5. Masken

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»A woman drove me to drink, and I didn't even have the decency to thank her«

- W. C. Fields

»Seid ihr sicher, dass ihr gerade jetzt hier anlegen wollt, Lord? Der Zyklus nähert sich seinem Ende, müsst ihr wissen. Das Fest beginnt heute Abend. An eurer Stelle würde ich all mein Hab und Gut zusammenraffen und so weit wegsegeln, wie ich nur kann. Keiner würde es Euch verübeln«

Nun lehnte sich der greise Hafenmeister noch ein Stück näher an Hades heran und flüsterte:

»Ihr wart lang nicht mehr hier, mein Lord. Es wird mit jedem Jahr schlimmer, selbst wenn man die Losung übersteht«

Als der Gott antwortete, war seine Stimme erfüllt von einer Mischung aus Verachtung und Belustigung:

»Ich fürchte mich nicht vor dem Tod, alter Mann. Wenn das Schicksal mich heute Abend auserwählen wird, dann soll es so sein. Dann werde ich es ertragen wie ein Mann und mich nicht in irgendeinem Loch verkriechen und jemand anderen an meiner Stelle sterben lassen!«

Bei diesen Worten straffte der Hafenmeister den von der Last vieler Jahre krummen Rücken und mit einem herzlichen Lächeln zollte er Hades seinen Respekt.

»Ich habe die letzten Jahren wohl zu viel Zeit mit diesen verfluchten Priestern und dem ganzen adeligen Pack verbracht. Ich hatte ganz vergessen, dass es noch wahre Männer dort draußen gibt«

Entschuldigend lächelte er schüchtern, bevor er mir und Amy einen kurzen Seitenblick zuwarf.

»Ich hoffe nur, dass deine Begleiter ihrem Schicksal ebenso ergeben entgegensehen. Denn auch sie wurden zum Ball geladen«

***

Stunden später stand ich im größten und luxuriösten Zimmer, dass ich je betreten hatte. Man hatte uns mitten im riesigen Palast des Königs einquartiert. Warum, hatte uns keiner sagen können.

»Reichst du mir mal das Handtuch?«

Eigentlich hatten sowohl Amy als auch ich ein solches Gemach, aber wir waren schnell übereingekommen, dass wir in einem schlafen würden. Zu einsam, zu verlassen hätten wir uns inmitten dieses großen Raumes gefühlt.

Ich schnappte mir das Stück unglaublich weiche Seide, welches über einer Stuhllehne hing und drehte mich um. Ich hatte Amy schon öfter nackt gesehen, als dass ich es zählen könnte, immerhin kannten wir uns schon seid einer halben Ewigkeit. Doch in Pandaemonium war ich mir nie der Schönheit bewusst gewesen, die sie mit einer Selbstverständlichkeit ausstrahlte, wie Feuer Wärme. Ihre nassen, weißgrauen Haare schmiegten sich an die zarte, von der Sonne gebräunte Haut ihrer Schlüsselbeine. Ein Tropfen Wasser löste sich von ihrer Nasenspitze und ein Schauder durchlief mich, als meine Augen langsam seinem Fall ihren Körper entlang nach unten folgten. Einen Sekundenbruchteil später hatte ich mich wieder gefasst und versuchte nicht auf die hochgezogenen Augenbrauen und ihr schelmisches Grinsen zu achten. Bevor sie sehen konnte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, wandte ich mich wieder ab und begutachtete voller Interesse die herumliegenden Schmuckstücke.

»Ich frage mich die ganze Zeit, was das alles soll«

Mit einer ausladenden Geste deutete ich auf unsere Umgebung und danach auf die Klamotten, die ich nun trug. Nachdem ich ein Bad in einer goldenen Wanne genossen hatte, die groß genug gewesen wäre, um ein halbes Dutzend Männer zu fassen, war meine alte Kleidung verschwunden gewesen. An ihrer statt trug ich nun eine schwarze Leinenhose und ein dünnes Hemd in derselben Farbe. Den prächtigen Übergewänder, die nur so vor Gold und farbigen Edelsteinen strotzten, weigerte ich mich immer noch, auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Ich nehme an, das werden wir alles heute Abend erfahren. Hilf mir mal«

Als ich mich umdrehte, steckte Amy in einem engen, weißen Kleid, das über und über mit grünen Smaragden versehen war. Kurz unterhalb ihrer Hüfte bauschte sich der Stoff leicht und fiel ihr bis über die Füße. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass ihr Kleid so geschnitten war, dass es hinter ihr am Boden stufig auslief. Etwa einen Meter lang war das Stück, das den kalten Marmor unter uns dadurch berührte.

Paradise Lost - Das verlorene ParadiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt