Kapitel 4

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Er ließ sich auf die Matratze fallen, die Federung lud dazu ein, herumzuspringen. Ob sie Saemel gefallen hätte? Was für ein absurder Gedanke, Saemel hätte sie wahrscheinlich ohne zu wollen mit den Krallen zerstört. Er stützte sich am Fensterbrett ab und sah hinunter, auf die glitzernde Stadt. Jeder Herrscher schien in seinem Stützpunkt seinen eigenen Stil zu haben, Nicolaes ist eine zwanghaft erhaltene Wildnis.
Jemand donnerte gegen die Türe. „Frühstück!"
Verschlafen hob er den Kopf, seine Nase tat vom Stein weh. Er war wohl auf dem Fensterbrett eingeschlafen. Gähnend öffnete er die Türe und folgte der Wache durch das riesige Gebäude. Dort führte man ihn in einen großen, mit Menschen gefüllten Raum in dem die Essensausgabe stattfindet.
Unwohl erkämpfte er sich etwas zu essen und setzte sich auf ein Stück freien Boden. Von dem Leben in der WG war er es gewohnt, das alles in Ruhe ablief, in der Arbeiterklasse war er schon lange nichtmehr gewesen. Auf Nicolaes Wunsch hin hatte Ethan ihn damals zu sich genommen. Als zwölfjähriger war es schwer, mit einem alten Zeitreisenden und siebzehnjährigen Dämon, die man nicht kennt, einfach zu essen. Jetzt, acht Jahre später, tat er sich noch immer schwer. Stirnrunzelnd leckte er den Teller ab, fragte sich, ob er sich noch etwas zu essen holen könnte. Jedenfalls war das bisschen zu wenig für einen Tag.
Eine andere Wache tippte ihm auf die Schulter und deutete zu folgen. Dieses Mal ging es einen bekannten Weg entlang. Er klopfte an der Türe und ging an der Wache vorbei in den Raum, die Türe hinter schloss sich wieder.
Tushar saß am Tisch und bereitete sein Frühstück vor. „Tut mir Leid, sie haben dich falsch geführt. Du bist mein Gast und isst daher auch bei mir."
Erleichtert setzte er sich auf das Sandkissen gegenüber von Tushar. Das hörte er gerne. Nachdem er sich sein Frühstück zusammengestellt hatte, fragte er: „Warum bin ich hier? Gestern wolltest du nicht darauf eingehen."
„Nach dem Essen, es könnte dir sonst den Appetit verschlagen."
„Also wirklich die Zucht?"
„Nach dem Essen.", wiederholte Tushar streng.
Nach einer Weile – die Diener räumten das Geschirr heraus – stand Tushar auf. „Also, dein Auftrag... Erstmal will ich wirklich sehen, ob du dich qualifizierst."
„Ich werde mit keiner Frau Beischlaf habe.", grollte Percival.
Tushar ging nicht darauf ein, stattdessen klatschte er mehrmals. „Sciperin!"
Wie auf Kommando öffnete sich die große Türe. Ein großer, in dunklen Umhang verhüllten Mann trat ein.
„Bitte bring meinen Gast zu seiner Prüfung."
Ohne ein Wort zu sagen packte Sciperin Percival am Kragen und zog ihn aus dem Gebäude. Als er die Flügel ausbreitete und losflog, riss langsam der Kragen.
Percy biss die Zähne zusammen und fing sich an einem Balkongeländer ab. Ein Blick nach oben, Sciperin war einfach weitergeflogen. Mit einem Schnauben zog er sich auf den Balkon und ins Gebäude. Durchs Treppenhaus lief er nach unten, durch das Getümmel bis zum Stadtrand. Dort lief er den ganzen Weg zurück bis zur Stelle, an der er sich von Scarlet getrennt hatte. Vielleicht war dieser noch da und würde ihn wieder mitnehmen. War zwar nicht das beste Vorgehen, um aus einer Sache rauszukommen, aber was solls. Wenn man hier nicht einmal mit offenen Karten spielen konnte. „Scarlet!"
Keine Antwort. Verdammt! „Scarlet!"
Stirnrunzelnd sah er sich um. Wo ging es nochmal zum Wald? Er machte es einfach wie Nicolae und ging in eine Richtung, irgendwo würde er schon landen. Immerhin hatte er jetzt genug Zeit um nachzudenken. Scarlet würde ihn hier vermutlich nicht rausholen und Ethan hatte gefühlt seine depressive Periode. Und das bereitete ihm große Sorge, dennoch huschte ihm ein Lächeln über das Gesicht. Mit einem Lächeln im Gesicht pflückte er eine Blume und steckte sie in sein Haar. Das Hellblau hatte ihn dazu genötigt sie zu pflücken. Gut gelaunt und mit der Blume hinterm Ohr ging er weiter. Ein Schlag holte ihn aus seinen Gedanken. Leise fluchend rieb er sich den Kopf, er war gegen einen Baum gelaufen. Wenigstens hing er nichtmehr auf dem Feld fest. Wald war gut, Wald war schön. Er mochte den Wald. Gemütlich spazierte er durch diesen, balancierte über einen Fluss und genoss die Ruhe. Dennoch bekam er das Gefühl nicht los, jemand beobachte ihn. Unauffällig überprüfte er die Umgebung. Nichts, nur Pflanzen. Vielleicht wurde er durch die Ereignisse der letzte Zeit langsam paranoid. Ein Pfeil schlug direkt vor seiner Nase ein. Oder auch nicht. Schnell warf er ein Messer in die Richtung, aus die der Pfeil kam. Jemand schrie auf und fiel vom Ast. Den Klamotten nach eine Wache. Er ging zu der Wache und musterte sie. Eine Wache kommt nie allein, das wusste er. Leise murmelte er: „Wo sind deine Kollegen?", als er sich genauer umsah. Um seinen Hals legte sich ein starker Arm und versuchte ihn zu Boden zu ringen. Die Person war sehr nah an ihm heran, er konnte ihren Atem spüren. Pech für sie. Reflexartig griff er den Kopf, drückte ihn vor und biss der Wache in die Nase, dann schlug er ihm mit dem Ellenbogen in den Bauch. Die Wache wich zurück. Das überraschte ihn doch sehr, er hatte keine spitzen Zähne und der Schlag war nicht fest, es konnte doch nicht so stark wehtun. Der Mann war eine größere Zicke als Saemel, das musste Mann erstmal schaffen. Mit Tränen in den Augen brüllte der Mann etwas in seiner Sprache. Sekunden später stand Percy im Kreuzfeuer. Auf den Bäumen richteten die Schützen ihre Gewehre auf ihn, Messerkämpfer hatten ihn umzingelt. Mit letzterem kam er sehr gut klar.
„Wenn du brav mit uns mitkommst gibt es keine Probleme. Sonst müssen wir handgreiflich werden." Der mit der Bisswunde war wohl ihr Anführer.
Er ließ ein Messer in seine Hand gleiten. So leicht gab er nicht auf! Er setzte zum Sprung an und warf täuschend das Messer nach einer Wache, welche von ihrem Ast sprang. Beim nächsten biegsamen Ast drückte er sich ab und riss der Wache das Gewehr aus der Hand. Zwar flogen ihm die Kugeln um die Ohren, aber keine traf. Konnten sie nicht zielen? Gekonnt landete er auf einem Ast und kletterte höher in den Baum und wechselte diesen bis er schließlich in ein dichtes Astgeflecht kam. Dort legte er sich auf den Bauch und positionierte das Gewehr im Schutz der dicken überlappenden Blätter. Sollte er noch sein Messer holen? Apropos, von dem Messerwerfer hatte sich keiner gerührt, dachten sie ihre Anzahl würde reichen um ihn einzuschüchtern? Er war anderes gewohnt. Es knackte im Geäst unter ihm. Suchend schloss er ein Auge und sah durch das Zielfernrohr. Ihm fiel ein viel zu dunkles Braun auf. In der Hoffnung, es sein eine Schulter, feuerte er. Es folgte ein lauter Schmerzensschrei. Getroffen! Jetzt kam Bewegung in die Bäume, sie hatten den Ernst der Lage verstanden und griffen an. Er lud nach und feuerte bis das Magazin leer war, den Schreien nach war fast jeder Schuss ein Treffer. Der Rest entfernte sich von ihm.
„Komm runter!"
Er legte das Gewehr hin und sah nach unten. Alle Angreifer, sowohl die Messerwerfer als auch die Schützen standen beisammen, manche hielten sich die Schulter.
Der Anführer suchte in seiner Richtung. „Wir geben auf. Der Sire erwartet Sie bereits."
Langsam kletterte er wieder hinunter und sammelte das Messer wieder ein. Was sollten sie für einen Grund haben ihn anzulügen? Auf dem moosigen Boden fuhr er sich schließlich durch die Haare, die Blume war herausgefallen. Hoffentlich reichte das als Beweis und Tushar würde die Prüfung sein lassen. Als er sich mit den Wachen auf den Rückweg machte, bekam er das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Nach ein paar Minuten waren sie wieder an der Basarstadt. Kein Wunder, dass sie ihn in Massen angegriffen hatten. Würde bei der kurzen Entfernung jeder machen. Die Einwohner ließen die Wachen durch, niemand stand im Weg. Also waren die Wachen kein Freiwilligendienst wie davon angenommen. Zu seiner Überraschung gingen sie am Haupttor vorbei zu einem Seiteneingang. Während der Anführer das Tor aufschloss, gab Pevrè einem der Wachen das Gewehr. Dann traten sie in den dunklen Gang, nur der Anführer und eine Wache folgten ihm, der Rest blieb draußen. Am Ende des dunklen Gangs hörte er Kindergeschrei. Sein Herz raste, wohin führte man ihn bloß? Der Anführer schloss eine Türe auf und ließ Percy den Vortritt bevor er die Türe hinter sich schloss. Er hatte es gewusst. Entsetzt starrte er auf die vor ihm schlafenden Babys. Tushars Schützlinge waren allesamt gezüchtet worden. „Was für ein Abschaum!" Ein räuspern. „Verzeihung." Noch immer schockiert ging er an den Betten vorbei. Es waren so viele. So viele unschuldige Seelen. Erneut schloss der Anführer eine Türe auf, dieses Mal ging der Anführer als Erstes durch und fing reflexartig einen Ball. „Hey!"
Percy quetschte sich an ihm vorbei. Ein Mädchen mit schwarzen lockigen Haaren und lebenden schwarzen Augen bohrte vor ihnen ein Loch in den Boden.
Der Anführer sagte etwas und warf dem Mädchen den Ball wieder zu. Sofort fing diese ihn und verschwand in der Kindermasse. Alles Tushars Zucht! „Du musst sie entschuldigen, Kinder sind sehr unachtsam." Die letzten Gänge verliefen schweigend. Seine Eskorte schien zu spüren, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten. Endlich kamen sie zu der Türe. Die dortigen Wachen klopften und traten mit ihm ein. Wütend lief er direkt zu Tushar. „Was soll das für ein Spiel sein?"
„Spiel?", amüsiert zog Tushar eine Braue hoch, „Was redest du denn?"
„Du züchtest deine Kämpfer. Vermutlich willst du das von mir auch verlangen. Nur um eines zu klären: Ich bin impotent!"
„Was... wovon-"
„Hat Nicolae mal erwähnt."
Tushar grinste. „Nicolae ist ein Rudeldämon, für ihn gibt es nur den Begriff Zucht im Bezug auf Sex. Das musst du berücksichtigen, Menschenskind, Dämonen denken anders, vor allem wilde."
Percy setzte sich vor Tushars Stuhl. „Du scheinst ihn ja richtig zu kennen."
„Naja", Tushar stand auf und ging zu einem Fenster, „ich habe Nicolae damals mein Gebiet überlassen, um neu anzufangen. Ein richtiger Stratege, der die Züge seines Gegners trotz seines jungen Alters bereits sehr gut vorrausahnen konnte. Es war das erste Mal, dass ich einen Kampf richtig genossen habe." Tushar zögerte. „Er dürfte ungefähr in deinem Alter jetzt gewesen sein als wir gekämpft haben."
Um Himmels Willen, wie alt war Tushar? Nicolae dürfte jetzt um die vierzig sein.
„Erstens habe ich mir gestern einen Scherz erlaubt, ich wusste nicht, dass du so reagierst. Zweitens, ich kann aus deinem Gesicht ablesen, was du dir denkst, aber ich sage es dir erst wenn du meinen Auftrag erfüllt hast."
Percival verzog das Gesicht. Dass Tushar mit dem Thema Zucht so locker umging konnte er nicht verstehen, aber er vertraute mal auf die Aussage. „Hat der Kampf gegen deine Wächter nicht gereicht?", presste er unter zusammengebissenen Zähnen hervor.
Tushar hob warnend den Zeigefinger. „Achte auf deine Bezeichnung. Ich habe Wachen, Ethan ist ein Wächter. Da liegen zig Ränge dazwischen."
„Schon gut, schon gut, ich habe es verstanden. Werde ich wieder fallen gelassen?"
„Was das betrifft, Sciperin ist sorglos. Er schert sich nicht was mit anderen passiert. Aber er ist mein Cousin, seine Eltern wurden damals getötet, also muss ich ihn beschäftigen."
„So genau wollte ich es nicht wissen, aber danke."
„Neuer Versuch." Zweimaliges Klatschen, „Sciperin, bring ihn weg. Und pass besser auf ihn auf."
Ehe Percival etwas sagen konnte, wurde ihm eine behandschuhte Hand in den Mund gedrückt die ihn in den Hof zog. Dort griff eine weitere an seinen Oberkörper und flog weg. Er konnte den Kopf leicht drehten, aber das reichte nicht um unter Sciperins Umhang sehen zu können. Der komplette Körper und auch die Haare waren im schwarzen Schatten getaucht. „Wohin fliegen wir?"
Auch nach längerem Schweigen keine Antwort.
Sciperin schien nicht der Typ zu sein, der gerne redete. Naja, immerhin schien er überhaupt reden zu können, Saemel war bis auf die Zeichensprache stumm. „Wohin fliegen wir?", wiederholte er erneut, sie hatten bereits jede Menge Felder und Städte überflogen und er mochte es nicht, in den Armen eines Mannes zu sein der gewilligt ist ihn jederzeit fallen zu lassen. Bei einem eher abgelegenen Dorf gingen sie in den Tiefflug und Sciperin warf ihn durch ein offenes Fenster. Mit dem Gesicht voran schlug Percival auf dem Steinboden auf, rollte sich ab und sah Sciperin nach. Was hätte er auch anderes erwartet? „Und was ist meine Aufgabe?", schrie er hinterher, doch Sciperin schien schon zu weit weg. Genervt sah er sich um, auf einem Tisch fand er schließlich einen Zettel mit seinem Auftrag. Toll, jetzt musste er auch noch eine Frau finden und betäuben, ohne gesehen zu werden. Da konnte er gleich mit dem Aushängeschild >>Vergewaltiger<< rumlaufen, das gehörte nicht zu seinen zugelassenen Arbeiten. Aber was solls, er stand unter Tushars Auftragsschutz, sollte er Probleme bekommen, würde es auf Tushar übergehen.
Eine Weile musterte er das Bild seines Zieles, dann zog er sich die auf dem Bett liegende Kleidung an und machte den ersten Schritt auf die Dorfstraße. Anders als von oben gesehen waren dessen Straßen voll. Das machte die Sache nur noch schwieriger. Tief atmete er ein, dann mischte er sich unter die Menschenmasse. Wenigstens ein Café musste es doch geben. Tatsächlich fand er am Rand eines, das auch nicht gut besucht war. Glück für ihn. Gerade als er sich hinsetzte, bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Frau die sich mit einem bemützten Mann unterhielt, der verdammte Ähnlichkeit mit Saemel besaß. Schnell wandte er den Blick ab und starrte den Tisch an. Das war absurd, zum einen war das hier eine geschlossene Welt, zum anderen konnte Saemel weder reden noch sich in einer Personenmasse aufhalten ohne Panik zu bekommen. Er musste endlich seinen Kopf freibekommen! Nachdem sein Kaffee gebracht wurde, beobachtete er die Beiden weiter. Wenn er die Frau mit dem Bild verglich, könnte es glatt sein Ziel sein. Er trank aus, legte das Geld hin und sprach die beiden an. „Hey, wie geht's euch?"
Während die Frau ihn mit einem freundlichen Händedruck begrüßte, starrte der Mann auf den Boden und wippte mit dem Oberkörper – wären die Ohren und die Sonnenbrille nicht bedeckt, könnte es wirklich sein Geliebter sein, die Reaktion war jedenfalls dieselbe.
„Du musst meinen jungen Freund entschuldigen", die Frau drückte Percival etwas auf Abstand, „er mag es nicht, wenn Fremde ihm so nahekommen."
Er konnte sich nichtmehr zurückhalten. „Saemel, bist du es?"
Eine Weile herrschte Schweigen, bloß das Getümmel um sie herum war zu hören, dann drehte der Mann sich um und verließ ohne ein weiteres Wort das Dorf.
„Hey, warte doch.", schrie Percival und lief hinterher.
Die Frau packte ihn am Arm. „Glaub mir, es ist besser ihn ziehen zu lassen, Menschensjunge, du stirbst sonst."
Percival riss sich los und rieb sich den schmerzenden Arm, die Frau wurde ihm immer unsympathischer. „Wer bist du eigentlich?"
„Das du mich unsympathisch findest ist schade, aber lässt sich nicht ändern. Mein Name ist Petunia, ich bin die beste Freundin von Sciperin."
„Petunia... du bist doch die Frau gewesen, die damals in der Zeit gefangen war?"
Petunias schwarze Augen blitzten auf, „du musst der Junge sein, den Tushar von Nicolae geholt hat, sonst wüsstest du nichts davon! Gehe mit solchem Wissen vorsichtig um, du verrätst dich sonst.", ermahnte sie ihn, drehte sich um und ging.
„Warte", Percival lief ihn hinterher, „du bist mein Ziel."
„Ziel?" Ihr Schritttempo wurde höher. „Du sollst mich zurück an den Hofstaat bringen, das ist mal wieder typisch Tushar."
Mittlerweile mit großer Mühe Schritt zu halten lief Percival neben ihr her. „Ich finde es schön dort."
„Schön für dich, du darfst dich ja auch frei bewegen. Weißt du eigentlich, wie schwer es war wegzulaufen."
„Wer war der Mann?"
„Ein sehr guter Freund", antwortete sie barsch, „er brauchte meine Hilfe, aber du musstest ja dazwischengehen."
„Tut mir Leid.", murmelte er beschämt, „ich wusste nicht das er wegläuft. Außerdem, können wir zurück? Ich habe Heimweh."
„Du hast Heimweh?", sie lachte, „ich war bisher mein ganzes Leben eingesperrt!" Mit einem Zwinkern sprang sie in die Äste, breitete die Flügel aus und flog davon.
Mit offenem Mund sah Percival ihr nach. Wie hatte sich Tushar vorgestellt, dass er ein geflügeltes Wesen einfing? Kurz brauchte er, um sich zu fangen, dann lief er ihr so schnell er konnte hinterher. Er durfte sie nicht aus den Augen verlieren!
Außer Atem und mit Seitenstechen konnte er endlich durchschnaufen. Petunia war gelandet und wusch sich im Fluss. Jetzt ohne die lange Kleidung konnte man sie endlich ansehen. Es war interessant, dass eine Frau die im Dschungelgebiet lebte, so helle Haut besaß. Schien, als wäre sie vorher wirklich nie in der Sonne gewesen. Wie dunkel ihre Haut sonst gewesen wäre? Jedenfalls biss sich die jetzige mit den pechschwarzen ihres restlichen Körpers. Aber – er kniff die Augen zusammen – waren das Runen? Wofür-
„Ich bin eine Gegenweltlerin, falls du dich über meine gezeichnete Haut wunderst.", unterbrach Petunia ihn auf einmal. „Und solltest du mich angreifen, klatschts."
Percival stellten sich alle Härchen auf. Im gesamten Universum galt die Machtreihenfolge Wächter – Elemantary – Geister – Gegenweltler. „K – keine Sorge, das h - habe ich nicht vor.", stotterte er.
„Gut, und jetzt umdrehen, ich will nicht das du mich nackt siehst!"
Wie befohlen drehte er sich um. Wie konnte er bloß vergessen, dass Tushar dafür bekannt war die Gegenweltler zu beheimaten. Er bezeichnet sie immerhin als seine >>Spezialeinheit<<. Ein Blick zur Seite, der Saemelartige Typ saß auf einem Ast und beobachtete Petunia beim Baden. „Hey, runter da", befahl Percival knapp. Soweit kam es noch, dass ein Fremder sie begaffte.
Der Mann landete vor ihm, zog sich die Mütze weiter ins Gesicht und rückte die Sonnenbrille gerade. Nachdem er die Handschuhe wieder strammgezogen hat, kam der Mann direkt auf Percival zu. Eilig ging dieser rückwärts, der Mann war riesig, genauso wie alle Männer in dieser Welt. Riesig und muskulös, nur dass dieser eine bedrohliche Aura ausstrahlte. Also war er auch ein Machtwesen. Ein zweiter Gegenweltler?
„Lucius, hast du die Seife?"
Kurz standen sie sich bedrohlich gegenüber, dann ging der Mann an Percival vorbei und übergab Petunia die Seife.
Erleichtert ließ Percival sich zu Boden fallen, fast wäre er als Nachtisch geendet.
„Menschenjunge, komm her."
Gehorsam ging Percival den Hügel runter zu Petunia, die sich wieder angezogen hatte, und sich von Lucius die Haare waschen ließ. „Ja bitte?"
„Bitte sage mir deinen Namen."
Sein Name...? „Mein Name lautet Percival, Madam."
„Pfeffer?", sie kicherte, „was für ein bescheuerter Name. Aber gut, man kann ihn sich nicht raussuchen, und... oh-„ Sie sah zu Lucius, „ist das dein Ernst, er ist erst um die Zwanzig? Und so einen Jüngling will Tushar schon in die Wüste schicken... Na gut, nicht meine Sorge, er wird sich dabei schon was gedacht haben."
„Wüste?", wiederholte Percival schockiert, „Ich dachte, das wäre es gewesen."
„Nein, ich war wahrscheinlich bloß eine Nebenaufgabe. Lucius, das erzähle ich dir später, hör auf zu labern."
Percival verzog das Gesicht. Unterhielt sich Lucius mit ihr per Telepathie? „Was soll ich dort machen?"
Petunia stand auf und wrang sich die Haare aus. „Das erfährst du noch früh genug." Sie sah zu Lucius, der daraufhin nickend wieder davonflog.
Erst gingen sie zusammen einige Felder entlang, plötzlich breitete Petunia ihre bemusterten Flügel aus uns flog davon. Percival seufzte verbittert. Jetzt musste er ihr schon wieder nachlaufen. Dieses Mal landete sie in einer etwas größeren Stadt. Seufzend kletterte er über die Stadtmauer. Warum nur hatte er heute so viel Pech? Als hätte er für gestern jetzt die Retourkutsche bekommen. Hier ging es zu wie in einer auf kleine Fläche gequetschten Großstadt. In der Menge war es beinahe unmöglich, Petunia wiederzufinden. Immerhin gab es hier eine auf der Rückseite des Fotos beschriebene Unterkunft. Tushar schien gewusst zu haben, dass Petunia herflog. Langsam ging er die Stadtmauer entlang. Hoffentlich kam er bald nah genug an ein Dach heran, in das Getümmel stürzte er sich bloß für den Rückweg nicht noch einmal. Nach mehreren gefühlten Kilometern – wie groß war die Siedlung bitte? – war endlich ein erreichbares Dach in Sicht. Mit genug Anlauf stieß er sich von der höhergelegenen Sitzfläche ab, zog sich mit dem Katzensprung über die Mauer und schaffte es nur sehr knapp sich am Dach festzuhalten. Vorsichtig tastete er nach einer Einkerbung, irgendetwas stabilem, wo er sich hochziehen konnte. Endlich ertastete er eine kleine Stange, packte sie und stemmte sich hoch. Das wurde auch Zeit, seine Arme mochten sowas gar nicht. Seine Augen hatten ihn getäuscht, das Dach war weiter entfernt als gedacht. Suchend sprang er über die Dächer, wo war nochmal seine Unterkunft? Nach einer Ewigkeit fand er das Fenster, das dem glich, durch das Sciperin ihn geworfen hatte. Das würde er nie vergessen. Mit einem Seufzen ließ er sich durch das Fenster fallen. Wie sollte er in dieser Stadt – Siedlung je eine einzelne Person finden? Er war nicht Saemel, der einfach mit geschlossenen Augen seiner Nase folgen musste, sondern ein Normalo ohne besondere Kräfte. Ein zusammengeknülltes Papier wurde durch das Fenster neben ihn geworfen. Schnell lief er zum Fenster, konnte aber in dem Getümmel niemanden sehen. Er nahm das Knöllchen hoch und faltete es auseinander. Das Knöllchen war mal ein schlecht gefalteter Papierflieger. In das Blatt war der Text „Im Schrank hinter dir sind Betäubungsmittel und Tuch."
Er seufzte, so wie er Petunia bisher erlebt hatte, wird er das Betäubungsmittel brauchen. Na gut, je eher er sie fand und betäubte, desto eher kam er zurück Nachhause. Mit einem erneuten Seufzer ging er zum Schrank und öffnete ihn. Auf dem Regalteil vor ihm lagen Klamotten, im Fach darunter Seil, ein Tuch und eine fingergroße Flasche. Während dem Umziehen legte er seine Waffen in ein höheres Fach. Soweit er gesehen hatte, trugen hier nur die Wachen Waffen. Er blickte an sich hinunter und musste schmunzeln. Die Kleidung bestand aus einem Kleid, wobei die Männer darunter eine Art durchsichtige dreiviertel Hose trugen und Sandalen. Kein Wunder, dass Saemel gerne in Frauenkleidung steckte und darin auch trainierte. In einer Falte konnte er eine Tasche ertasten und steckte sich Tuch und Fläschchen ein. Als er die Türe aufmachte, war die ganz Entspannung verschwunden. Überrascht verließ er das Haus, in der kleinen Siedlung tummelten sich deutlich mehr Leute als von der Mauer aus gesehen. Wo sollte er überhaupt anfangen zu suchen? Gedankenverloren schlenderte er in eine dunklere Gasse.
„Aus dem Weg!"
„Hey!"
Ein stämmiger Mann stieß ihn in den Müll und ging zielstrebig in eine Richtung. Am anderen Ende der Gasse blieb er schließlich stehen, erst jetzt fiel Percy auf, dass der Fremde sich kaum vom Schatten abhob.
Schnaubend richtete er sich auf und klopfte sich Essensreste von dem Kleid. Der Fremde konnte eine Wache im Zivil sein und testen. Bully tat erst so als würde er Geld zählen, dann sprach er eine Frau an und ging mit ihr weiter in die Gasse und quatschte in ihrer Sprache mit ihr. Percy atmete erleichtert aus, sie schienen sich zu kennen. Der unterdrückte Schrei einer Frau ließ ihn aufspringen. Vorhin hatte er sich mies gefühlt, jetzt sah er wie der Bullige handgreiflich wurde.
„Aufhören!", schrie er und rannte automatisch zu dem Mann. Er packte ihn an den Schultern, um ihn von der verstörten Petunia wegzuziehen. Ein weiterer Griff unter die Nase, den Arm legte er um den Hals und drückte ihn nach hinten bis der Mann ohnmächtig wurde. Komischerweise gab es keine Gegenwehr. Den leblosen Körper legte er sanft auf den Boden, in ein paar Minuten würde Bully wieder wach sein. Petunia stammelte etwas in ihrer Sprache, wahrscheinlich ein Dank. Sollte er sich zu ihr setzen? Aber mit der mangelnden Sprachkenntnis brachte das wenig. Petunia blickte ihn nun direkt an, ihr Gesicht war nicht wie erwartet gerötet. Sie wirkte normal, leicht verstört, aber normal. War das ein Schauspiel gewesen? Frechheit! Per Handzeichen bat er sie ihm zu folgen, was sie auch tat. Wahrscheinlich war sie einfach nur froh hier wegzukommen. Hinter ihr schloss er schließlich die Türe. Somit hatte er erfolgreich den Auftrag erfüllt.

Elemantary Chroniken Buch 2 - PercivalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt