17. Türchen - sunnbird

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Überall da, wo Tüll, Seide, Nadel und Faden ein Zuhause hatten, dort war auch Jimin zu Hause. Sein Herz gehörte, seitdem er das erste Mal das magische Reich einer Schneiderei hatte betreten dürfen, keinem anderen Ort mehr. Der kleine Junge hatte auf Anhieb gespürt, dass dieser Ort, an dem Kleidungsstücke verändert oder kreiert wurden, etwas Magisches hatte, etwas, was kein anderer Ort ihm jemals geben konnte, seitdem war er verliebt.

Verliebt in den Geruch, in die Leute, in die Nadeln, die auf den Böden solcher Läden meistens zu finden waren, verliebt in die wohlige Atmosphäre, die keinen Platz für Trübsal ließ.

Das war auch der Grund, warum er sich nach seinem zugegebenermaßen nicht ganz so brillanten Abschluss einen Job in einer der vielen kleinen Änderungsschreinereien gesucht hatte. Stoffe, Seide und alles, was man in diesem Gebiet ansiedeln konnte, hatten ihn schon immer glücklich gemacht. Früher hatte er bei Regen auf der Fensterbank gesessen, und hatte seinen Kuscheltieren kleine Jacken, Pullis und Hosen genäht, jetzt saß er auf einem alten Holzhocker und zog Fäden einer Jeanshose.

Es war etwas Alltägliches, etwas, was dem 19-jährigen mit den zuckerwatteweichen Haaren inzwischen so leicht von der Hand ging, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Während er so dasaß, lauschte er auf das Rattern der Nähmaschine, an der Moon arbeitete und ein paar Nähte nachzog, während sie leise die Melodie des Liedes mitsummte, das aus der alten Stereoanlage drang.

Ein paar Strähnen ihrer schockladenbraunen Haare, die inzwischen zu einem Bob geschnitten waren, fielen ihr über die Stirn, doch sie unternahm keinen Versuch sie wieder hinter ihr Ohr zu schieben.

Schon beim ersten Mal, als er die Schneiderei betreten hatte, hatte der junge Mann gewusst, dass er hier einmal arbeiten würde, gemeinsam mit dem freundlichen Mädchen, das ihn, wann immer sie seinen Blick bemerke, anlächelte.

Das Lied, das jetzt lief, kannte Jimin zu gut, nur den Namen konnte er sich immer noch nicht merken. Lo-Fi heißt das Genre, zumindest meinte Moon das. Immer wenn es dunkel wurde, aber immer noch ein paar Arbeitsstunden zu bewältigen waren, übernahm die 22-jährige die Stereoanlage und spielte immer die selbe Playlist, immer und immer wieder. Inzwischen konnte er die gesamte Liste auswendig, manchmal wenn er Glück hatte, fiel ihm sogar der Interpret ein.

"Bist du fertig?" Moon hob den Kopf, das Geräusch der Maschine verstummte. Ihre Augen waren so grün wie Smaragde und glitzerten immer auf eine Art und Weise, die Jimin noch nie bei irgendeinem Menschen gesehen hatte.

"Fast." Ein paar letzte Fäden, ein paar letzte Änderungen, dann hielt er die Jeans in die Höhe.

"Supi." Sie grinste, umrundete den Tisch, an dem er saß und nahm ihm sanft das Kleidungsstück aus der Hand, bevor sie es in einen Beutel packte und diesen zu den anderen fertigen Sachen auf den Abholtisch im Verkaufsraum stellte.

"So..." Motiviert knackte sie mit den Fingerknöcheln und grinste zu Jimin hinüber.

"Kaffee?" Dazu sagte er natürlich nicht nein, und während die Maschine Milch und Kaffeebohnen zu einem wohltuenden Gebräu mischte, klappte der pinkhaarige seinen Zeichenblock auf. Manchmal, wenn es nichts mehr zu tun gab oder er eine kurze Pause einlegte, zeichnete er an seinen Entwürfen weiter. Diese bestanden zu 90 % aus Kleidungsstücken und obwohl Jimin wusste, dass er seine Ideen wohl kaum je verwirklichen würde können, genoss er es mit dem Bleistift modische Kunstwerke aufs Papier zu bringen - oder ein Missgeschick aus Stoff, Riemen und Seide, alles eine Frage des Perspektive.

Ihm gegenüber stand eine Schneiderpuppe. Manchmal benutzte er sie als Gedankenstütze und kleidete sie in seiner Vorstellung so ein, wie er die Stücke zu Papier brachte. Jetzt hüllte er sie in sein aktuellstes Werk: Ein weites Shirt, halb aus Stoff, halb aus engmaschigen Riemen. Der Kragen war mit bunten Steinen versetzt, am liebsten Swarovski, aber die waren teuer.

BTS Adventskalender 2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt