Das Gesicht des Jungen verschwand, das Fenster wurde geschlossen. Kyrill wartete still. Einige Minuten später wurde die Tür geöffnet und heraus trat der Herr des Hauses, der Schneider Stern und verbeugte höflich vor seinem nächtlichen Besucher. Die Verbeugung wirkte jedoch mehr komisch als elegant, denn er trug lediglich einen hastig zugeschnürten Morgenmantel zu seinen wirren Haaren. Dennoch begrüßte er Kyrill in der gewohnten Weise und bat ihn herein.
„Meister Stern, ich hatte ein paar Schwierigkeiten. Seht mich an“, begann Kyrill
„Oi va voi! Man könnte meinen, Ihr wäret unter die Wölfe gefallen.“
„Damit liegt ihr näher an der Wahrheit, als euch lieb sein kann, Meister Stern“ antwortete Kyril kalt und fügte hinzu: „Ich bin in Eile, Meister Stern. Ich brauche eine heiße Dusche, saubere Kleidung und, wenn möglich, frisches Blut.“
„Natürlich, Sir. Nehmt nur einen Augenblick Platz, einer meiner Gehilfen wird euch das Bad richten. In der Zwischenzeit lasse ich euch ein paar Kleider zurechtlegen.“
Nach diesen Worten verließ Stern den Raum und Kyrill ließ sich in einem Sessel nieder. Gerade war er dabei, dunklen Gedanken nachzugeben, als ein Junge schüchtern und ängstlich das Zimmer betrat und ihn ansprach: „Das Badezimmer ist hergerichtet, Sir. Bitte folgt mir.“
Kyrill nickte, stand auf und folgte dem Jungen aus dem Zimmer, die Treppe hinauf bis in ein Badezimmer. Der Junge öffnete die Tür und bedeutete Kyrill einzutreten.
„Bitte sehr, Sir. Ich werde die zerrissenen Sachen wegwerfen und Ihnen die neuen bringen.“ Mit diesen Worten verließ der Junge den Raum.
Rasch zog sich Kyrill aus und stieg unter die Dusche. Wenn er allein war, duschte er nur mit kaltem Wasser. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass er dann besser denken konnte. Und so versank er unter den kalten Strahlen der Dusche in tiefe Gedanken über dass, was geschehen war, und vielleicht noch geschehen würde. War er unvorsichtig gewesen als er sich in die Höhle des Löwen… des Wolfs gewagt hatte? Die Auseinandersetzung mit seinem Gegner war denkbar knapp ausgegangen. Ja, er war daraus als Sieger hervor gegangen, doch der Kampf hatte ihn sehr erschöpft. Er hatte die Schlacht gewonnen, doch würde er den Krieg gewinnen können? Er verwarf den Gedanken, denn es gab keinen Krieg. Es gab nur die Feindschaft zwischen ihm und dem Anderen.
Eine Weile später stieg er erfrischt aus der Dusche und sah, dass der Junge mit ein paar neuen Kleidern zurückgekehrt war und nun mit gesenktem Blick an der Tür stand. Kyrill musterte den Jungen aufmerksam. Er schätzte ihn auf etwa 18 Jahre, obwohl etwas klein für das Alter. Der Junge war schlank, mit einer athletischen Figur. Stern hatte stets ein Auge auf das Äußere seiner Lehrjungen. Kurze, hellblonde Haare waren wohl normalerweise zu einem Seitenscheitel gekämmt. Die jetzt etwas verwilderte und nur notdürftig gekämmte Sturmfrisur ließ ihn jünger wirken. Außerdem brachte sie seine schönen stahlblauen Augen zur Geltung. Seine Kleidung hatte er ebenso hastig angezogen, denn das weiße Hemd steckte nur halb in der Hose und war obendrein noch falsch geknöpft. Kyrill konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, denn dadurch konnte er mehr vom Hals des Jungen sehen, als Herr Stern gewöhnlich zuließ.
Kyrill wollte gerade nach der Kleidung greifen, als er es sich anders überlegte.
„Wie heißt du, Junge?“ wollte wer wissen.
„Mein Name ist Daniel, Sir. Ich bin Lehrling bei Meister Stern, Sir.“, antwortete der Junge und verriet dabei einen eindeutig slawischen Akzent. Kyrill beschloss, ihn auf die Probe zu stellen.
„Skąd jesteś, chłopcze?“, sprach er den Jungen an.
„Jestem z Polska, Panie, urodziłem się w Krakowie, Panie. Mój nauczyciel Pan Stern mówi, trzeba krwi, Panie. - Panie, ofiaruję Ci moją krew i moje życie. Należy do Pana, Panie”, antwortete dieser mit leiser, schüchterner Stimme.
Kyrill hielt inne. Gerade hatte ihm der Junge nicht nur erklärt, dass er in Krakau geboren wurde, sondern ihm sein Blut und sein Leben angeboten. Kurz überlegte er, ob Stern den Jungen gezwungen haben könnte, aber das war ausgeschlossen. Stern achtete in seinem Haus auf strenge Disziplin, doch achtete er seine Lehrlinge auch. Trotzdem hatte der Junge große Angst. Kyrill konnte sie spüren. Doch Daniel hatte keine Angst vor Stern, er hatte Angst vor sich selbst, vor seiner Sehnsucht, seinen Wünschen. Dieser Junge wollte, dass Kyrill sein Blut trank.
„Ist dir bewusst, was du gerade gesagt hast, Daniel?“, sprach er den jungen leise an.
„Ja, Sir. Ihr seid ein Vampir, und ich biete euch mein Blut und mein Leben an, Sir. Es wird mir eine Ehre sein, Sir.“
Kyrill dachte kurz nach, doch ihm blieb gar keine andere Wahl. Er brauchte Blut um sich zu stärken, dringend. Er spürte, wie sein Verlangen stieg, seine Gier nach Blut wuchs. Jede Faser in ihm schrie nach dem Leben und dem Blut diese Jungen. Dennoch zwang er sich zu Geduld.
„Weshalb?“, wollte er wissen.
Diese Frage traf Daniel unvorbereitet. Insgeheim hatte er gehofft, der Vampir würde über ihn herfallen und ihn aussaugen. Oder hatte er gehofft, dass er es nicht tat? Er wusste es nicht mehr genau. Auf keinen Fall hatte er mit einer solchen Frage gerechnet. Er nahm seinen Mut zusammen und trat einige Schritte vor.
„Sir, ich möchte etwas zurück geben, von dem, was mir geschenkt wurde“, antwortete Daniel schließlich langsam, verharrte reglos und sah Kyrill in die Augen. Er öffnete sein Hemd zog es langsam aus und lies auch seine Hose fallen. Nackt stand er nun von Kyrill, der ihn aus gierigen Augen ansah. Doch Kyrill hatte jetzt keinen Blick mehr für den schlanken, schönen Körper des Jungen, der in all seiner Schönheit vor ihm stand und sich ihm darbot. Sein Blick war auf den Hals des Jungen gerichtet. Er dachte nur an das heiße, süße Blut, dass durch diesen Körper floss.
Blitzschnell wie ein Schatten stürzte sich der Vampir auf den Jungen, warf ihn zu Boden und presste seinen Körper auf den seinen. Trotz seiner Schwäche drückte Kyrill den Jungen zu Boden und hielt ihn fest umklammert. Dann biss er zu, schlug seine Zähne mit einem einzigen Biss in den Hals seines Opfers. Ein schriller Schmerzensschrei hallte von den Wänden wider. Blut floss aus der Wunde, doch sofort war Kyrills gieriger Mund darüber und leckte jeden Tropfen auf.
Er wollte mehr davon trinken, er musste mehr davon haben, jetzt und hier. Tiefer stieß er seine Zähne in den Körper des Jungen und begann dessen Lebenssaft zu saugen. Er spürte die Todesangst seines Opfers, seinen rasenden Herzschlag, der ihm nur mehr Blut entgegen pumpte. Und er trank mehr.
Der stechende Schmerz strömte heiß durch Daniels Körper, ließ ihn schreien und stöhnen. Er wand sich unter dem festen Griff des Vampirs, doch er kam nicht los. Hatte er es wirklich so gewollt? Langsam wurde er schwächer. Er spürte, wie ihn seine Lebenskraft verließ während der Vampir ihn aussaugte. Bald schon würde es zu Ende sein mit ihm. Verzweifelt versuchte er sich zu wehren.
Kyrill spürte, wie er wieder stärker wurde, wie seine Kraft zurück kehrte und er spürte, wie sein Opfer schwächer wurde, sich in Todesangst zu winden begann. Fester noch hielt er den Jungen umklammert, drückte ihn mit seinem Körper zu Boden, presste eine Hand gegen dessen Hals und trank das Blut, dass das Herz des Jungen direkt in seinen Mund zu pumpen schien. Sein Opfer wurde schwächer; er konnte es fühlen. Hatte der Junge zunächst noch versucht, sich gegen Kyrills Umklammerung zu wehren, waren seine Bewegungen jetzt kraftlos und ohne Ziel geworden. Sein Herz pumpte immer weniger Blut immer schneller durch seinen jungen Körper und Kyrill spürte, dass es nicht mehr lange dauern würde.
Und doch wollte er noch mehr. Die Bestie in ihm schrie nach Blut und ergötzte sich am Leiden seines Opfers, dessen Leben und Tod ganz in seiner Hand waren. Er könnte den Jungen schnell oder langsam aussaugen, könnte sich an seinem Leiden ergötzen, ihm zusätzliche Schmerzen zufügen. Ja, er wollte die Schreie der Seele des Jungen hören, wie er sie quälte und schlussendlich in den Abgrund der ewigen Finsternis warf.
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Kyrill und Jonathan
RomanceJonathan will den Heimweg über den Friedhof abkürzen und begegnet dabei dem Vampir Kyrill. Natürlich finden die beiden Gefallen aneinander. --- Es gibt schon einige weitere Kapitel, die ich der Reihe nach einstellen werde. Kommentare und Vorschläge...