Kapitel 12

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Während Robert die nächsten Stunden Annalenas Wohnzimmer als Büro nutze und wartete bis sie sich soweit erholt hatte, um eine erwachsene Konversation zu führen, schlief Annalena, komplett erschöpft von den vergangenen Tagen, bis zum frühen Abend durch. Zwischendurch sah er immer mal wieder nach ihr, in diesem Zustand würde er ihr alles zu trauen, aber sie befolgte tatsächlich seine Anweisungen und blieb im Bett.

Als sie gegen sieben Uhr fertig angezogen ins Wohnzimmer marschierte, sah Robert verwirrt zu ihr auf und klappte, sich auf eine weitere Diskussion vorbereitend, seinen Laptop zu.

"Wo willst du hin?", fragte er während sie anfing ihre Schuhe anzuziehen.

"Es ist Freitag."

"Ja und?"

"Sie hat heute ihre Abschlussfeier."

Robert fuhr sich angestrengt mit einer Hand über sein Gesicht und sah sie direkt an. "Und da willst du jetzt hin?"

"Natürlich.", sie zog sich ihre Lederjacke über ihren Hoodie und verstaute ihr Handy und ihre Schlüssel in den Jackentaschen.

"Warte, lass mich fahren.", er würde sie jetzt sowieso nicht dazu überreden können in der Wohnung zu bleiben und es war ihm sehr viel lieber jetzt dorthin zufahren, als dass Annalena morgen ganz Deutschland von ihrer Beziehung zu der jüngeren Studentin erzählen würde.

Gemeinsam stiegen sie in Roberts Wagen. Während der Fahrt beobachtete er seine Kollegin immer wieder unauffällig und sie schien die Blicke tatsächlich nicht zu bemerken. Sie war immer noch viel zu blass um die Nase, aber wenigstens waren ihre Augenringe nicht mehr ganz so dunkel wie noch am Morgen und sie schien alles in allem ruhiger, auch wenn das täuschen konnte.

Sie hielten vor dem Unigelände, draußen hatte es mittlerweile angefangen zu nieseln und die Tropfen des Regens plätscherten munter vor sich hin auf das Dach des Autos.

Ohne große Umschweife öffnete Annalena ihre Tür und wollte aussteigen, doch Robert erwischte sie gerade noch so am Handgelenk und zog sie zurück ins Fahrzeug.

"Warte.", zischte er und lehnte sich über sie, um die Beifahrertür wieder zu schließen. "Du kannst da jetzt nicht einfach rein laufen, wir warten hier. Das dauert doch wahrscheinlich eh noch ne Weile bis die fertig sind."

Sie schnappte genervt aber blieb sitzen, ganz zu Roberts Verwunderung. Wahrscheinlich hatten ihr die paar Stunden Schlaf doch besser getan, als sie zugeben würde. Für einige Zeit herrschte Stille zwischen den beiden, nicht direkt unangenehm, aber Annalenas offensichtliche Anspannung war deutlich spürbar.

"Du weißt warum ich nicht will, dass du das morgen machst?", fing er irgendwann leise an und Annalena wandte ihren Blick, den sie die letzte halbe Stunde angestrengt auf die Türen des Gebäudes gehalten hatte, Robert zu. Ihr abwartender Gesichtsausdruck zwang ihn zum Weitersprechen. "Hör zu, ich freue mich, dass du jemanden gefunden hast, den du so sehr liebst, dass du alles riskierst. Aber ich weiß auch wie hart wir, und vor allem du, auf diese Wahl hingearbeitet haben und wie wichtig dir unsere Ziele sind. Ich versuche auch gar nicht mehr, dir das morgen zu verbieten oder so, aber bitte denk nochmal drüber nach. Ich werde dir helfen wo ich kann, aber mach bitte nichts leichtsinniges."

Annalena sah ihn für einige Momente still an, ihre Antwort abwägend, dann fiel ihr Blick auf ihre Finger, welche nervös mit dem Saum ihres Pullis spielten.

"Es tut mir leid.", hauchte sie, versuchend die Tränen zurückzuhalten. Sie räusperte sich um irgendwie den Kloß in ihrem Hals loszuwerden, obwohl sie wusste, dass das nichts brachte. "Ich versteh dich, aber ich muss. Und ich hoffe, da kannst du mich verstehen. Das ganze ist meine Schuld, ich hab Sachen gesagt, die...- die hätte ich nicht sagen sollen und ich hätte generell anders mit der Situation umgehen müssen, also bin ich auch Diejenige, die das Ganze jetzt ausbaden muss. Und es tut mir leid, dass das auf den Schultern der Partei sein muss, aber ich weiß keine andere Lösung.", nun lief ihr doch die erste Träne über die Wange und sie konnte nicht anders als zu schniefen.

Choosing You - An Annalena Baerbock FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt