Elli's POV
Ich renne zu den Toiletten, so schnell ich kann. Die Tür zur Damentoilette ist verschlossen. Ich klopfe, ein Mal, zwei Mal. Niemand antwortet. Aus dem Klopfen wird ein Hämmern. "Anna??" "Anna!! Bist du da drin?" "Anna hörst du mich?" Keine Antwort. Wie wild hämmer ich gegen die Tür. Auf ein Mal höre ich ein dumpfes Schreien. Mir wird schlecht. "Anna!!" "Anna!! Was ist los?" "Anna, mach die Tür auf!!" Stille. Mit aller Kraft trete ich gegen die Tür. Mittlerweile sind auch ein paar der anderen Kolleg*innen auf mich aufmerksam geworden. "Elli?? Was machst du da? Was ist denn los?" Sie verstehen gar nichts. Ich nehme Anlauf und werfe mich mit Gewalt gegen die Tür. Sie öffnet sich nicht, nur meine Schulter schmerzt. "Kann mir mal jemand helfen?" Niemand rührt sich, alle sehen mich nur geschockt an. Wieso hilft mir denn keiner? Voller Verzweiflung nehme ich ein zweites Mal Anlauf. Mit voller Wucht knallt mein Körper gegen die Tür und sie bricht endlich auf. Was ich dort sehe zerreißt mein Herz in tausend Teile.
"Anna!" sofort renne ich auf sie zu. Jürgen steht vor ihr und drückt sie gegen die Wand. Sie weint bitterlich. Mit der einen Hand hält er ihr den Mund zu, mit der anderen ist er dabei, seine Hose zu öffnen. Dieser Anblick schmerzt so sehr. "Hey!" brülle ich ihn an. "Nimm deine scheiß Finger von ihr!" Ich packe ihn am Arm und zerr ihn von ihr weg. Anna sinkt sofort zu Boden. Mittlerweile haben auch die anderen verstanden, was gerade passiert und sie kümmern sich um Jürgen während ich mich sofort Annalena zuwende. Sie sitzt zusammengekauert auf dem Boden, ihr Gesicht vergräbt sie in ihren Händen, ihre Bluse ist weit geöffnet. Sofort begebe ich mich zu ihr auf den Boden und nun knie ich vor ihr. "Anna" hauche ich ihr mitfühlend entgegen, ehe ich sie ich meine Arme ziehe. "Es ist vorbei" "Er kann dir nichts mehr tun." flüstere ich. Als ihr Kopf meine Schulter findet, brechen bei ihr sämtliche Dämme und sie beginnt hemmungslos zu weinen. Völlig überfordert mit der Situation sitzen wir einfach da. Ich kann nichts sagen, um es irgendwie erträglicher zu machen, was eben passiert ist, also bin ich einfach für sie da. Langsam finden ihre Arme meinen Körper und sie hält mich, als würde sie mich nie wieder gehen lassen wollen. Eine ganze Zeit lang verweilen wir so, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Viele Minuten später werden die Tränen langsam weniger und sie beginnt allmählich, sich etwas zu beruhigen. Langsam hebt sie ihren Kopf und ich blicke ihr dirket in ihre Augen. Sie sind rot und immernoch glasig von den ganzen Tränen. Mit meinem Daumen streiche ich ihr vorsichtig die Nässe aus dem Gesicht, ehe ich sie noch ein Mal an mich ziehe und ihren Kopf auf meiner Brust platziere. "Danke" flüstert sie ganz leise und auch mir fließt jetzt eine kleine Träne über meine Wange. "Es tut mir so Leid. Ich hätte früher da sein müssen." Sofort erhebt sich ihr Kopf und sie blickt zu mir auf. Sie wischt mir die Träne aus dem Gesicht und flüstert "Sag das nicht. Ich bin so froh, dass du gekommen bist. Ohne dich..." Wieder beginnt sich ihr Gesicht zu verziehen und ich presse sie gleich an mich, um sie zu beruhigen. "Anna? Wir müssen von dem kalten Boden aufstehen. Komm, ich bring dich nach Hause." Ohne zu diskutieren stehen wir beide auf. Sie braucht einen Moment um sich zu sammeln, dann knöpft sie ihre Bluse zu und gibt mir zu verstehen, dass sie soweit ist. Ich lege meinen Arm um sie und wir verlassen gemeinsam das Badezimmer. Als wir wieder im Gästeraum des Restaurants ankommen, steigt sofort eine Wut in mir auf, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. In der Ecke steht Jürgen. Die anderen scheinen die Polizei informiert zu haben, denn zwei Polizisten scheinen gerade seine Aussage aufzunehmen, während eine Polizistin auf Anna und mich zukommt. "Frau Baerbock? Wie geht es Ihnen? Ist alles in Ordnung? Ich hätte noch ein paar Fragen an Sie." Spinnen die? Natürlich ist nicht alles in Ordnung. "Können Sie die nicht später stellen? Sie sehen doch, dass es ihr nicht gut geht. Sie muss sich jetzt erstmal von dem Schock erholen. Ich bring sie nach Hause." "Natürlich. Tut mir Leid. Wir melden uns einfach bei Ihnen." Claudia kommt mit unseren Jacken zu uns gerannt und wir ziehen sie gleich an, um so schnell wie möglich hier wegzukommen, weg von ihm. Er steht da in seiner Ecke, scheint sich keiner Schuld bewusst zu sein, oder einfach nur viel zu betrunken. Anna ist die Angst vor ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben, deshalb versuche ich uns beide so schnell wie möglich aus dem Restaurant zu navigireren, doch es führt kein Weg nach draußen, ohne an ihm vorbei zu müssen. Langsam gehen wir Richtung Ausgang, meine Hand platziere ich auf Annas Rücken, um ihr die Sicherheit zu geben, die sie gerade braucht. "Keine Angst, ich bin direkt hinter dir. Er kann dir nichts tun." Zögerlich begeben wir uns zur Tür als aus der Ecke seine Stimme ertönt. "Ach die kleine Schlampe. Die wollte das doch. Mit ihrem durchsichtigen Fummel, hat man doch alles durchgesehen. Die hats doch drauf angelegt." Unweigerlich beginnt mein Blut zu kochen. Ich weiß, ich sollte für Annalena da sein und sie einfach hinausbegleiten aber plötzlich bin ich nicht mehr Herr über meine Emotionen. Ruckartig drehe ich mich zu ihm um, hole aus und meine Faust landet direkt in seinem Gesicht.