»Keiner genießt den wahren Geschmack des Lebens außer dem, der willens und bereit ist, es hinter sich zu lassen«
- L. SenecaDas erste was ich spürte, als ich wieder zu mir kam, war die Asche, die sich auf meiner Haut niederließ. Sie brannte heiß, wo sie mein weiches Fleisch berührte aber ich spürte keine Schmerzen. Als ich meine Augen aufschlug, dauerte es einen Moment, bis mein Verstand in der Lage war, das sich meinen Augen zeigende Bild zu verarbeiten. Vor mir erstreckte sich eine Stadt in Schwarz. Ich stand auf dem Dach eines Hochhauses. Die Asche knirschte unter meinen nackten Füßen als ich einen Schritt näher an den Abgrund trat. Windböen umtosten mich mit tausend raunenden Stimmen. In der Ferne tobten drei gewaltige dunkle Wirbelstürme, die sich jedoch nicht vom Fleck bewegen zu schienen. Zum ersten Mal fiel mein Blick auf meinen eigenen Arm. Er bestand zur Gänze aus orange glühender Asche. Etwas in mir schrie auf, begann den Verstand zu verlieren. Doch ich verdrängte das Gefühl, bevor es begann, sich in meinem Kopf einzunisten.
»Du solltest nicht hier sein. Dies ist kein Ort für die Lebenden«
Neben mir ertönte eine ruhige, kraftvolle Stimme. Erschrocken fuhr ich um und kniff kurz darauf schnell die Augen zusammen. Geblendet von der plötzlichen Helligkeit musste ich zuerst einige Male blinzeln, bevor ich das Wesen vor mir richtig erkennen konnte. In starkem Kontrast zu der Umgebung, bestand der Mann aus einer Art weißem Sand, der es schwierig machte, seine Gesichtszüge auszumachen. Leuchtend blaue Augen durchbohrten mich.
»Was ist das für ein Ort?«, fragte ich, mich um Fassung bemühend.
»Er hat viele Namen. Und keinen, der der Wahrheit nahe genug kommt, um ihn benutzen zu können, ohne zu Lügen»
Das Wesen blickte nachdenklich an mir vorbei und trat ebenfalls an den Rand des Daches heran.
»Namen sind nur Schall und Rauch. Und diese Stadt ist noch viel weniger als das. Zu allererst ist sie ein Ort endlosen Schmerzes«
Bevor ich wusste wie mir geschah, hatte er mich plötzlich an der Schläfe berührt und mein Blick trübte sich ein. Als ich einige Sekunden später wieder klar sehen konnte, deutete er mit der Hand nach unten und ich erkannte, dass meine Sehkraft deutlich an Schärfe zugenommen hatte. Es fühlte sich an, als wäre ich mein Leben lang blind gewesen und könnte nun erst sehen. Ich folgte seiner ausgestreckten Hand und wurde des Kampfes gewahr, der hundert Meter tiefer am Boden tobte: Dutzende und aberdutzende weiße Gestalten fochten gegen ein nicht enden wollendes Heer von Dämonen aus Asche. Der endlose Kampf zwischen Licht und Finsternis. Zwischen all dem schwarz-weißen Gedränge meinte ich immer wieder etwas rotes in den Himmel aufsteigen zu sehen.
»Dies ist der Abgrund, dem die Dämonen entsteigen und zugleich der Ort, wohin sie nach ihrem Tod zurückkehren. Nur um sich irgendwann wieder in der wahrhaftigen Welt zu materialisieren und dort abermals ihr Ende zu finden. Und nur ich und Meinesgleichen stehen zwischen Ihnen und dem Weg in eure Welt«
Bei diesen Worten deutete er auf die riesigen Tornados in der Ferne. Dann faltete er zwei gewaltige, weiße Schwingen auf und wollte sich gerade das Dach hinunterstürzen, um die übrigen Engel im Kampf zu unterstützen, als ein Ruck durch seinen Körper ging. Eine mit rotem Blut benetzte Klinge schob sich an den weißen Sandkörnern, die seine Brust bildeten, vorbei. Ein trauriger Seufzer entglitt seinen Mund als er auf die Knie fiel. Dickflüssig floss das Leben aus ihm heraus und brachte Farbe in das Schwarz-Weiß dieser Stadt. Am Boden angekommen, begann das Blut seltsam lebendig umherzuwabern. Überwältig musste ich feststellen, dass das Blut zu roten Schmetterlingen wurde, die zuerst zaghaft mit den Flügeln schlugen und dann gen Himmel aufstiegen. Während die Flügel des Engels bereits zu Sand zerfallen waren, flog ein letzter, winzig kleiner, hellblauer Schmetterling aus seinem offenstehenden Mund. Dann explodierte auch der restliche Körper in eine Wolke seiner Einzelteile. Obwohl ich das Wesen nur einige Minuten gekannt hatte, wurde ich von einem unbändigen Gefühl der Trauer überwältigt. Eine einsame Träne rann meine Wange hinunter und schlug ohrenbetäubend laut auf dem Boden des Daches aus Asche auf. Als der herumwirbelnde weiße Sand sich legte, stand ich einem Mädchen gegenüber. Ebenso wie ich bestand sie zur Gänze aus orange glühender Asche. Die Klinge in ihrer Hand schimmerte rot. Lange, rote Haare wehten im immer stürmischer werdenden Wind heftig hin und her. Ihr Gesicht lag in schwarzen Schatten. Schwarz, wie die Linien und Symbole, die sich ihre Arme hinaufwanden. Auch ohne die Maske erkannte ich sie: Vor mir stand das Wesen, das mich an Rand der Hölle fast getötet hatte. Dann fiel ein kleiner Lichtschein auf ihre Züge und erhellte sie für einen kurzen Moment. Aus unergründlich tiefen Augen blickte sie mich an und ihre Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln.
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Paradise Lost - Das verlorene Paradies
Fantasy∆ Warm und schwer fällt der Regen auf mich nieder. Auf seinem Weg gen Boden reißt er Blut wie Tränen gleichermaßen mit sich, spült sie mit dicken Tropfen hinfort von meinem schmerzenden Körper. Nicht aber die Schuld, die ich auf mich geladen habe. U...