Der Sturm

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Riesige Flecken von Gold und Silber befanden auf dem großen Vorplatz, etwas außerhalb des Palastes, versammelt. Krieger aus allen Provinzen des Reiches waren in Windeseile informiert worden. Mehrere tausend Soldaten standen stocksteif mit ihren Bögen, Lanzen oder Schwertern in der Hand. Ganz vorne befanden sich einige Reihen der goldgekleideten Männer. Auf ihrer Rüstung befanden sich zierliche Verschnörkelungen, die die Bäume, den Wind oder die Felder ihres Reiches zeichneten. Blumen und Blätter wuchsen aus den Schulterpartien. Sie kämpften mit Lanzen, Schildern und langen Schwertern, um die ersten Gegner so früh wie möglich abfangen zu können.
Hinter ihnen waren silberne Bogenschützen, deren Rüstung mit denselben weißen Federn, wie sie auch an ihren Pfeilen zu finden waren, bestückt waren. Wie Sterne an einem von Vollmond erleuchteten Nachthimmel, glitzerten hundert winzige Diamanten, eingearbeitet in das feine Metall.
Danach kamen noch einige Reihen und Segmente von den beiden Heerabteilungen, bis ganz hinten sich die Falkenreiter in einer verhältnismäßig unorganisierten Gruppe zusammenfanden. Sie brauchten keine perfekte Formation beizubehalten, da sie in wenigen Minuten oder Stunden, sich in die Lüfte erheben würden, und erst dort begann ihre Aufgabe.
Sie waren in Braun gekleidet, der Großteil ihrer Rüstung bestand aus Leder, da es leichter war und in dieser Farbe fiel man auf den Vögeln nicht so stark auf. Davon abgesehen waren Brust- und Schulterpartien von Falkenfedern geziert. Ein goldenes Abzeichen des lang verfallenen Königreiches Doriath befand sich knapp unter dem Hals eines jeden Fliegers.
Jenes Zeichen war auch auf den gehissten Fahnen und Kriegsmaschinen zu erkennen. Kriegsmaschinen aus Holz, Metall und massivem, fein geschliffenem Felsen. Das Heer war den Altvorderenzeiten zweifellos mehr als würdig.

Der Himmel war aufgeklärt. Durch Wolkenschleier strahlte die schwache Sonne des Nordens, doch die sollte ihnen nicht mehr viel länger geschenkt bleiben. Ein starker Wind wehte aus Westen, wo sich schwarze Gewitterwolken aufbäumten. Nicht der beste Tag für eine solche Schlacht, doch in Wahrheit hatte sie bereits vor einigen Stunden begonnen, mit dem Moment, in dem die Armeen der Nanór und der Waldelben die Grenze überschritten hatten. Es gab kein Zurück mehr.

Valaina, die Befehlshaberin der Falkenreiter, stand etwas abseits bei ihrem Vogel und ließ ihren Blick über die vielen Kämpfer wandern. Sie verspürte keine Angst, keine Freude, keinen Stolz, keine Trauer, nichts. Die Eglath waren ihr Volk. Sie war loyal ihren Leuten gegenüber, egal, was sie über König Daeron dachte. Sie würde bleiben und kämpfen, tun, was ihr befohlen wurde, für das Beste ihres Volkes.
Ein Elb näherte sich ihr. Er trug die gold-schwarze Rüstung, die Maethorn einst getragen hatte. Doch im Gegensatz zum ehemaligen Heerführer, besaß er blonde, leicht gewellte, Haare, die so schwer waren, dass der starke Wind sie kaum berührte. Auffallend grüne Augen stachen aus dem gebräunten Gesicht hervor. An dem zeitlosen Ausdruck konnte man ablesen, wie viele tausend Jahre er bereits unter dem König gedient hatte.

„Valaina", machte er die Elbin auf sich aufmerksam. Sie hatte ihn kommen gesehen, doch wollte nicht mit ihm reden. Nun musste sie sich ihm allerdings zuwenden.
„Forodren", antwortete sie und neigte leicht den Kopf. Er sah von ihr zu ihrem Falken und zurück, abschätzend, ob er die Frage stellen sollte, die ihn beschäftigte.
„Ich wollte sichergehen, dass wir beide kein Problem haben mit diesem Führungswechsel", sprach er und richtete sich etwas auf. Er hatte niemals beabsichtigt so hoch zu steigen, geschweige denn auf diese Art Maethorns Platz einzunehmen. Er war gerne der Befehlshaber der Falkenreiter gewesen, er liebte die Tiere, liebte die Lüfte und die Kunst des Fliegens (sei es in einer Kriegssituation oder bloß aus Spaß). Er hatte seine Aufgaben gerne gemacht, hatte sich gut mit dem einstigen Heerführer verstanden. Als es zu der überstürzten Entscheidung kam, wer seinen Platz einnehmen sollte, war er die beste Wahl gewesen mit seiner Erfahrung und seinem Können, doch von ganzem Herzen hatte er sich nicht gefreut. Seine neue Stellung kam mit einer Menge Verantwortung und Entscheidungen, die er tragen und treffen konnte, doch es vielleicht nicht wirklich wollte.

Das Herz einer Schwester // Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt