Alte Freunde

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„Schach", verkündete Gwilith sachlich und stützte sich auf seinen Ellenbogen auf dem hölzernen Tisch zwischen ihm und Vilya ab. Seine dunklen Augen fokussierten die Elbin mit ihrem intensiven Blick. Er war in den letzten einhundert Jahren zu ihrer persönlichen Leibwache aufgestiegen. Immerhin hatten sie sich schon kennengelernt, als Vilya noch in ihrem Dorf gelebt hatte. Er hatte ihr damals die Prophezeiung, die Laicas Verrat beinhaltet hatte, überbracht. Außerdem war er derjenige gewesen, den Legolas abgestellt hatte, um Vilya davon abzuhalten, in die Schacht mitzuziehen. Er war eine ausgesprochen gute Wache und hatte in seinem Leben selten etwas falsch oder schlecht gemacht, weshalb ihm diese Unachtsamkeit verziehen worden war.

Die dunkelhaarige Elbin seufzte und versuchte verzweifelt einen Weg aus der Bredouille zu finden, indem sie jede Schachfigur einzeln musterte. Sie war nicht schlecht in diesem Spiel, doch Gwilith behielt meist die Überhand, und wenn er es nicht tat, dann vermutete sie, dass er absichtlich verlor, um sie etwas aufzuheitern. Sie war schließlich immer noch seine Herrin.

Ihre Hand ballte sich zu einer Faust von der starken Konzentration. Die Wache musste lächeln.
„Ich habe gehört, dass du die Prinzen nicht begrüßen willst", versuchte er sie auf andere Gedanken zu bringen. Sie hatte seine Worte sehr wohl vernommen und verstanden, doch wollte über dieses Thema nicht sprechen, weshalb sie einfach weiter das schwarz-weiße Spielbrett anstarrte.
„Sie werden heute ankommen, sie sind niemals zu spät", fuhr ihre Leibwache fort und lehnte sich zurück. Vilya rümpfte die Nase und fuhr mit ihrem Pferd einige Felder weiter. Gwilith brauchte keine paar Sekunden, um seinen Läufer ein gutes Stück in Vilyas Teil des Brettes zu schieben. Bedrohlich nah stand er nun wieder an ihrem König.
„Ich weiß, dass du keine Prinzessin bist, aber der Palast sieht dich nun einmal als eine."
Vilya seufzte schwer und sah ihm kurz in die Augen. Sie mochte es nicht so oft hinterfragt zu werden. „Das hat nichts damit zu tun", erwiderte sie und tat bereits den nächsten Zug. Er hob ungläubig eine buschige Braue und wartete auf eine bessere Antwort.
„Oder zumindest nicht viel", verbesserte sie und machte sich etwas klein unter dem intensiven Blick des viel, viel älteren Elben, der im ersten Alter dieser Welt geboren worden war. „Ich kenne die beiden. Ich war in Bruchtal nach der Schlacht am Gundabad. Ich will sie einfach nicht sehen." In Wahrheit bezog sie sich damit natürlich nur auf den Fakt, dass sie mit Elrohir geschlafen hatte und Elladan davon wusste, während sie nun mit Legolas zusammen war, der mit den beiden befreundet war.
Gwilith nickte leicht und vollführte den letzten Zug, der ihn ein leises „Schachmatt" aussprechen ließ. Vilya verdrehte die Augen und lehnte sich nun ebenfalls zurück. Man könnte meinen, dass sie nach einhundert Jahren die Tricks von ihm kannte, doch er überraschte sie immer wieder.
„Außerdem glaube ich nicht, dass...", sie brach ab und schüttelte den Kopf. Die Wache stoppte in der Bewegung die Figuren neu zu ordnen, und sah sie erwartungsvoll an. Er wollte nicht genauer nachfragen, da er nicht wusste, ob er damit nicht eine Grenze überschritt.

Als sie einige Sekunden schwieg, fuhr er mit seinem Tun fort.
„Ich glaube nicht, dass Legolas und ich noch eine Zukunft haben", beendete sie plötzlich ihren Satz, was ihn wieder aufsehen ließ.
„Ist dir das Band der Ehe so wichtig?", fragte er mit seiner rauen Stimme, die er immer anschlug, wenn er etwas sehr ernst meinte. Sie verschränkte locker die Arme und starrte auf das Schachbrett zwischen ihnen.
„Irgendwann wird Legolas jemanden heiraten wollen, die sein Vater mag, mit der er Kinder bekommen kann, die eines Tages das Reich erben werden. Ich bin nur eine Zwischenlösung", erklärte sie bitter und biss sich auf die Lippe. Gwilith hob überrascht seine Brauen. Er hatte bemerkt, dass die beiden sich die letzten Jahre über etwas entfremdet hatten, doch er hatte nicht gewusst, dass es so schlimm geworden war.
„Elben verlieben sich nur einmal", begann er, wobei er eigentlich noch fortfahren wollte, doch die Tür, die ungefragt geöffnet wurde, unterbrach ihn. Es war Legolas, gekleidet in seine vornehmste hellgrün-goldene Tunika, schwarzen Stiefeln und einem braunen Ledergürtel. Er hatte sich die letzten Tage schon auf die Ankunft der beiden Bruchtalprinzen gefreut.
„Warum bist du noch nicht fertig?", fragte er etwas verwirrt und blieb mit der Klinke in der Hand stehen. Gwilith erhob sich und verbeugte sich knapp vor den beiden, bevor er schnellen Schrittes den Raum verließ. Das war eine sehr private Angelegenheit.

Das Herz einer Schwester // Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt