Jo, ich geh dann mal

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Sie saßen alle drei wie zu Salzsäulen erstarrt auf ihren Plätzen im Wohnzimmer und sahen dem Jüngerem betroffen zu, wie er mit seinen Koffern aus der Haustür verschwand. Niemand traute sich etwas zu sagen. Auch Hobi und Yoongi nicht, die zuvor noch hundert Fragen im Kopf hatten, die sie gerne an Jimin gestellt hätten. Aber diese Konfrontation mit den Jüngsten und Taehyungs Gefühlsausbruch saß ihnen allen noch zu tief in den Knochen.

Und Jimin war froh darüber. Denn er hatte überhaupt keine Lust, sich mit den beiden noch weiter über sein ungeborenes Kind zu unterhalten, das sowieso nicht zur Welt kommen würde. Besser er nutzte jetzt die Gelegenheit zu verschwinden, bevor Hobi und Yoongi wieder zu sich kommen würden.

Er war der Erste, der wieder dazu in der Lage war, sich zu bewegen und wollte gerade aufstehen, um das Wohnzimmer zu verlassen, als ihr Ältester im Zimmer auftauchte. Er war gerade dabei sich mit einem Handtuch die Haare trocken zu reiben, als er die drei dort so sitzen sah und mitten in seiner Bewegung innehielt.

„Ihr seht aus, als hättet ihr einen Geist gesehen", stellte er überrascht fest und scannte mit seinem scharfsinnigen Blick jeden einzelnen von ihnen nacheinander misstrauisch ab.

Jimin, der sofort Panik schob, dass er jetzt wieder mit dem Thema Schwangerschaft konfrontiert wurde, sprang als erster auf und lächelte seinen Hyung breit an.

„Ach was, der einzige Geist, der hier wohnt, bist doch du Hyung", mit einem breiten Grinsen schob er sich an Seokjin vorbei, der ihn halb verwirrt, halb belustigt ansah, und schaffte es tatsächlich in sein Zimmer, bevor ihn jemand aufhalten konnte.

Er hatte jetzt wirklich keine Lust auf ein weiteres Gespräch über seine oder Taehyungs Schwangerschaft. Und falls Yoongi und Hobi Jin einweihen würden, dann wollte er nicht dabei sein. Eigentlich wollte er, dass es niemand erfährt, aber diesen Wunsch hatte Taehyung ja platzen lassen und jetzt, wo es sowieso schon die Hälfte aus der Band wusste, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis alle sieben auf dem gleichen Stand waren.

Jimin stöhnte genervt und ließ seinen Kopf ins Kissen sinken. Wieso hatte Taehyung es auch erzählen müssen?

Die Tränen kamen unverhofft. Sie strömten unkontrolliert aus Jimins Augen und benetzten das Kissen, in das er seinen Kopf vergraben hatte.

Das war doch alles scheiße!

Er wollte nicht schwanger sein!

Das Baby musste weg. Am besten jetzt sofort!

Wütend über sich selbst setzte Jimin sich auf und wischte sich ärgerlich einmal mit dem Ärmel seines Pullovers übers Gesicht. Mit schnellen Schritten ging er zu seinem Schreibtisch und kramte in der Schublade nach den Flyern und Prospekten, die er von seinem Arzt bekommen hatte.

In den letzten Tagen hatte er alles über die Schwangerschaft verdrängt und die Prospekte in der untersten Schublade verräumt. Er hatte sich nicht mal mit dem Thema Abtreibung beschäftigt. Er hatte einfach nur alles verdrängt.

Deswegen wurde es jetzt höchste Zeit, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Nicht, dass es noch zu spät für eine Abtreibung werden würde.

Mit zitternden Händen holte er die Flyer aus der Schublade und legte sie vor sich auf die Schreibtischplatte. Er brauchte einen Moment, bevor er sie auffalten konnte. Jimin sah sie an, als wären sie verdorbenes Essen. Er rückte seinen Stuhl näher an die Tischplatte und atmete tief durch, ehe er sie schließlich doch öffnete.

Die erste Seite zeigte gleich mal ein großes Abbild eines glücklichen homosexuellen Pärchens, mit einem lächelnden Baby im Arm und Jimin hatte das Bedürfnis den Flyer sofort wieder zuzuklappen, doch er unterdrückte den Brechreiz und blätterte tapfer weiter.

Die ersten Seiten beschrieben die Seelenverwandtschaft. Wie es zustande kommt, dass der passive Part in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung schwanger werden konnte. Dass es ein Zeichen von sehr großer Liebe und Vertrauen war.

Jimin lachte bitter. Ja klar. Große Liebe und Seelenverwandtschaft. Sag das mal jemanden, der drei potentielle Väter hat.

Seufzend blätterte er weiter. Die nächsten Seiten beschrieben generelle Schwangerschaftssymptome, den Verlauf der Schwangerschaft und allgemeine Risiken. Nichts, was ihn interessierte. Für Jimin war nur ein Thema von Belang und das war Abtreibung. Aber in diesem Flyer fand er nichts darüber.

Frustriert klappte er den ersten Prospekt wieder zu und schnappte sich den nächsten. Auch hier waren wieder Seelenverwandte geschildert und langsam fragte er sich, ob diese Prospekte ihn verarschen wollten. Er hatte keinen Seelenverwandten. Alles was er jemals an Liebe erfahren hatte, war nicht echt, oder ging nur von ihm aus. Niemand liebte ihn aufrichtig. Niemand hatte das Potential sein Seelenverwandter zu sein.

Wieso zum Henker war er also schwanger?!

Wütend knüllte er den Prospekt zusammen, der wieder nichts über Abtreibungen beinhaltete. Er wollte schreien, wütend seinen Schreibtisch umwerfen, irgendwas zerschlagen. Aber es kam nichts, als Schluchzen aus seinem Mund und Tränen aus seinen Augen. Er war zu schwach, um überhaupt von seinem Stuhl aufzustehen, zu sehr erschöpft von seinen Tränen.

Entkräftet legte Jimin den Kopf auf seinem Schreibtisch ab und dämpfte sein Schluchzen mit seinen Armen.

Er fühlte sich elend.

Er wollte das alles nicht. Wieso musste das ihm passieren?

Taehyung hatte wenigstens Jungkook, mit dem er das Kind großziehen konnte – sobald dieser sich wieder eingekriegt hatte. Die zwei liebten sich. Sie waren füreinander bestimmt. Das sah jeder Blinde. Seelenverwandte eben. Sie würden ein Kind meistern. Naja, vielleicht nicht meistern, aber sie würden es schaffen. Gemeinsam.

Und Jimin hatte niemanden.

Zwar würden Hobi und Yoongi ihm bestimmt unter die Arme greifen, aber es war einfach verdammt akward zu dritt ein Kind großzuziehen mit zwei seiner Ex-Freunde. Mal davon abgesehen, dass er eh nicht schwanger sein wollte. Er konnte sich nicht leisten so lange das Training ausfallen zu lassen.

Das Kind musste also weg, auch wenn vielleicht nicht es das Problem war, sondern vielmehr die Tatsache schwanger zu sein. 

It's okay to be gayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt