Das Unvermeidbare

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Valaina sah Mîthtan kurz hinterher, wie er in dem von Diamanten geschmückten Gang verschwand, bevor sie selber in einen smaragdgrün leuchtenden einbog. Sie beide waren niemals gut miteinander ausgekommen. Er hegte einen starken Groll gegen sie, warum genau wusste sie nicht, doch sie nahm an, dass er eifersüchtig auf ihre gute Verbindung zu Maethorn war. Nach der Rückkehr von den Verhandlungen im Waldlandreich, hatte er hohes Ansehen errungen (wie auch Maltlass, die zweite Leibwache Maethorns), doch erst, als Valaina in den Palast eingezogen war, nach Abschluss ihrer Ausbildung, war Mîthtan in den Posten des Befehlshabers der Schwertkämpfer gehoben worden. Maethorn war nicht mehr so viel auf Außenmissionen unterwegs gewesen, als dass er seine Leibwachen noch so dringend gebraucht hätte. Außerdem war er seitdem immer mit Valaina unterwegs (ausgenommen bei den Kriegen an der Grenze), und die konnte mindestens so gut kämpfen, wie seine ehemaligen Wachen. Maltlass hatte sich zu dieser Zeit zu seiner Kunst zurückgezogen und pflegte ein recht gutes Verhältnis zu der Freundin des Heerführers.
Valaina hatte es nie stark gestört, dass Mîthtan sie hasste. Er war respektvoll und hörte auf ihre Wünsche, weil er wusste, dass er es ansonsten mit Maethorn zu tun bekommen würde. Sie brauchte keine Freunde, sie brauchte bloß seinen Gehorsam.
Doch nun, mit ihrer Schwester im Palast, war das etwas anderes. Er war Offizier, sie dagegen hatte genaugenommen gar keine Stellung. Es war sein gutes Recht Gefangene zu verhören, wenn er wollte. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätte sie sie einfach sterben lassen in dem Wald der Nanór. Sie hatte ihre Schwester in den Fängen ihres Falkens nach Hause getragen. Der Freund, den sie so unbedingt hatte befreien wollen, war lange tot gewesen.
Ein Schicksal, dass auch sie sehr wahrscheinlich hier erwarten würde. Die Eglath hatten niemals freiwillig einen Eindringling am Leben gelassen (ausgenommen alleine Botschafterin Luinmír). Mit Vilya würde das nicht anders sein.

„Valaina", holte sie plötzlich eine Stimme aus den Gedanken. Sie sah überrascht auf und erkannte Maethorn näherkommen. „Ich habe es von einer Wache gehört, warum bist du nicht zu mir gekommen?", fragte er vorwurfsvoll und umarmte sie kurz, nachdem er einen Blick nach vor- und zurückgeworfen hatte. Sie schloss kurz die Augen, um seine Nähe zu genießen. Wie oft hatte sie sich in seine Arme gewünscht, in seine sicheren, starken Arme.
„Lange Geschichte", sagte sie leise, als sie sich wieder trennten.
„Warst du schon beim König?" Er musterte sie intensiv, als könnte er ihre Erlebnisse an ihrem Körper ablesen.
„Ich bin noch dabei den Bericht zu verfassen", erwiderte sie und vermied Blickkontakt. Sie war sich immer noch nicht sicher, was sie denn schreiben konnte oder sollte. Nach allem, was sie wusste, konnte jedes von Arminas' Worten gelogen gewesen sein, andererseits hatte sie auch einige Zeit mit seinen Freunden oder dem Schmiedemeister verbracht. Sie konnte nicht von allen getäuscht worden sein.
Maethorn kniff leicht die Augen zusammen und nahm sie am Arm, um sie in eine Tür, wenige Meter weiter, zu ziehen. Es war ein kleines Kaminzimmer, von deren Art es sehr viele gab (der durchgehend frostigen Wetterlage verschuldet). Einige Elben, die gerade zusammen ein Glas Wein getrunken hatten, sahen überrascht auf. Mit einem knappen Zeichen des Heerführers standen sie sofort auf, nahmen ihre Gläser und verschwanden schweigend, die Blicke zu Boden gerichtet.

„Dir ist bewusst, dass der König Vilya wegen ihrer Verbindung zu dir keineswegs anders, als einen gewöhnlichen Eindringling behandeln wird, oder?", fragte Maethorn, sobald die Tür ins Schloss gefallen war.
Valaina verdrehte die Augen. „Natürlich!"
„Warum hast du sie dann hierhergebracht?" Der Elb konnte nicht glauben, dass seine sonst kühle, intelligente Freundin so naiv war.
„Was hätte ich tun sollen? Zu den Waldelben kann ich sie nicht bringen, ohne einen Krieg anzufangen, bei den Nanór konnte ich sie auch nicht lassen, weil sie sie vermutlich nur umgebracht hätten und mich gleich dazu. Solange sie hier auch nur den Hauch einer Chance hat, dass der König sie freispricht, dann sind das die besten Chancen, die sie haben kann", erklärte Valaina etwas wütend, doch ihre Wut war mehr auf sich selbst gerichtet als auf Maethorn. Wäre sie nicht damit beschäftigt gewesen mit ihrem Feind zu schlafen, hätte sie Vilya möglicherweise selbst noch retten können, ohne sie in den Palast zu bringen.
„Vielleicht wäre es das Beste gewesen, wenn du sie dort sterben gelassen hättest", erwiderte ihr Gegenüber grimmig. Es versetzte ihr einen leisen Stich ins Herz. Sie hatte auch schon darüber nachgedacht, doch hatte es nicht mit sich vereinbaren können, ihre letzte Familie zum Sterben zurückzulassen. Vilya war immer gut zu ihr gewesen, hatte sie verteidigt vor ihrem Vater, hatte sogar ihre große Liebe zurückgelassen, nur um zu wissen, ob es ihr gut ginge.
„Vilya hat nie den besten Weg für sich gewählt. Das hätte sie nicht gewollt."
„Sie hätte lieber gewollt, hier in den kalten Kerken zu hungern und zu dursten, bis sie zur Befragung geholt wird, an der sie zugrunde geht?"

Das Herz einer Schwester // Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt