Heimkehr

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Heißes, köstliches Blut ran Kyrills Kehle hinab. Mit jedem Tropfen kehrte ein Teil seiner Kraft zurück. Er genoss es, wollte mehr. Dennoch ließ er kurz von seinem Opfer ab.

Kalter Schweiß perlte auf dem bleichen Gesicht des Jungen der zitternd vor ihm auf dem Boden lag. Sein Atem ging flach und aus den Bisswunden an seinem Köper tropfte sein rotes Blut. Kyrill beugte sich mit gefletschten Zähnen wieder vor. Der Junge sah ihn aus angsterfüllten Augen flehend an. Bald schon würde seine Qual enden. Schon lange hatte er kein solches Festmahl mehr gehabt.

Kyrill hielt inne. Nein! Er würde der Gier in ihm nicht nachgeben. Mit einer großen Kraftanstrengung riss sich Kyrill von diesen Gedanken los. Er beugte sich vor und leckte die Wunden ab, damit sie wieder heilten. Dann rollte er sich vom Körper des Jungen herab, blieb neben ihm auf dem Rücken liegen und schloss die Augen. Langsam verebbte die Gier und er fühlte sich gesund, frisch und stark.

Nach einigen Minuten öffnete er langsam die Augen und sah sich um. Boden und Wände des Zimmers waren mit Blut verschmiert. Der Junge lag reglos mit ausdruckslosem Gesicht auf dem Rücken; auch er war überall mit Blut beschmiert. Er lebte, doch es würde Wochen dauern, bis er sich wieder erholen würde.

Kyrill erhob sich und blickte auf sein Opfer herab. Dann zog er sich an und verließ den Raum. Im Treppenhaus begegnete ihm Stern, gefolgt von drei ängstlich dreinblickenden Lehrjungen. Stern jedoch sah ihn fragend an.

„Ich sehe, ihr seid wieder bei Kräften“, stellt Stern fest und fügte hinzu: „und der Junge? Wie geht es Daniel?“

„Er lebt“, gab Kyrill leise zurück und als er in die Augen des Schneiders blickte, sah er dort Erleichterung.

Auf einen Wink ihres Meisters huschten die drei Jungen an Kyrill vorbei und in das Zimmer hinein um sich um Daniel zu kümmern.

„Ich danke euch, Herr Stern“, sagte Kyrill als er mit dem Schneider die Treppen hinabstieg. Dann fügte er hinzu: „Mein Dank gilt auch Daniel. Sagt ihm das, Meister Stern.“

„Natürlich, Sir Kyrill. Er wird sicher eine Weile Erholung benötigen, bis er wieder ganz auf den Beinen ist, Sir“, gab Stern zu bedenken.

Kyrill nickte: „schickt ihn in ein Haus auf dem Land oder am Meer, was immer er lieber mag. Dort soll er bleiben bis er wieder gesund ist.“

„Sir, ich möchte ihn ungern als Lehrling verlieren. Er hat großes Talent“.

„Ich werde ihn euch nicht wegnehmen. Er bleibt weiterhin euer Lehrling. Geoffrey wird euch heute – nein morgen – die notwendigen Dokumente bringen“, erklärte Kyrill.

„Danke, Sir“, anwortete Stern hörbar erleichtert.

„Es dämmert bald. Ich muss jetzt aufbrechen, wenn ich noch rechtzeitig vor dem Morgengrauen zuhause sein will. Gehabt euch wohl, Meister Stern.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Kyrill von dem Schneider und verließ schnellen Schrittes das Haus. Der Schneider blieb im Türrahmen stehen und sah ihm nach, als er in sein Auto stieg und los fuhr.

Kyrill war froh, als er die engen Straßen der Stadt hinter sich gelassen hatte und endlich schnell fahren konnte. Er wollte rechtzeitig zuhause sein um noch ausführlich mit Geoffrey zu sprechen.

Seine Gedanken drehten sich um Randulf. Kyril hatte den Kampf zwar gewonnen. Doch wie würde es weiter gehen? Wie würde Randulf mit der Niederlage umgehen? War es überhaupt eine? Immerhin war er, Kyrill, aufs äußerste geschwächt worden. Noch vor dem Morgengrauen war David wach und hatte das Frühstück schon vorbereitet, bevor Geoffrey wach wurde und schlaftrunken in der Küche erschien. Sein missmutiger Blick erhellte sich, als er den heißen Kaffee erspähte.

Beide frühstückten sie ohne viele Worte und warteten auf Kyrills Rückkehr, die bald erfolgen musste. Vorher hatte es keinen Sinn, über die Geschehnisse zu spekulieren. Als Geoffrey bei seiner dritten Tassen Kaffee angelangt war, hörten sie endlich wie ein Auto vor dem Haus vorfuhr. David, der eben noch in seinen Cornflakes lustlos herum gefischt war, sprang auf und riss die Schüssel beinahe zu Boden.

„Bleib hier, David“, hielt Geoffrey ihn zurück, „lass ihn erst mal ankommen.“

Ungeduldig wartete David bis Geoffrey ebenfalls aufstand. Dann gingen Sie beide in die Halle, wo Kyrill ihnen begegnete. Er war in schwarzes Leder gekleidet und trug schwere, mit Nieten verzierte Stiefel. Nichts an ihm deutete auf darauf hin, dass er am Abend zuvor noch sehr geschwächt war.

„Kyrill!“, rief David erleichtert, rannte auf ihn zu und schlang seine Arme um ihn. Sekunden später lief er rot an, sah Kyrill an und stotterte eine Entschuldigung. Kyrill jedoch legte ihm seine Hand auf die Schulter, ging in die Hocke und meinte nur: „Ist schon in Ordnung, David. Wir sind ja unter uns. Förmlichkeiten haben wir in ein paar Tagen, in der Nacht des Empfangs, genug zu beachten.“

Daraufhin schloss er die Arme um den Jungen und küsste ihm die Stirn.

Geoffrey berichtete kurz, dass in der Nacht nichts weiter vorgefallen war. „Es sind noch zwei Stunden, bis die Sonne aufgeht“, sagte Kyrill, „ich gehe jetzt zu Jon und Dennis, danach in die Gruft. Geoffrey, wenn du Dennis nach Hause bringst, besuche auf dem Rückweg Jonathans Mutter. Sie soll beim Empfang dabei sein und Stern soll ihr ein schönes Ballkleid anfertigen. Nach ihren Wünschen. Die ersten Gäste werden sicher auch bald eintreffen.“ – „Ja, Sir Kyrill. David und ich werden uns um alles kümmern“, antwortete Geoffrey.

Nachdem er seinen Lederanzug gegen einen Kimono aus roter Seide getauscht hatte, betrat Kyrill geräuschlos sein Schlafzimmer. Die beiden Jungen schliefen tief und fest. Kyrill hielt eine Weile inne und beobachtete den schlafenden Jonathan. Dann wandte er sich ab, verließ das Schlafzimmer und stieg die Treppen hinab zur Gruft.

Kyrill und JonathanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt