Dem Tod von der Schippe gesprungen

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Vilya lag in einem kleinen, dicht eingerichteten Raum. Bis auf das Fenster und die Tür war alles mit Regalen und Schränken verstellt, in welchen die verschiedensten Instrumente und Kräuter lagen. Die Elbin selbst befand sich auf einem Bett mit sehr dünner Matratze, die von der Hüfte aufwärts etwas aufgerichtet war. Ihre Brust schmerzte, sie konnte nur sehr flach atmen. Sie war betäubt von sehr starken Schmerzmitteln. Die Wunden waren schwerwiegend gewesen, doch in den Händen begabter Heiler, kein Todesurteil.
Die Tür stand offen. In ihr lehnte ein hochgewachsener Krieger in goldener Rüstung. Der Heiler stand entschlossen vor Vilya und schien über die Anwesenheit des adligen Elben nicht erfreut zu sein.
Ihr Streit ließ die Verletzte ihre Augen öffnen, noch konnte sie nicht viel wahrnehmen.

„Siehst du? Sie ist wach, ich werde sie mit mir nehmen", knurrte der Krieger grimmig. Seine Stimme bescherte Vilya eine Gänsehaut.
„Wir wissen beide, dass du nichts von Heilerkunde verstehst! Sie wird noch bis mindestens morgen genau dort liegenbleiben, wo sie gerade ist. Du magst da draußen befehligen, hier drinnen steht nur der König über meinem Wort!", widersprach der Heiler aufgebracht.
„Bis morgen? Dann kann es ihr nicht so schlecht gehen. Es ist der Befehl des Königs sie noch heute in einen der Kerker zu bringen", erwiderte der um einen Kopf größere Elb und trat bedrohlich näher. Vilya konnte zum ersten Mal die beiden wirklich klar sehen. Ihr Mund öffnete sich ein Stück weit, doch sie war zu benebelt, um etwas zu sagen. Sie verstand, wo sie war, wer dieser Krieger vor ihr war, doch gleichzeitig schien das alles so unwahrscheinlich, dass sie es mit Halluzinationen abtat.
„Der Befehl des Königs", wiederholte der Heiler verächtlich. „Warum sollte der König den Befehlshaber der Schwertkämpfer höchstpersönlich mit einer solchen Kleinigkeit beauftragen?"
Befehlshaber der Schwertkämpfer, klang es in Vilyas Kopf nach. Einst war er nur die Leibwache Maethorns gewesen.
„Sag schon, Mîthtan, warum bist du wirklich hier?", fuhr der kleinere Elb fort und verschränkte die Arme. Er trug eine weiße Tunika und hatte lange silberne Haare, die in einem lockeren Zopf geflochten waren. Sein Gegenüber war nicht nur viel größer, sondern auch um einiges kräftiger und hatte eine markante, lange Narbe über dem linken Auge, die er als ein Zeichen von Stärke trug.

„Du hast recht. Wir kennen uns, doch der König hat diesen Befehl tatsächlich erteilt, wenn auch nicht direkt mir. Also verabreiche ihr eines deiner Wundermittel und ich werde sie mit Samthandschuhen in ihren Kerker tragen", gab Mîthtan ironisch zu, wobei seine Stimme so kalt blieb wie eh und je. In Vilyas Kopf kehrten einige Erinnerungen zurück. Er und Maethorn hatten damals ihre Mutter umgebracht! Und, wie sich herausgestellt hatte, auch noch ihre kleine Schwester entführt!

Ihr Mund wurde sanft geöffnet und einige kleine Tropfen landeten auf ihrer Zunge. Sie schluckte sie gierig hinunter. Sie wusste, dass sie die Kraft brauchen würde, die sie ihr brachten.
Sehr schnell setzte die Wirkung ein.
„Das sollte ihr für die nächsten zwei Tage helfen. Ich nehme ohnehin nicht an, dass der König vorhat sie lange am Leben zu lassen", brummte der Heiler widerwillig und trat einen Schritt zurück.
Vilya kniff einige Male die Augen zusammen, um etwas besser denken zu können. Ihre Lider waren verklebt. Sie konnte sich nicht daran erinnern geweint zu haben, doch sie hielt es für sehr plausibel. Immerhin war ihr Kindheitsfreund und Reisegefährte der letzten Wochen soeben direkt vor ihr ermordet worden, so wie auch schon Gwilith. Sie hatte es geschafft alle ihre Reisegefährten zu verlieren und nun lag sie auch noch einem der brutalsten Elben, die sie in ihrem Leben kennengelernt hatte, ausgeliefert vor der Nase. Maethorn hatte wenigstens noch einen gewissen Respekt und Ehre. Mîthtan dagegen hatte niemals etwas Derartiges gezeigt.
Wie war sie überhaupt von den Mauern der Nanór zu einem Heilerzimmer bei den Eglath gekommen?

Mîthtan trat zufrieden näher und löste die Fesseln um Vilyas Handgelenke.
„Aufstehen", befahl er grob. Die Elbin setzte sich schwankend auf und stellte die Beine schnell auf den Boden. Sie wusste, dass ihn jede Verzögerung wütend machen würde.
Ihr wurde sofort Schwarz vor Augen. Um ein Haar verlor sie das Bewusstsein, da zog der Befehlshaber der Schwertkämpfer sie schon auf die Beine und schubste sie in Richtung Tür. Sie balancierte hilflos auf ihren tauben Füßen, bis sie gegen eine Wand prallte, an der sie sich gerade noch festkrallen konnte.
Mîthtan lächelte genüsslich und packte sie am Nacken. Vilya hätte gerne gefragt, was sie ihm denn jemals angetan hatte, doch sie war schon genug damit beschäftigt sich auf den Beinen zu halten. Genauso hätte sie gerne ihre Hände zu der seinen gehoben, um zu versuchen den schmerzenden Griff zu lockern, doch das hätte es vermutlich nur schlimmer gemacht.
Sie ließ sich durch den hohen Gang schubsen. Aus dem Augenwinkel fielen ihr viele glitzernde Saphire auf. Sie konnte nicht anders als den Blick zu heben. Hätte sie die Möglichkeit gehabt, wäre sie wohl einige Sekunden sprachlos stehengeblieben.
Die Wände waren aus fein bearbeitetem Stein, der jeden Meter einen faustgroßen Saphir eingefasst hatte. Sie hatte niemals auch nur einen einzigen so großen Edelstein gesehen, ganz abgesehen von der lächerlichen Anzahl.
Jeder von ihnen reflektierte bläulich das weiße Licht, das, ohne dass es Fenster gäbe, in einem Schimmer vorherrschte.

Das Herz einer Schwester // Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt