Bluterbe

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Die Zelle, in der Valaina saß, war sehr kahl eingerichtet. Sie verfügte über ein Bett und einen kleinen Tisch. Die Tür bestand aus einigen Stahlstangen, die gleichzeitig auch frische Luft sicherstellten. Vor ihr standen zwei Wachen. Mit ihrem Wurfstern, den sie immer noch bei sich wusste, konnte sie sich mit Leichtigkeit befreien, doch das würde sie nicht weit bringen. Immerhin sollte sie alles irgend Mögliche über dieses Volk herausfinden. Dabei für kurze Zeit in einer der Zellen zu sitzen, konnte sich dabei als Vorteil herausstellen. Damit bekam sie ein Gefühl für die Routinen der Wachen und die Ausstattung der Gefängnisse.

Es dauerte tatsächlich nur wenige Stunden, bis sich im Gang wieder etwas regte.
Valaina hatte nur gedöst und war nun sofort wieder auf den Beinen – ihren sehr erschöpften Beinen, musste sie zugeben.
Eine rothaarige Elbin erschien vor den Gitterstäben. Den Blick hatte sie auf einen Zettel in ihrer Hand gesenkt.
„Du bist Valaina, richtig?", fragte sie und kramte nach ihrem Schlüsselbund.
„Richtig", stimmte Valaina zu und trat einen Schritt zurück, damit sie öffnen konnte. Hinter ihr standen noch zwei weitere Wachen, die nichts von sich gaben.
„Du wirst zu Botschafterin Luinmír gebracht", informierte die Rothaarige sie und deutete ihr zu folgen. Valaina tat wie geheißen.

Sie gab ihr Bestes, sich den Weg zu merken, um sich einen Überblick über das Schloss zu machen, doch es war wirklich nicht einfach. In ihrem Palast war alles sehr organisiert, angeschrieben, mit Farben gekennzeichnet oder offen gebaut, sodass man sah, wohin man ging. Hier war nichts davon der Fall.
Der Weg endete in einem Besprechungszimmer. Die drei Wachen blieben draußen, Valaina wurde nur die Tür geöffnet. Als sie eintrat, ließ sie erst ihren Blick kurz durch den Raum wandern. Er war recht klein, an den Wänden hingen keinerlei Bilder. Außer einem runden Tisch mit ein paar Sesseln und einem großen Fenster mit blauen Vorhängen, gab es nicht viel Einrichtung. Die Nanór waren ganz offenbar ebenso wenig an Verhandlungen interessiert wie die Eglath. Valaina konnte sich dunkel an die Besprechungszimmer im Waldlandreich erinnern, die immer sehr warm und gemütlich eingerichtet gewesen waren mit Teppichen, Bildern, Kaminen und Sofas.

„Mir wurde deine Geschichte zugetragen", begrüßte sie die hochgewachsene, schlanke Elbin, deren strahlend blonde, gelockten Haare ihr bis zur Hüfte gingen. Sie hatte sich in den einhundert Jahren kaum verändert. So ernst und eingebildet wie immer stand sie neben dem Fenster und trat nun zwei Schritte näher.
Valaina zögerte einen Moment und schloss die Tür hinter sich.
„Verzeiht, bloß eine Menge Erinnerungen", gab sie zaghaft zu und hielt den Blick gesenkt.
„Valanya hat mir damals erzählt, dass sie zwei Töchter hat, doch wenngleich ich Ähnlichkeiten erkennen kann, bin ich noch nicht überzeugt", erwiderte Luinmír kühl.
„Natürlich. Ich hatte nicht erwartet mit offenen Armen empfangen zu werden", erklärte Valaina schnell.
„Was hast du denn erwartet?"
„Ich kann nicht zurück ins Waldlandreich wegen meinem Blut, deswegen hatte ich gehofft, dass ich hier vielleicht noch eine Familie habe, von der ich nichts weiß."
Die Botschafterin kniff die Augen zusammen und musterte die Elbin vor sich eingehend.
Einige Sekunden schwieg sie, dann verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken.
„Die Eglath mögen kaltherzig und brutal sein, aber selbst sie entführen nicht willkürlich kleine Kinder, vor allem nicht, nachdem gerade ein (wenn auch sehr kurzfristiger) Friedensvertrag geschlossen wurde", sprach sie und wartete gespannt auf die Antwort.
„Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, was die Gründe für die Entscheidungen der Eglath waren", erwiderte Valaina vorsichtig. Sie spürte, dass sie verlor. Sie hatte noch einen Trumpf, doch eigentlich wollte sie diesen wirklich nicht spielen.

Luinmír seufzte und setzte sich bereits in Bewegung, um den Wachen Bescheid zu sagen.
„Ich habe ihnen geholfen", platzte es aus Valaina schnell heraus. Die Botschafterin blieb überrascht stehen und wartete auf eine genauere Ausführung.
„Bei den Verhandlungen. Maethorn, der Heerführer, hat meine Mutter vor meinen Augen umgebracht. Er hätte dasselbe mit meiner Schwester getan, wenn ich ihm nicht geholfen hätte. Ich war ein kleines Kind, ich habe noch nicht viel über den Konflikt gewusst und wollte einfach meine Familie retten."
Natürlich war Valaina in Wahrheit damals lange nicht so naiv gewesen, doch es bestand tatsächlich die Möglichkeit, dass die Nanór sie für den Verrat von vor einhundert Jahren zur Rechenschaft ziehen würden.

Das Herz einer Schwester // Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt