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"Ja, Mutter, ich bin mir sicher.", seufzte die Blondine ins Handy. "Ich habe da einfach keine Lust mehr drauf, so angesehen zu werden." ... "Ja, das ist mir bewusst." ... "Nein, werde ich nicht." ... "Brauchst du nicht." ... "Habe ich." ... "Wünsche ich dir auch." ... "Ja, ist gut." Damit legte sie auf. Herrje, konnte die Frau anstrengend sein. Sie hatten das doch alles zig Male besprochen und waren sich einig gewesen. Na gut, einig wäre etwas anderes gewesen. Ihre Mutter hatte sich breit schlagen lassen, auch wenn sie nicht begeistert von den Plänen ihrer Tochter war. Doch was kümmerte sie das Gerede einer Frau, die, weiß der Teufel wie viele Kilometer, weit von ihr entfernt war.

Die Sommerferien waren in diesem Jahr alles in allem ziemlich öde. Kurz nach dem letzten Schultag war der Umzug in diese Stadt gewesen. Von ihrem Freund trennte sie sich schon davor. In ihrem Alter war eine Fernbeziehung einfach nicht das Richtige, zumindestens war die Blondine dieser Meinung. Hinzu kam, dass sie einen kompletten Neuanfang hier wagen wollte, endlich ein normales Leben zu führen, ohne diese seltsamen Blicke, die alles und auch wieder nichts bedeuten konnten.

Seufzend fuhr sie sich durch die Haare. Das Zimmer gefiel ihr auf jeden Fall, hatte sie sich schlussendlich für helle Möbel entschieden und alles, was man so brauchte, war vorhanden. Schreibtisch, darauf ein Laptop, Kleiderschrank, zwei Kommoden, Boxspringbett und zwei Nachtkästchen daneben. Es war schon spät und sie sollte sich dann mal fertig machen, immerhin war am nächsten Tag früh aufstehen angesagt. Also ging sie auf den Flur und anschließend ins Bad. Als sie sich soweit fertig gemacht hatte, betrat sie das Zimmer erneut, ließ sich auf das Bett fallen, kuschelte sich in ihre schwarze Satinbettwäsche und schlief kurz darauf ein.

***

Die Blondine wachte auf und ihre blauen Augen funkelten den Wecker wütend an. Wieso genau hatte sie sich nochmal für das Abitur entscheiden? Ohne diesen Unsinn könnte sie jetzt einfach weiter schlafen. Aber nein, sie musste sich das Leben ja extra schwer machen. Grummelnd stand sie auf, griff sich neue Klamotten und ging duschen.

Mit einem schwarzen Rucksack verließ sie das Haus. Sie hatte sich für schlichte Sachen entschieden, wollte sie ja nicht auffallen. Weiße Bermuda Shorts, Ballerinas und ein pinkes Top. Ihre polangen Haare hatte sie sich zu einem Zopf gebunden. Auf dem Weg machte sie noch einen Abstecher in eine Bäckerei. Heiße weiße Schokolade, zwei belegte Brötchen und ein Sandwich mit Ei, welches sie gleich auf die Hand nahm. Viele Menschen hielten das Frühstück ja für die wichtigste Mahlzeit des Tages, doch für sie war das schon immer ein notwendiges Übel gewesen. Gedankenverloren schlenderte sie den Gehweg entlang. Wie ihre Mitschüler wohl sein würden? Dumme Zicken und heiße Typen? Die Wahrscheinlichkeit war ziemlich hoch. Es konnte ihr ja eigentlich auch egal sein. Sie war nicht auf engen Kontakt mit jemandem aus, würde das wieder nur Probleme mit sich bringen.

Am Schulgelände angekommen, war dieses leer. Ein Blick auf die Uhr. *Jep. Ich bin zu spät.* Ach das war doch mega. Soviel zum Thema nicht auffallen. Das schwarze Gebäude war ziemlich modern, erinnerte sie aber durch die Farbe und vom Grundriss her sehr an ein Gefängnis. Auf dem Grundstück befanden sich ebenfalls noch eine Grund- und Realschule, die jedoch räumlich abgegrenzt waren. Die Turnhallen und Sportanlagen waren etwas abseits platziert worden. Das Gelände war insgesamt großzügig geschnitten und der Rundgang zwischen den Bäumen erinnerte sie an einen Park. Im Atrium angekommen, sah sie auf den Lageplan.

Auf dem Weg zum Klassenzimmer eilte die Blondine die Gänge entlang. Natürlich kam es, wie es kommen musste und sie stieß mit jemandem zusammen. Unsanft landete sie auf dem Hintern. War ja ganz großes Kino. Der Tag konnte sie jetzt schon gern haben. Mies gelaunt sah sie an dem Typen hinauf, von dem sie abgeprallt war. Turnschuhe, trainierte Waden, knielange Jeans, weißes Shirt und schwarze Lederjacke. Ernsthaft? Eine Lederjacke bei den Temperaturen? Zweifelnd ließ sie ihren Blick weiter nach oben schweifen über einen silbernen schlichten Anhänger an einem Lederband. Einprägsames Gesicht, schwarze Augen, ebenso die nackenlangen Haare und er hatte Sommersprossen. War der Kerl Lehrer oder was hatte der nach Unterrichtsbeginn auf dem Flur zu suchen?

"Na, Kleine, genug gestarrt?", grinste er breit, "Nicht, dass du noch anfängst zu sabbern." Das war eindeutig kein Lehrer. Belustigt schnaubte sie und stand auf. Betont gelassen nahm sie die Sonnenbrille ab, klemmte sie sich in den Ausschnitt und funkelte ihn an: "Sei nicht so eingebildet, Kleiner. So toll bist du nicht." Damit ließ sie ihn stehen, ohne irgendeine Reaktion abzuwarten. Der Schwarzhaarige stützte sich mit einer Hand an die Wand und sah ihr hinterher. "Ey Kleine!", rief er, doch sie ging ungerührt weiter. "Süßer Knackarsch!" "Kann ich von dir nicht behaupten.", hob sie knapp die Rechte und ging um eine Ecke in den nächsten Flur.

Der junge Mann stand dann etwas verdutzt da. Sie hatte ihn gar nicht von hinten gesehen oder doch? Nein, definitiv nicht. Ein Schmunzeln konnte er sich nicht verkneifen. "Du bist interessant, Kleine.", murmelte er und ging dann in die entgegengesetzte Richtung. Gleich würde es erstmal Ärger geben. Am ersten Tag zu spät zu kommen, kam nie gut an. Er hatte die Blondine an der Schule noch nie gesehen, also musste sie wohl neu sein. Das würde sich ja leicht herausfinden lassen.

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