon, ihm zu folgen. Oben angekommen öffnete David eine Art Kanaldeckel und sie fanden sich auf einer Straße wieder. Gerade als er David fragen wollte, wo sie wären, lächelte der ihn nur kurz an und ging weiter. Jon lief ihm nach und sie kamen auf einen großen Markt. Seltsam gekleidet kamen Jon die Menschen hier vor, und sie schienen arm, jedoch glücklich zu sein. Ein Mann hielt eine Glocke in der Hand und schrie irgendwas über Auktionen und „günstiger“ und Worte, die Jon noch nie gehört hatte.

An einem hölzernen Laternenpfahl entdeckte er ein Plakat mit einem Bild, welches Kyrill sehr ähnelte. Es war, als ob es einen Bruder von ihm oder sonst einen nahen Verwandten zeigte. Voller erstaunen las er die Schrift auf dem Plakat:

„100.000 Dukaten in Gold als Belohnung für den, welcher dem König den Kopf dieses hinterlistigen Vampirs bringt!“

Zuerst dachte Jon, er hätte sich verlesen, weil die Schrift so altertümlich war. Doch David bestätigte ihm, was da stand, zog ihn weiter über den Markt und blieb an einem Stand stehen, an dem verschiedenes Obst verkauft wurde. David lächelte den Verkäufer an und sagte „Hallo Silas“. Der Mann lächelte freundlich zurück und gab David einen braunen Sack. „Was ist da drin“, wollte Jon neugierig wissen. David jedoch lächelte nur seltsam und ging weiter ohne Jon zu beachten.

Warum tut er nur so geheimnisvoll, dachte Jon. Er wollte unbedingt wissen, was in dem Sack war. In Gedanken versunken ging er David weiter nach, bemerkte aber nicht, dass dieser plötzlich stehen blieb, prallte mit ihm zusammen, stolperte zurück und setzte sich auf seinen Hosenboden. David drehte sich um und half Jon wortlos wieder aufzustehen.

Als David weiter ging klopfte Jon sich den Staub von der Hose und folgte ihm. Die Blicke dieser seltsamen Menschen beunruhigten ihn irgendwie. Auf einmal kam eine ganze Gruppe von Menschen auf ihn zu und er verlor David aus den Augen. Jon versuchte sich durch die Menschenmenge zu kämpfen und rief nach David, bekam aber keine Antwort.

Als sich die Menschenmenge etwas gelichtet hatte, sah sich Jon mit geweiteten Augen um. Nirgendwo konnte er David entdecken. Langsam geriet er in Panik und begann ziellos umher zu laufen und nach ihm zu suchen. Wie sollte er nur wieder zurück zu Kyrill finden, dachte er und sein Herz schlug schneller. Er irrte in dem seltsamen Dorf umher und fühlte, wie die Einwohner ihn unfreundlich anblickten, als er nach David rief.

Er wusste nicht, wie lange er schon nach David gesucht hatte, doch war es bereits Abend geworden. Verzweifelt fragte er sich, wie er nur zurück käme. Hätte er sich bloß gemerkt, in welcher Straße der Kanaldeckel war, an dem sie angekommen waren. Nur noch wenige Leute waren jetzt unterwegs, die meisten davon auf dem Weg zu den Wirtshäusern. Als er durch die fast leeren Straßen lief, fühlte er sich auf einmal verfolgt und lief schneller. Panisch und mit klopfendem Herzen bog er in eine Seitenstraße ein, stellte dann entsetzt fest, dass er in einer Sackgasse gelandet war.

Auf einmal packte ihn etwas an der Schulter und als er sich umsah, blickte er in rote Augen, deren Pupillen geschlitzt waren. Er verspürte plötzlich einen stechenden Schmerz, schrie laut auf und sackte bewusstlos zu Boden. 

Kyrill und JonathanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt