Kapitel 13 - Agent Provocateur

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„Überraschung!" Wir Mädels riefen und kreischten gemeinsam, als Mia die Wohnstube ihrer Eltern betrat. Sie lächelte uns mit einem offenem Mund  entgegen und bewunderte die Dekoration, ihres Junggesellenabschieds.
„Ihr seid wahnsinnig." Sie drückte uns alle nacheinander. „Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass ihr alle hier seid. Oh mein Gott!!!" Sie kreischte selber drauf los und sprang auf und ab.
Nachdem wir sie alle begrüßt hatten, übernahm Anne, ihre Schwester und Trauzeugin das Wort.
„Liebe Mia." Sie kicherte, sie hatte schon ein paar mehr Sekt getrunken, als wir. „Wir haben heute etwas tolles für dich geplant. Zu allererst, werden wir uns mit Hilfe von einer Visagistin fertigmachen. Dazu ziehst du bitte diesen Kimono an." Anne wurde der weiße Kimono für Mia gereicht. Auf diesem Stand „Wifey to be". Wir zogen uns alle gleichzeitig um. Unser Rücken wurde mit dem Schriftzug „Bridemaid" geziert. Nach dem wir alle umgezogen waren und noch passende Schlappen angezogen hatten, fuhr Anne fort. „Wenn wir also erholt und alle wunderschön sind, gehts in eine geheime Location und wir werden deinen Junggesellenabschied so richtig feiern!"
Wir klatschten und freuten uns mit Mia. Es war ihr Tag.

„Hey El." Michelle hatte sich zuvor etwas von mir zurückgezogen.
„Hey." Ich versuchte gerade die Gurken auf meinem Gesicht zu platzieren.
„Können wir kurz miteinander reden?" Michelle deutete auf die Bar, die in dem Wohnzimmer aufgestellt wurde. Ich legte die Gurken zurück auf den Teller und folgte ihr. „Es tut mir Leid, El. Es kam einfach alles zusammen." Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich hatte  Anfang der Woche einfach so mit mir zu kämpfen."
„Ich war ein bisschen überrascht, über deine Aussage." Ich kam mir albern vor solch ein ernstes Gespräch mit ihr zu führen und dabei eine rosa Gesichtsmaske zu tragen.
„Meinst du, dass ich dein Problem heruntergespielt habe"? Sie nahm meine Hand. „Das tut mir wahnsinnig leid. Ich habe dich all' meine Wut  gegenüber Ross spüren lassen und das war falsch."
„Schwamm drüber." Ich drückte ihre Hand kurz und schenkte ihr ein leichtes Lächeln. Wir erlebten gerade anscheinend zwei extreme Situationen und da wäre ich die Letzte, die ihr was vorhalten würde.
„Danke, Ella." Sie küsste meinen Kopf und stand auf. „Ross und ich sind übrigens wieder zusammen." Sie kicherte und zog ihre Schultern grinsend hoch, während sie zurück zu den anderen Mädels ging. Ich war froh, dass sie mein überraschtes Gesicht nicht sehen konnte und mixte mir noch einen weiteren Caipirinha.

Wir hatten uns wieder umgezogen. Es war bereits nach 23 Uhr und wir waren etwas spät dran. Ich hatte meine Haare zu einem Pferdeschwanz  gebunden, trug meine schwarzen Schnürstiefel, einen kurzen Jeansrock und ein enges, schwarzes Top. Über das Top musste ich eine dünne Lederjacke  mit Stehkragen tragen. Wie lange würde ich diesen blöden Biss noch verheimlichen müssen?
Mia trug ein weißes, kurzes Kleid mit weißen Pumps. Dazu musste sie einen Schleier tragen und eine Scherpe mit der Aufschrift „Bride to be".  Die Visagistin hatte alles gegeben und sie sah wunderschön aus. Wie sollte sie das bei ihrer Hochzeit noch überbieten können? So funktionierte also ein Junggesellenabschied. Ich spürte bereits jetzt den Alkohol und stieg wankend mit Michelle aus dem Taxi aus.

„Wow, ich war ewig nicht hier." Ich sah Michelle an und hielt ihre Hand fest in meiner.
„Und genau deswegen, lassen wir heute die Sau hier raus." Sie winkte Mia zu, dir ebenfalls bereits Probleme mit ihrem Gleichgewicht hatte. „Nur für dich, du geile Braut!" Wir lachten und Anne verteilte uns die Eintrittskarten für das Prisoner's. Eine Disco mit drei verschiedenen Ebenen. Sie war in Portland und bekannt für die besten DJ's der Westküste.
Als wir durch den extravaganten Eingang gingen, wusste ich bereits, dass wir uns alle verlieren würden. Wie sollten 13 Frauen hier zusammen  bleiben? Die Menschenmasse drückte uns bereits auseinander. Ich sah an den Wänden große Nischen in denen hinter Rauchvorhängen halbnackte Frauen tanzten. Sie bewegten sich so sinnlich, dass ich sie einen Moment bewunderte. Wir drängelten uns zu der Bar im Black Music Bereich durch. Die Musik war laut und ein Gespräch war kaum möglich. Heute schien hier ein besonderes Event zu sein. Einige Mädels saßen nun an der Bar. Zu meiner Freude saß Mia auch dabei. Also hatten wir sie noch nicht verloren. Die Tanzfläche hinter uns war bereits sehr gut gefüllt.
„Wo ist Erica?" Michelle schrie mich fast an.
„Ich habe keine Ahnung." Ich sah zu den vielen Menschen, die tanzten und tranken. Das bunte Licht ließ einen noch weniger erkennen.
Mia hatte gerade eine Runde Shots ausgegeben und wir drängelten uns noch näher zusammen. Der Alkohol tat was er sollte und wir küssten uns, nach  dem der Shot wirkte. Ich hatte nach langer Zeit unheimlich viel Spaß und konnte endlich etwas lockerer sein, als sonst.
„Hey Mädels." Die Kellnerin sprach uns an. „Diese Runde geht auf die VIP Area." Sie gab uns zwei Tabletts voll mit neuen Shots und deutete auf den VIP Bereich, der schräg über uns war, am anderen Ende der Tanzfläche. Ich schaute durch die Menge  und versuchte jemanden aus der VIP Area zu erkennen.
„Da ist Aiden Norwood." Die Cousine von Mia schrie laut auf und kreischte. Ich war beruhigt, dass die Musik so laut war, dass niemand außer uns dies hören konnte. Michelle griff an meinen Arm. Ich  erstarrte, als ich Aiden's Gesicht sah.
Wieso zum Teufel musst du ausgerechnet heute hier sein?
Ich nahm einen Shot und trank ihn, während Aiden und ich uns ansahen. Ich wusste nicht genau, wieso, doch ich fühlte mich provoziert. Ich fragte mich, wieso ich so viele Gespräche aufnehmen konnte, aber seins nicht. Er hatte die ganze Zeit mit jemanden zusammengestanden und gesprochen, da müssten doch zumindest Gesprächsfetzen bei mir landen?
Die Mädels drängten uns auf die Tanzfläche und Erica war auch wieder dabei. Einige Männer schenkten uns Aufmerksamkeit und wir genossen es.  Erica wurde direkt von zwei Wölfen angemacht. Sie rekelte sich vor ihnen. Sie hatte es verdient, denn sie war lange genug frustriert gewesen. Auch ein paar Menschen waren hier. Einer sah mich an und bahnte sich den Weg zu mir. Er musterte mich und schien  interessiert zu sein. Ich lächelte ihm zu um ihn ein wenig zu locken. Ich wusste, dass ich als Wolf für ihn sehr attraktiv wirken müsste. Für Menschen waren wir immer attraktiver. Ich drehte mich mit dem Rücken zu ihm. Michelle kam näher auf mich zu.
„Was wird das, El?" Sie berührte meine Oberarme und wir tanzten zu der wirklich guten Musik.
„Ich genieße den Abend." Ich schloss meine Augen um meine Aussage zu verstärken.
„Go Girl!" Sie lachte und gab mir einen Kuss auf den Mund. „Zeig dem Alpha, mit wem er sich angelegt hat." Wir lachten und danach warf ich noch mal einen Blick zurück. Der blonde Mann stand immer noch nah bei mir. Er hatte einen attraktiven Drei Tage Bart. War jedoch nicht so groß und so muskulös wie Aiden.
Hör auf an Aiden zu denken, Ella. Heute Abend wirst du Spaß haben und Aiden kann dir aus der ersten Reihe dabei zusehen.
Ich schenkte dem Unbekannten einen flirty Blick. Soweit dies mit meinem Alkoholgehalt im Blut noch möglich war. Er erkannte dies und seine Hände  berührten plötzlich meine Oberschenkel von hinten. Ich erschrak fast vor dieser Direktheit.
„Hey, hey, wie heißt du?" Er flüsterte es in meine Ohren, während seine Lippen sie berührten.
„Keine Namen." Ich wollte diesen Abend nur mit einem hübschen Gesicht und einem heißen Tanz in Erinnerung behalten. Wir tanzten eng zusammen.  Ich schloss die Augen und ließ mich von ihm anfassen. Er berührte meine Hüfte und wieder meine Oberschenkel. Diese Berührungen fühlten sich heiß an, aber sie taten nicht das mit mir, wie nur eine einzige Berührung von Aiden. Als ich meine Augen öffnete und zum VIP Bereich sah, blickte ich in Aiden's zusammengekniffene Augen. Er hielt sich an dem Geländer fest und wollte, dass ich sehe. Er beobachtete mich und sah wütend aus? Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Doch dieses Mal würde seine Markierung mich nicht einschränken. Mir gefiel der Gedanke, dass auch Aiden mal Frust spüren sollte. Während er mich beobachtete, drehte ich mich zu dem blonden Mann und unsere Lippen kamen sich näher, als ich vermutet hätte. Mir war bewusst, dass ich nüchtern schon längst geflohen  wäre, doch betrunken schien ich einfach Spaß an der Situation zu haben. Ich legte meine Arme um seinen Hals und kreiste meine Hüfte vor ihm. Wir drehten uns und ich konnte wieder direkt in Aiden's Augen schauen. Der Mann vor mir schien es sehr zu genießen. Plötzlich küsste er meinen Hals. Ich zuckte vor Schreck kurz zusammen und ließ es dann zu.
Ella, es ist Zeit aufzuhören.
Aiden trank seinen letzten Schluck Wasser und verschwand dann in der Menge der VIP Area.
„Wollen wir kurz an die frische Luft? Etwas quatschen?" Ich konnte wieder etwas klarer denken und drückte den Typen vor mir ein wenig weg.
„Klar, Süße." Süße. Er nahm meine Hand und führte mich aus einen der vielen Ausgänge. Draußen angekommen hatte ich das Gefühl, dass der Ausgang eher ein Notausgang gewesen war und es ein wenig zu dunkel für meinen Geschmack war. Es dauerte keine Sekunde und er drückte mich gegen die Wand des Prisoner's. Mein Kopf knallte gegen die Blechverkleidung des Gebäudes. Ich verzog mein Gesicht. Er küsste meinen Hals.
„Hör auf!" Ich konnte kaum aus Wort rausbringen. „Lass mich los!" Ich versuchte lauter auf mich Aufmerksam zu machen, doch er ließ nicht locker.
„Warum?" Seine plötzlich so dunkle Stimme war voller Begierde. „Wir hatten eben noch so viel Spaß."
„Ich habe aber jetzt keinen Spaß mehr", entgegnete ich ihm mit donnernden Herzen.
„Das fällt dir aber spät ein. Du solltest beim nächsten mal keinen Werwolf provozieren."
Ich erstarrte. Er war doch ein Wolf? Wie konnte ich das nicht riechen? Durch die kalte Luft und den auftretenden Adrenalinschub zitterte ich  unkontrolliert. Er müsste Aiden an mir riechen können und trotzdem hatte er mich angemacht? War er lebensmüde? Ich dachte er würde mich aus  seinen Zwängen lassen, doch er bohrte nun seine Hände wie zwei Schraubstöcke in meine Taille. In seinen Augen erblickte ich die pure Lust.
„Was zum Teufel tust du da?" Ich versuchte mich mit aller Kraft zu wehren.
„Komm schon, Baby, mach dich locker. Dich wird da drinnen keiner vermissen." Er widerte mich an. Ich presste meine Augen fest zusammen.
Es würde mich wirklich keiner vermissen. Alle denken, dass ich mich gerade vergnüge und endlich mal wieder Spaß habe.
Er griff nun an meine Brust und versuchte mich zu küssen.
„Nein!", schrie ich voller Furcht.
„Entspannt dich, ich werde dir nicht wehtun, wenn du einfach mitmachst."
Ich fühlte mich so hilflos, wie noch nie in meinem Leben. Ich trat und boxte mit all der Kraft, die ich aufbringen konnte. Doch der Alkohol hatte meine Sinne vollkommen benebelt und meine Reaktionen verlangsamt. Ich spürte wie plötzlich dicke Tränen aus meinen Augen schossen. Was passierte hier mit mir?
Wieder griff er viel zu grob an meinen Busen. Ich trug keinen Bh und es schmerzte unheimlich. Er hatte aufgehört etwas zu sagen, was mir noch viel mehr Angst machte. Er hatte nur noch eine Sache im Sinn. Er hob mich hoch und zwang meine Schenkel auseinander. Mit einer Hand hielt er mir den Mund zu und mit der anderen fummelte er an seiner Hose rum. Meine Augen waren weit aufgerissen. Durch die heißen Tränen konnte ich jedoch nichts erkennen. Ich sah nur die tiefe Dunkelheit, die mich  aufsog.
Niemand wird kommen um dich zu retten.
Diese blanke Erkenntnis schnitt wie die kalte Luft hier draußen in meine Seele.
Mein Gott, das war genau das, was sie gedacht haben musste. Emily. Meine Emily. Ich sah sie vor meinen Augen, wie sie sich wehrte, wie sie schrie und wie sie kämpfte.
Ich schloss die Augen um dieses Bild zu verdrängen. Ich schwebte über mir und sah nicht mich, sondern Emily. Wie sie hilflos an eine kalte Wand gedrückt wurde. Ihre Klamotten zerrissen. Absolut hilflos.
Niemand wird kommen um dich zu retten.
Ich versuchte mit meinen Fäusten zu schlagen, jedoch verfehlten sie. Als würde ich in die Luft boxen. Meine Beine waren verkrampft, da ich sie  mit voller Kraft versuchte zusammenzudrücken. Er war einfach zu stark.
Plötzlich fiel ich auf den Boden. Mit einem Schlag wurde er von mir gerissen. Einige Meter entfernt. Ich konnte ihn kaum noch erkennen. Doch eine andere Person war sofort erkennbar.
Noch nie hatte ich Aiden so furchteinflößend gesehen. Seine muskulöse Statue war nun noch kantiger und größer. Er hielt den Typen mit einer  Leichtigkeit fest. Aiden's Blick war blutlustig, während er gebeugt über dem blonden Wolf stand. Er wollte sich gegen Aiden wehren, doch er hatte absolut keine Chance. Aiden drückte ihn zurück auf den Boden und verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht. Ich hörte Knochen brechen. Ich verzog mein Gesicht und hielt mir die Hände vor meinen Augen. Aiden telefonierte kurz und hielt den Typen in seinen Fängen. Er sagte kein Wort zu ihm. Der blonde Wolf musste jedoch sofort gerochen haben, dass meine Markierung von ihm stammen musste. Das war sein Risiko, welches er einging.
„Warum verteidigst du diese kleine Schlampe?" Der Typ, der mich eben in seinen Zwängen hielt, schrie Aiden an. Ich konnte es hören und das wollte er auch. Aiden riss ihn hoch um ihn kurz danach noch einen Schlag in den Bauch zu verpassen. Er sank zusammen, während zwei Auto's  direkt neben Aiden anhielten. Aus dem hinteren Auto stiegen zwei Männer aus und holten sich den Typen, der kaum noch gehen konnte. Aiden sprach mit den anderen Männern im vorderen Auto. Er schien eine Situation zu beschreiben. Bedankte sich und die Auto's fuhren weg.
Mein Herz blieb für einen Moment stehen, als ich im Lichtschatten der Auto's diese weiße Gestalt, die ich bereits im Krankenhaus sah, wiedersehen konnte. Ihre langen, purpurroten Haare flogen im Wind. Mein ganzer Körper krampfte und ich wollte sie  anschreien, doch aus meinem Mund kam kein einziger Ton.
Wer bist du? Bist du Verantwortlich für diese Situation?
Plötzlich war sie wieder verschwunden. Mein ganzer Körper schwitzte vor lauter Adrenalin.
Ich wollte aufstehen und weglaufen. Wegkriechen. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich fühlte mich schuldig. Ich hatte das hier überlebt, Emily nicht.
Ich wollte mich übergeben um all die Gedanken aus meinem Kopf zu kriegen und die schmerzhaften Gefühle loszuwerden.
Ich hatte einen Wolf provoziert. Zu sehr und nun saß ich hier auf dem kalten Boden. Erniedrigt und gedemütigt.
„Ella." Seine tiefe Stimme ließ mich zusammenzucken. Würde er dort weitermachen, wo der Typ aufhörte?
„Bitte nicht..." Ich kratzte mit meinen Nägeln auf dem Asphalt.
Steh endlich auf, Ella und lauf um dein Leben!
„Ella." Er sprach mich nochmal deutlicher an. Ich zitterte so sehr, dass ich nicht antworten konnte. „Ich tue dir nichts. Darf ich dir hoch helfen?"
„Nein." Ich presste ich zu schnell heraus und hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper.
„Okay." Er setzte sich neben mir auf den Boden und zog seine Knie an sich heran. Ich weiß nicht wie lange wir dort so saßen. Mein Körper bebte und war nicht mehr zu kontrollieren. „Ich habe in meinem Auto eine Decke. Möchtest du, dass ich sie hole oder möchtest du in mein Auto?"
„Bitte lass mich nicht alleine." Meine Stimme hörte sich fremd an. Er stand auf und blieb einige Zeit vor mir stehen.
„Wenn du mich nicht berührst, wird nichts passieren, Ella. Lass mich dir helfen." Er sorgte sich wirklich um mich. Ich schloss kurz meine Augen  und nickte. Er beugte sich zu mir und schob seinen Arm unter meinen Kniekehlen und den anderen Arm unter mein Schulterblatt. Mit einer Leichtigkeit hob er mich hoch und trug mich zu sein Auto.
Er sagte nichts weiter und fuhr los. Die wärmende Sitzheizung tat gut. Ich spürte, wie mein Körper sich entkrampfte.
„Du wirst heute in meinem Gästezimmer schlafen." Aiden fuhr eine mir unbekannte Strecke. Ich wehrte mich nicht. Ich hatte mich heute Nacht genug gewehrt. Es war die beste Option für heute Nacht. Zurück in den Club konnte ich nicht und noch weniger zu meinen Eltern. Sie würden zu viele Fragen stellen.
Aiden fuhr in eine LED beleuchtete Tiefgarage hier in der Nähe von Portland. Ich spürte, dass ich auch  ihm nicht traute. Mein Mund fühlte sich trocken an. Was wenn er mich hier? Mir wurde schlecht bei der Vorstellung. Schlecht bei der Erinnerung, was da gerade passiert war.
Aiden öffnete meine Beifahrertür und ich stieg hinaus. Meine Augen mussten sich an das helle Licht gewöhnen. Die Tiefgarage war vollgeparkt mit den teuersten Auto's die ich je gesehen hatte. Aiden öffnete die nächste Tür und ich folgte ihm. Hatte ich denn noch eine Wahl?
Ich stieg vor ihm in den Fahrstuhl ein und spürte, dass mein Körper vor unkontrollierter Angst wieder anfing zu zittern.
„Hey." Aiden wartete, dass ich den Fahrstuhl wieder verließ. „Ich tue dir nichts, Ellanie. Du kannst gleich in dein eigenes Gästezimmer verschwinden und dich duschen. Du kannst Fernsehen schauen oder auch  nicht. Versuche gleich einfach ein wenig zu entspannen und zu schlafen. Es gibt kein Haus, welches besser bewacht ist, als dieses". Er schenkte  mir ein warmes Lächeln. So sehr ich ihn auch für seine Markierung verabscheute, ich war ihm dankbar. Ohne ihn, würde ich jetzt nicht  unbeschadet hier stehen.
Er öffnete die große Eingangstür. Es war definitiv nicht nur ein Haus, es war ein Anwesen. Eine hübsche junge Frau empfing uns.
„Guten Abend Mr. Norwood." Sie nahm seine Jacke ab und sah mich zuerst ein wenig erschrocken an. Dann aber begrüßte sie auch mich äußerst  freundlich.
„Bitte bring Miss Mercer für das Master Gästezimmer ein großes Handtuch und eine Flasche Wasser." Aiden hatte anscheinend überall Angestellte. In was für einer Welt lebte ich hier gerade?
„Mr. Norwood, wollen Sie kein Handtuch haben?" Sie fragte es, weil es normalerweise so war. Beschämt sah ich auf den Boden.
„Nein, danke, Lidia. Aber bitte bring mir auch noch eine Flasche ins Zimmer."
„In Ihr Zimmer?" Sie betonte es und ich sah fragend zu Aiden. Er nickte nur und schob mich weiter Richtung Treppe.
„Ich zeig dir dein Zimmer." Er ging vor mir die Treppe hinauf - wie es sich gehörte. Ich sah mich um und war überrascht. Dieses Haus hatte viel mehr Stil. Es war gemütlich, in jeder Ecke. Keineswegs steril, sondern warm. Viele Fotos und richtige Gemälde zierten die Wände. Es war ein Zuhause. Sein Zuhause. Wir bogen rechts von der Treppe ab und konnten immer noch in den großen Flur  und Lobbybereich blicken. Aiden öffnete eine Tür und ließ mich hineingehen.
„Wow." Was anderes fiel mir nicht ein.
„Nicht das, was du erwartet hattest?" Aiden sah mich ein wenig belustigt an. Ein großes Himmelbett erfüllte den Raum. Die warmen Farben luden zum Verweilen ein. Links neben dem Bett zierte ein großer Schreibtisch den Raum. Das Holz war dunkel und sehr massiv. Die Lackierung auf dem Tisch funkelte in dem Licht des Zimmers. Wie viele verschiedene Frauen hier wohl schon bei - oder mit- Aiden geschlafen haben?
Aiden blieb mitten im Raum stehen und drehte sich zu mir um.
„Warum hast du das getan?" Er konnte diese Frage nicht mehr länger für sich behalten.
„Willst du mir nun die Schuld..." Ich spürte Wut in mir aufflammen. Doch Aiden unterbrach mich.
„Nein, das tue ich nicht. Versuche nicht von der Frage abzulenken. Ich will wissen, wieso du ihn so berührt hast und mich dabei angesehen hast. Ist dir bewusst in was für eine Gefahr du dich gebracht hast? Wie dieser Abend hätte ausgehen können?"
„Ich..." Ich öffnete meinen Pferdeschwanz und versuchte eine Antwort zu finden. „Ich denke es lag am Alkohol." Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. „Es ist mir durchaus bewusst und ich bin dir sehr dankbar, dass du mir geholfen hast."
Aiden beobachtete mich, ohne etwas zu sagen. Sein Gesicht war wie versteinert. Worauf konzentrierte er sich so sehr?
„Du wolltest mich provozieren, Ellanie und hast damit deine eigene Sicherheit riskiert." Er war sauer auf mich. Wahrscheinlich hatte er sogar recht. Ich fühlte mich Unwohl bei diesem Verhör. Ich war mittlerweile nüchtern und die ganze Aktion war mir mehr als unangenehm. „Ich kann mich gut während der Hitze kontrollieren, das können andere nicht." Er deutete den blonden Wolf an. Ich fragte mich,  was mit ihm geschehen war. „Du hast ihn provoziert, obwohl du dich eigentlich nur bei mir Rechen wolltest. Du hast dich in absoluter Gefahr begeben. Ich hoffe, das war dir eine Lehre." Er kam nun näher zu mir. Ich spürte wie meine Knie weicher wurden.
„Es tut..." Meine Stimme zitterte.
„Es tut dir nicht Leid, Ella, das wissen wir Beide."
Ich schwieg. Er hatte recht. Es tat mir Leid ummeine Situation. Was aber nichts mit der Provokation Aiden gegenüber zu tun hatte. Das war pure Absicht und meine Genugtuung, weil er mir die Markierung verpasst  hatte. „Sind wir nun quitt?" Er war so nah bei mir, dass ich sein Parfüm  riechen konnte. Seine Augen glänzten in dem warmen Licht des Zimmers.  Ich konnte meinen Blick nicht von seinen Lippen lassen. War ich doch noch nicht ganz nüchtern?
„Wir sind quitt." Gab ich zu und senkte meinen Kopf als Geste der Untergebung. „Was hast du mit ihm gemacht?" Ich wollte wissen, wo seine Angestellten ihn hingebracht haben.
„Er wird seine gerechte Strafe von der Elite bekommen, mach dir keine Sorgen. Er wird dir nie wieder über den Weg laufen."
Ich schluckte und traute mich nicht weiter nachzufragen. Er ging nun zur Tür. Er ging so schnell, dass ich verwirrt war. Ließ er mich hier nun alleine?
„Wo gehst du hin?" Ich hätte mich für diese Frage Ohrfeigen können. Er warf mir ein schiefes Lächeln zu.
„Du kannst mich anrufen, wenn was sein sollte. Ich bin hier." Er schloss die Tür hinter sich und ich blieb einen Moment stehen. Jetzt, wo wir kein Gespräch mehr führten, hörte ich die Gedanken in meinem Kopf.
Was zur Hölle war heute Nacht passiert?

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