XII

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Elli's POV

"Vor circa einem Jahr, es war Samstag Nacht, beziehungsweise eher Sonntag Morgen. Ich war auf dem Weg nach Hause von einer Party. Ich war alleine unterwegs, ich war total fertig, es war schon 4 Uhr, oder 5, ich weiß es nicht mehr genau. Der ganze Abend ist auch irgendwie schwammig in meiner Erinnerung." Ich muss erstmal Luft holen. Das wird ein schwieriges Gespräch, doch Annas verständnisvoller Blick gibt mir Sicherheit. "Also, ich bin im Auto und fahre nach Hause. Ich fahre in das letzte Dorf vor meinem und ich fahre und fahre. Und dann sehe ich ganz am Ende des Dorfes, im letzten Haus, wie Rauch aus zwei der Fenster steigt." Wieder muss ich kurz stoppen und mich sammeln. "Du musst wissen, ich war viele Jahre bei der freiwilligen Feuerwehr in unserem Dorf und weiß eigentlich, was in solchen Momenten zu tun ist. Ich hab dann erstmal angehalten und geguckt, was da los ist. Es war schon sehr spät und man konnte nicht viel sehen. Es kam nur Rauch aus den Fenstern, man hat aber kein Feuer gesehen..." meine Worte überschlagen sich fast. Ich komm erst dazu, Luft zu holen als mich Anna plötzlich in eine Umarmung zieht. "Hey,... ganz ruhig. Atme erstmal tief ein, und wieder aus. Lass dir Zeit, okay?" Ich tue, was sie sagt und nehme mir einen Moment, dann erzähle ich weiter. "Ich hab dann erstmal die Feuerwehr angerufen. Und dann hab ich gewartet, das waren wirklich die längsten Minuten meines Lebens, und es kam einfach niemand. Es war mitten in der Nacht und alle haben schon geschlafen aber der Rauch wurde einfach immer mehr. Ich hab mich so nutzlos gefühlt in dem Moment. Ich bin bei der Feuerwehr, ich weiß, was zu tun ist aber ich konnte einfach nur dasitzen und nichts tun. Das hat mir einfach keine Ruhe gelassen, ich wusste ja auch gar nicht, ob da vielleicht Leute drin sind. Und dann hat sich plötzlich eines der Fenster geöffnet und eine Frau lehnte sich aus dem Fenster. Und sie hustete und sie schrie um Hilfe. Ich kann immernoch hören, wie sie nach Hilfe gerufen hat und wie ich da unten stand. Und ich hab ihr immer zugerufen, dass Hilfe unterwegs ist aber sie hatte solche Angst. Und sie fleht mich an, ich soll ihr helfen. Und ich steh da und es kommt einfach niemand." Schnell wische ich mir eine Träne aus dem Gesicht. "Und dann hab ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich wusste, dass das keine gute Idee ist, da ohne Schutzbekleidung, und Sauerstoff ohne alles, einfach reinzugehen, aber ich konnte da einfach nicht mehr stehen und warten und ich hab mir eingeredet, dass ich ja weiß, was ich tue und sowas ja schon ganz oft gemacht hab. Ich hab mir einen Lappen, den ich noch im Auto hatte genommen, und ihn mit etwas Wasser aus meiner Flasche nass gemacht und bin dann zur Tür und die Frau am Fenster hat mir gesagt, wo ein Schlüssel ist, und dann bin ich rein. Das ganze Haus war schon voller Rauch und es war so dunkel, man konnte gar nichts sehen. Und dann hab ich einfach versucht, der Stimme der Frau zu folgen. Ich bin dann die Treppe hoch und der ganze Flur hat gebrannt, überall war Feuer und ich hatte nichts zum Löschen und die Frau hat so geschrien. Ich hab dann irgendwie versucht, sie zu beruhigen und sie hat mir dann gesagt, wo ihr Feuerlöscher ist und ich weiß nicht wie, aber irgendwie hab ich den dann auch gefunden und hab mir dann einen Weg freigemacht damit ich zu ihr in das Zimmer komme." Kurz durchatmen. Annas Hand liegt mittlerweile auf meinem Knie und streicht sanft über mein Bein, um mich etwas zu beruhigen. "Und dann kam ich zu ihr rein, und sie hat so geweint und gehustet, sie hatte schon so viel Rauch eingeatmet. Ich hab sie dann geschnappt und wollte sie raus bringen, sie konnte kaum noch laufen, weil ihr Körper schon so schwach war. Ich hab ihr dann meinen nassen Lappen vor ihre Nase gehalten und dann sind wir irgendwie nach unten, aber mitten auf der Treppe ist sie zusammengesackt und hat das Bewusstsein verloren. Und dann hab ich sie bis nach draußen getragen und sofort mit der Wiederbelebung angefangen. Es war immernoch keiner da und sie hat einfach nicht mehr geatmet." Jetzt kann ich es nicht mehr zurückhalten und die Tränen fließen und fließen, und ich bin noch nicht mal am Ende... Anna zieht mich zu sich und wieder muss ich mich erstmal beruhigen, um weitererzählen zu können. "Ich versuch sie also zu reanimieren und plötzlich fängt sie an zu husten und sie ist wirklich aufgewacht und ich dachte, jetzt wäre es vorbei und ich hätte es endlich geschafft aber dann..." Luftholen. "Dann fängt sie an zu schreien, ihr Kind war noch im Haus. Ihr Kind war noch da drinnen, Anna. Ein Kind... Ich bin dann sofort rein aber das Feuer hatte sich schon ausgebreitet und ich konnte den Feuerlöscher nicht mehr finden, weil ich ihn zurücklassen musste als ich die Frau nach draußen getragen hab. Ich bin die Treppe hoch und überall war Feuer, der ganze Flur stand in Flammen. Schemenhaft konnte ich die Kinderzimmertür erkennen, weil da ganz groß LEA drauf stand, aber ich kam einfach nicht durch, weil überall Feuer war. Aber es war ein Kind... Und dann ... bin ich einfach durch die Flammen durch. Ich muss so viel Adrenalin in mir gehabt haben, ich hab gar nichts gespürt. Also bin ich durch diese Wand aus Flammen gelaufen und zu dieser Tür und bin rein und dann lag sie da, in ihrem Bett. Und ich bin zu ihr gelaufen aber sie hat nicht geatmet ..." Alle Dämme sind mittlerweile gebrochen und es fällt mir schwer, überhaupt noch klare Worte zu bilden. "Ich hab sie geschnappt und wollte einfach nur noch raus.... Ich weiß nicht mehr, wie wir rausgekommen sind, von da an besteht meine Erinnerung nur noch aus Fetzen. Ich kam draußen an und dann war die Feuerwehr schon da. Sie haben mir die Kleine abgenommen und mich versorgt. Die haben mir irgendwas zur Beruhigung geben, aber mein ganzer Arm war verbrannt. Ich stand total unter Schock, deswegen hab ich nichts gemerkt, ich hab die ganze Zeit nur geguckt, was sie mit Lea machen. Ich hab noch gesehen, wie sie versucht haben, sie zu reanimieren und ich sehe wie ihre Mutter danebensteht und schreit. Sie schreit einfach nur, die ganze Zeit. Ich hab noch nie jemanden so schreien hören und ich krieg das einfach nicht aus meinem Kopf. Die Feuerwehr hat mir die ganze Zeit erzählt, wie stolz ich auf mich sein kann, wie mutig ich war und dass ich der Frau das Leben gerettet hatte, aber ich konnte nur an eins denken... An Lea, die, wie ich später erfuhr, nicht überlebt hatte,...."

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