11. Splitter

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»Nunmehr ist es Zeit, daß wir gehen, ich, um zu sterben, ihr, um zu leben. Wer aber von uns beiden das bessere Los gezogen hat, das wissen nur die Götter selbst.«

- Sokrates


Feuer regnete von Himmel. Umtoste uns donnernd mit brennenden Zungen, biss sich heiß in unsere Lungen und ließ uns keine Luft zum Atmen übrig. Überall Splitter, über die zerklüftete Ebene fliegend, die unsere Haut aufrissen, wann immer eines der gläsernen Wesen von einem Meteoriten getroffen wurde. Und in der Mitte des Chaos, nur einige Meter von mir entfernt stand Amy, die Arme gen Himmel erhoben und die Augen geschlossen. Die Linien und Symbole an ihrem nackten Unterarm leuchtete in einem strahlenden Weiß, während sie ihre Magie anzapfte. Dann wurden ihre Konturen wieder verschwommener, als sich der schwarze Rauch, der mich wie ein Sturm umwaberte, verdichtete. Meine eigenen Male brannten, wann immer ich seine zerstörerische Gewalt Kraft eines Gedanken in eine bestimmte Richtung lenkte. Unsichtbaren Händen gleich packte er die Wesen, die aus dem See gekommen waren, und schleuderte sie herum, schlug mit einer Macht auf sie ein, die ihre menschengleichen Körper zerschmetterte. Aber keine Schreie, kein überraschtes Keuchen, doch eigentlich so charakteristisch für ein Lebewesen, das nicht mit dem Tod gerechnet hatte. Keine Ströme von Blut, die sich über die gläsernen Steine zu unseren Füßen ergossen und die Luft mit ihrem Gestank verpesteten. Unsere Gegner waren vollkommen stumm. Sie rannten lautlos, griffen lautlos an, starben lautlos. Wie in Trance wirbelte ich meine zwei Dolche herum und schnitt mühsam durch elastisches Glas, hart wie Eichenholz. Eine seltsame Klarheit hatte von mir Besitz ergriffen. Es war ein kühles, sehr rationales Empfinden, dem jegliche Emotionen abgefallen waren. Gleichsam brachte es ein Gefühl von Freiheit mit sich, wie ich es noch nie vorher gespürt hatte. All die mich ohne Pause immerzu bedrängenden, verschiedensten Emotionen hatten sich verflüchtigt und schenkten mir Frieden und Ruhe inmitten des Kampfgetümmels. Ich beobachtete, analysierte, agierte. Jedes kleine Detail um mich herum wurde wahrgenommen. Amy, der langsam die Kräfte zu schwinden schienen, ein Zittern lief ihr durch den Körper. Der Schattennebel, von einem Teil meiner Selbst gesteuert, aber doch mit starkem Eigenleben, unter den Angreifern wütend. Dorians ununterbrochenes, lautes Fluchen hinter mir. Mohab, immer noch kniend vor seinem Gott und der ganzen Welt, Gebete psalmodierend, doch scheinbar unverletzt. Dann wieder muskulöse Arme, die an mir ziehen und mich zu Boden zu Ringen versuchen. Ein emotionsloses, gläsernes Gesicht. Bernsteinfarbene Augen, die mich ein letztes mal anblickten, als ich meine Klingen in dem Körper des Wesens versenkte. Vorwurfsvoll? Dankbar? Das Geräusch von zerschellendem Glas, als es auf dem Boden aufschlägt und in tausend Splitter zerbricht.

»Seth...«

Eine raue, alte Stimme, die die kühle Klarheit meines Bewusstseins durchschnitt wie Wasser. Mechanisch kämpfte ich weiter, während ich ihr lauschte. Ich bin Tod. Bin Erlösung.

»Verlasst diese Stadt. Die Seelenlosen werden dieses Mal nicht wieder in den See zurückkehren. Alles ist von Veränderung begriffen. Mein Fehlen nimmt der Welt ihre urtümlichsten Gesetze. Wo keine Klarheit, keine Rationalität mehr ist, bleibt nichts mehr an seinem angestammten Platz.«

»Wer bist du?«, formulierte ich meine Frage in Gedanken, während meine Hand einen weiteren tödlichen Streich ausführte.

»Mein Name ist Indigo«

Die emotionale Seite meines Selbst wollte sich aufbäumen, schreien angesichts dieser verrückt anmutenden Konversation. Doch ich war völlig ausgefüllt von kühler Rationalität.

»Ich habe von dir geträumt. Warum sprichst du zu mir?«

»Verlier dein Ziel nicht aus den Augen, Wanderer. Du musst nach Eden, dann wirst du alles verstehen.«

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 03, 2016 ⏰

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