octō

920 86 44
                                    

octō

Keira stolperte ein paar Schritte zurück, sah ihn mit angsterfüllten Blicken an und hoffte ihm entkommen zu können. Ihre Beine quetschten sich in eine Bankreihe der Kirche, sie lief sie entlang, rückwärts, damit sie Amon stets im Blick behalten konnte. Die Schnelligkeit ihrer Atemzüge hatte sich verdoppelt, ihr zerbrechlicher Brustkorb hebte und senkte sich unregelmäßig schnell.

»Bitte, ich flehe dich an. Töte mich nicht, bitte« murmelte sie, blieb stehen und hob zu ihrer Verteidigung die Hände. Sie zitterte, sah wie Amon auf sie zukam und entschied sich dazu stehen zu bleiben. Ihre Füße gaben ihr das Gefühl, angewurzelt zu sein.

Er lief durch die Reihe, mit einem deutlich schnelleren Tempo als sie und Keira weitete die Augen, als er keinen Halt machte, direkt auf sie zulief, seine Hand ausbreitete kurz vor ihr und sie wieder am Hals packte. Seine außergewöhnliche und euphorische Kraft veranlasste ihn dazu, den schwachen Körper des Mädchens gegen die Wand zu rammen. Ihre Füße hatten keinen Untergrund zum Fassen, er hob sie hoch, mit nur einer Hand.

Amon's Augen waren immernoch finster wie die Nacht, sein Kopf war leicht nach oben gebeugt, während Keira in der Luft versuchte sich zu befreien, indem sie mit ihren Beinen strampelte. Ihre Hände lagen auf Amon's Händen und sie spürte diese Gefahr in sich lodern, die vorhin entflammt worden war.

»Bitte, hör auf« keuchte sie, spürte allmählich wie ihr der Sauerstoff ausging und sie nicht durch ihre Nase atmen konnte. Sie sah direkt in die schwarzen flachen Augen von Amon und betrachtete ihr Abbild, ihr blasses, vor Angst mit Schweiß überdecktes Gesicht.

Sein Griff wurde lockerer, dann wieder fester, es schien so als ob sich Amon nicht dazu entscheiden konnte, sie umzubringen und von diesem Pein zu befreien. Wie ein Kampf mit sich selber, stieß er Laute aus dem Mund, die nicht zu verstehen waren, jagten Keira eine große Furcht ein, welche sie in dieser Verfassung nicht gebrauchen könnte.

Langsam meinte sie zu empfinden wie sie an Bewusstsein verlor, doch der plötzliche Aufprall auf den Boden, ließ sie aufschreien, ihre empfindlichen Knochen pochten vor Schmerz. Augenblicklich setzte sie sich auf, atmete tief durch und stellte sich auf die Füße. Sie stellte fest, dass es angenehmer war einen Untergrund zu haben. Ihr Blick traf auf seinen. Blau traf auf Braun.

»Wer sind Sie?« fragte er, seine Augenbrauen waren zusammengezogen, seine Stimme zitterte. Keira sah ihn an, legte ihre Hand auf ihr Herz und atmete ein weiteres Mal durch. Ettapenweise näherte sich Keira dem Jungen, schleichende Angst trug sie immernoch in ihr. Seine plötzliche Umstellung der Stimme und seines Verhaltens schockierte Keira, doch sie traute ihm nicht, aber trat trotzdem mutig vor ihn.

»Ich bin das Mädchen, dass du versuchst umzubringen« flüsterte Keira, verlor Tränen aus Erleichterung und sah ihn an. Er blieb wie versteinert stehen, schweigte und atmete ebenfalls wie Keira tief durch. Verwirrung folgte, für Amon aber auch für Keira.

Keira traute sich weitere Schritte auf ihn zuzugehen, erkannte an seiner Fassade wie mitgenommen er aussah und verspürte kurz Mitleid. Sie blieb mit sicherem Abstand vor ihm stehen, beobachtete ihn genauer und wusste, dass sie jetzt den Jungen getroffen hatte, von dem sie die Halluzinationen trug.

Die Halluzination im Kloster oder im Cafe spielten in ihrem Kopf rund, doch Keira blockte sie aus, blinzelte und sah ihn an.

Doch der Junge, der jetzt vor ihr stand, sah aus wie jemand anderes. Sie spürte das. Ihr Gefühl vermittelte ihr das.

»Wie heißt du?«

Er beantwortete ihre Frage nicht, kam ihr ein paar Schritte näher und sah sie an. Ausgiebig studierte er ihre Gesichtszüge, ging die Schritte zurück und lief aus der Kirche. Keira blieb alleine, verlassen in ihrer Verwirrung und Auslosigkeit, nicht wirklich bewusst, was ihn dazu brachte, sie nicht zu töten. Sie setzte sich auf die Bank und atmete tief ein, versuchte ihre Emotionen in die jeweiligen Schubladen zu sortieren und zu sich zu kommen. Was war gerade passiert? Lange dauerte es nicht und sie bekam die elende Furcht, es würde ihr doch etwas zustoßen, sodass sie aufstand und die Kirche verließ.

soulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt