Verlassen

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Verzweifelt krallte ich mich an seine Jacke.

»Das kannst du nicht! Wieso? Warum tust du mir das an? Uns?« Tränen stiegen in mir auf. Rollten langsam über meine Wangen. Verächtlich blickend riss er meine Hand los.

»Ich hab kein Bock mehr auf dich. Also werde ich dich los. Renn mir nicht nach. Es ist vorbei!« Mit einem überheblichen Grinsen auf den Lippen drehte Dave sich um und verließ den Park. Nicht einen Blick warf er auf mich zurück.

Ich starrte ihm nach, während Tränenspuren auf meinen Wangen trockneten. Hier stand ich. Alleine im Scherbenhaufen. Die letzte Person hatte mich verlassen. Die Letzte, welche mir etwas bedeutet hatte.

Jede Person aus meinem Umfeld verließ mich. Meine Freunde hatten nach und nach den Kontakt zu mir abgebrochen. Meine Eltern ignorierten mich. Ich wusste nicht, wann sie mich das letzte Mal gefragt haben, wie es mir ginge. Ich wurde von allen abgewimmelt.

Dave schien mein Anker, war mein Anker. Zumindest bis gerade eben. Jetzt hatte er die Kette losgerissen und ich trieb alleine hinaus aufs offene Meer hinaus. Komplett verlassen. Abgeschottet von der Allgemeinheit.

Mit wem konnte ich noch etwas in der Freizeit unternehmen? Mit wem die Hausaufgaben erledigen? Wer würde mir beistehen, für mich da sein? Bei wem könnte ich meine Probleme abladen?

Neue Tränen stiegen in die Augen. Verzweiflung breitete sich in mir aus. Ich war ganz alleine. Von meinen Gefühlen überrannt, ließ ich mich auf den Hosenboden fallen. Die Beine unter mir begraben, saß ich mitten im Park. Weinte hemmungslos, während Passanten an mir vorbeiliefen. Niemand interessierte sich für mich. Keiner hielt an und fragte, was ich habe.

Ich blieb, bis meine Lunge brannte, die Tränen versiegten und die Wangen wund waren. Es gab keine Tränen mehr in mir. Alles war ausgetrocknet.

Langsam und mit zittrigen Beinen stand ich auf. Das angestaute Blut in den Beinen fing zu zirkulieren an und mit Kribbeln in den Beinen verließ ich den Park. Mit der Zeit ließ die Betäubung in den Beinen nach, die im Herzen blieb.

Niedergeschlagen stieß ich die Haustür auf und hörte bereits den TV. Meine Eltern waren den Geräuschen nach im Wohnzimmer. Ich zog die Jacke aus, streifte gleichzeitig die Schuhe von den Füssen und schlurfte ohne Strassenkleidung und dem Rucksack in der Hand in den nächsten Raum.

Meine Eltern saßen auf der Couch und hatten den Blick nicht vom TV gehoben.

»Hi, bin wieder da.« Mehr als melden, dass ich da war, wollte und konnte ich nicht. Meine Stimme zitterte leicht, noch immer angeschlagen vom ganzen weinen. Doch sie bemerkten es wie erwartet nicht.

»Hallo. Ja, ist gut. Ich rufe dich, wenn es Abendessen gibt.« Meine Mutter starrte noch immer gebannt auf die Flimmerkiste, als sie mich händewedelnd davon scheuchte. Mein Herz zog sich einmal mehr schmerzvoll zusammen. Jedes Mal dasselbe. Meine Eltern widmeten sich lieber dem TV als ihrer Tochter.

Es war ein Wunder, dass ich größtenteils zum Essen geholt wurde. Es kam jedoch auch schon vor, dass sie ihre Tochter vergessen hatten und ich irgendwann in der Nacht selbständig etwas gegessen hatte.

Früher, in meiner Kindheit, war es nicht so. Meine Eltern hatten sich liebevoll um mich gekümmert und am Wochenende oder in den Ferien haben wir Ausflüge unternommen. Aber irgendwann wurde es weniger und weniger, bis es ganz verschwand.

Ich konnte meine Eltern anflehen, Vorschläge für einen Ausflug bringen. Es half alles nichts. Sie wollten nichts davon wissen und arbeiteten oder unternahmen nur zu zweit etwas. Und seit einem Jahr versuchte ich nicht einmal mehr, meinen Eltern einen Vorschlag zu unterbreiten. Ich wusste, er würde nicht angenommen werden. Immer mehr hatte ich mich aus dem nicht vorhandenen Familienleben zurückgezogen und bis spät abends mit Freunden auf der Straße verbracht.

Da ich aber meine Freunde nie zu mir nach Hause einladen wollte und konnte, spalteten sie sich immer mehr ab. Die Clique traf sich ohne mich und sobald ich etwas fragte, wurde abgewimmelt. Keine Information drang zu mir durch. Anfangs war ich noch als Mitläuferin dabei. Damit ich sagen konnte, ich hätte Freunde. Aber vor kurzem wurde es mir zu anstrengend, diese Fassade aufrecht zu halten.

Und dann war nur noch Dave, mein fester Freund. Welcher ich im Hallenbad kennengelernt hatte. Wir fingen an, uns zu treffen, und verliebten uns. Oder ich verliebte mich? Wie auch immer, jetzt war es vorbei. Und ich alleine.

Falling deep to fligh highWo Geschichten leben. Entdecke jetzt