Kapitel 21: Die Hinrichtung

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Die Tage schlichen dahin. Wenn Jaris nicht wäre, der jeden vergangenen Tag abstrich, wüsste ich nicht einmal wie viele bereits vergangen waren. So konnte ich jedoch genau sagen, dass sechs Tage ins Land gestrichen waren, seit ich an diesem Ort festsaß.

Es war der Tag meiner Hinrichtung. Es gab kein Entkommen. In den vergangenen Tagen wurde auf Rettung gehofft. Doch bisher haben wir vergeblich gewartet. Auch die Wachen waren nicht wieder an mich herangetreten. Daher wusste ich auch nicht, wie es um die Befreiung von Arthus bestellt war.

Die schweren Türen des Kerkers öffneten sich. Metallene Schritte waren zu hören. Sie kamen näher. Allein vom Klang her konnte ich sagen, dass es andere Wachen waren als die, mit denen ich zuvor bereits geredet hatte.

Meine Zellentür wurde aufgesperrt und die Wachen warteten darauf, dass ich zu ihnen trat. Um nicht unterbrochen zu werden, hatte ich mich bereits am Abend zuvor von den anderen verabschiedet. Sie blieben in ihren Zellen. Ich war die Einzige, die hinausbegleitet wurde.

Schweigend wurde ich die langen Gänge bis zum Aufgang gebracht. Oben angekommen traten zwei weitere Wachen zu uns und gingen vor mir durch die breiten Gänge des Schlosses. „Wir müssen uns beeilen. Ihre Majestät hat von Natur aus keine Geduld und der Kaiser ist bereits angekommen.", sprach einer von ihnen. Es interessierte mich nicht, wer von ihnen es war. Das Einzige, was zählte war, dass mein Vater angereist war.

„Ist die königliche Familie denn schon da?", fragte ein anderer. Keiner von ihnen schien begeistert, dass sie sich beeilen sollten.

„Der König und die Königin sind bereits unterwegs. Der Prinz bleibt in seinem Zimmer auf Befehl der Königin." Es war eine dritte Stimme, die antwortete. Arthus war also noch eingesperrt. Ich hoffte inständig, dass er rechtzeitig befreit werden konnte. In der aktuellen Situation war er der Einzige, der mir helfen konnte.

Vom Schloss aus ging der Weg über einige Felder in die Stadt rein. Da wir mit einer Kutsche fuhren, ging es schneller, als ich wahr haben wollte. Zwei der Wachen saßen auf dem Kutschbock, während die beiden anderen hinten auf der Kutsche standen. Ich selbst war in einem riesigen Käfig auf der Ladefläche. Die Fahrt war holprig und nach dem vielen Sitzen in der Zelle war es unangenehm und anstrengend die Balance zu behalten.

Ohne aufgehalten zu werden, passierten wir die Stadttore. Zwar kannte ich mich im Süden nicht aus, allerdings konnte ich mir vorstellen, dass es sich um Hariola handelte. Die Hauptstadt des südlichen Larthetias war der perfekte Ort, für die Unterzeichnung des Friedens.

Auf dem Marktplatz, der das Ziel der kurzen Reise war, waren zwei Bühnen aufgebaut. Darum herum standen Massen von Menschen. Wahrscheinlich standen alle Bürger der Stadt und der Umgebung auf dem kleinen Platz.

Ich wurde aus der Kutsche gelassen und auf die eine der beiden Bühnen geführt. Darauf erwartete mich bereits ein grimmig aussehender Mann. Er war bullig und ganz in schwarz gekleidet. Seinem vernarbten Gesicht konnte man ansehen, dass er in seinem bisherigen Leben einiges erlebt hatte. Ich stellte mich in einigem Abstand zu ihm auf. Die vier Wachen, die mich an diesen Ort begleitet hatten, stellten sich hinter und neben mich, sodass ich gezwungen war, die andere Bühne, auf dessen vorderster Mitte ein Pult aufgebaut war, anzuschauen.

An der einen Seite der anderen Bühne stand die Königin. Sie trug ein weißes Kleid, das prachtvoller war als alle anderen, die sie bisher in meiner Gegenwart getragen hatte. Neben ihr stand ihr Mann. Der König, der mir gegenüber immer so herzlich war, schaute mich nicht an. An seiner steifen Haltung merkte ich, dass er es schon wollte, sich aber zwang es nicht zu tun.

Auf der anderen Seite stand mein Vater. Sein Blick sprach mehr von Trauer als von Enttäuschung, obwohl ich ihn bereits lange genug kannte, um sagen zu können, dass beides in seinem Blick lag. Er stand mit straffen Schultern da, doch er wirkte nicht ganz so imposant, wie er es in seinem eigenen Reich tat. Neben ihm stand ein mir fremder Mann. Die anthrazitfarbene Rüstung glänzte in der Sonne. Ein kleines Symbol auf der Schulter wies ihn als ersten General aus. Er war also der Nachfolger von General Montero. Der Gedanke schmerzte mich, was ich versuchte, so gut es ging zu verstecken. Der General war ein enger Vertrauter gewesen. Ihn nicht mehr in meinem Leben zu wissen, war ein herber Verlust. Er hätte an der Stelle des Fremden an der Seite meines Vaters stehen sollen.

„Bürger Larthetias.", sagte die Königin, während sie näher an das Pult in der Mitte der Bühne schritt. Die Menge wurde augenblicklich still. „An diesem herrlichen Tag wollen wir nicht nur das Ende des Krieges feiern, sondern auch den Sieg des Südens über den Norden." Vereinzelt hörte man Jubelrufe aus der Menge. Die meisten blieben aber still, um keines der Worte ihrer Königin zu verpassen. „Das erreichen wir sogar ohne Blut zu vergießen, wenn der Norden mitspielt." Nun jubelten alle. Ein Krieg ohne Blutvergießen war für alle ein Traum. Dass dieser Krieg bereits sehr viel Blut und unzählige Leben gekostet hatte, daran schien keiner mehr zu denken. Vielleicht wollten sie es in diesem Moment nicht.

Die Königin drehte sich von dem Pult weg und wendete sich meinem Vater zu. „Ich wiederhole mein Angebot, Kaiser Dirin: Eure Tochter wird hingerichtet, solltet Ihr den Friedensvertrag nicht unterschreiben."

Friedensvertrag., lachten meine Gedanken abschätzig. Diese Frau wusste gar nicht, was Frieden war und maßte sich an einen Vertrag dafür aufzusetzen.

„Teil des Vertrages ist, dass die gesamte kaiserliche Familie und alle ihnen eng vertrauten Personen das Land verlassen müssen und nie mehr wiederkehren dürfen.", verkündete die Königin an das Volk gewandt. Anscheinend war dies ein Teil des Vertrages, den mein Vater bereits kannte. Er verzog keine Miene bei den Worten der Königin. Für mich war er allerdings vollkommen neu, was mich fragend und entsetzt zu meinem Vater sehen ließ.

Mein Vater sagte nichts dazu, schaute aber kurz zu mir. Ich kannte seine Entscheidung. Sein Vater hatte ihm immer wieder eingeredet, dass man mit allen Mitteln die Familie beschützen musste. Meine Mutter hatte mir dagegen beigebracht, dass das Land immer an erster Stelle kam.

Ich schüttelte den Kopf, um ihm zu signalisieren, was die richtige Entscheidung war. Mein Leben war es nicht wert, das von tausend anderen in Gefahr zu bringen. Und ich war mir sicher, dass jedes Leben im Norden durch die Königin in Gefahr war – ganz egal wie nah man der kaiserlichen Familie stand.

Mein Vater drehte sich zur Königin um. „Ich werde den Vertrag unterschreiben. Das Volk verdient es, in Frieden leben zu können.", sagte er mit fester Stimme.

Die Königin nickte und nahm die Schreibfeder aus der Halterung am Pult, welches sie noch nicht wieder verlassen hatte. Von meinem Blickwinkel sah man es nicht, aber ich konnte mir vorstellen, dass ein Exemplar des Vertrages dort lag. Bis auf die Personen auf der anderen Bühne konnte niemand sehen, was sich alles auf dem Pult befand. Sie unterschrieb und reichte die Feder an meinen Vater weiter.

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