„Spricht sie?" Die Stimme der Königin hallte erneut an den Wänden des Kerkers wider. Daraufhin wurde nicht geantwortet. Allerdings war das Rascheln von Kleidung zu hören. Ich nahm daher an, dass der Prinz mit dem Kopf schüttelte. Wäre es eine der Wachen hinter ihm gewesen, hätte man sicher das typische metallene Geräusch gehört, was immer auftauchte, wenn sie sich bewegten.
„Bringt sie in den Thronsaal! Ich werde dort warten." Danach waren sich entfernende Schritte zu hören. Die Königin verschwand also.
Diesmal sah ich zu dem Prinzen, ob er ihr folgte, doch er blieb stehen. Sein Blick folgte zwar für einen Augenblick seiner Mutter, doch dann wandte er sich an eine der Wachen, die hinter ihm standen. „Ihr habt die Königin gehört. Öffnet die Tür!" Ich hatte nicht erwartet, dass er in der Lage war, so mit jemandem zu sprechen. Seine Stimme klang wie die eines Herrschers.
Die Wache gehorchte sofort und sperrte die Tür auf. Ich blieb sitzen. Die Befehle der Königin zählten für mich nicht.
„Na komm, du hast die Königin gehört. Du wirst im Thronsaal erwartet." Seine Stimme wurde wieder sanfter, als er mit mir sprach. Was ich erstaunlich fand, war die Tatsache, dass er von der Königin sprach, nicht von seiner Mutter. Ich würde nie auf die Idee kommen, mit jemandem über den Kaiser zu reden. Er war mein Vater. Die Menschen, die mir normalerweise gegenüberstanden, wussten das. Ich tat es als Eigenart des Südens ab.
Ich erhob mich schließlich. Sitzen zu bleiben würde nichts bringen. Früher oder später würde mich sicher jemand tragen. Das wollte ich unter allen Umständen verhindern. Bevor ich allerdings auch nur einen Schritt tun konnte, sackte ich wieder zusammen.
Die Tür zu meiner Zelle wurde aufgerissen und der Prinz stand direkt vor mir. Dann zögerte er, als wüsste er nicht, was er tun sollte. „Geht es dir gut?", fragte er. Gleichzeitig streckte er mir die Hand hin, um mir wieder auf die Beine zu helfen.
„Königliche Hoheit, wenn man auch nur eine Nacht im Kerker verbringt, werden einem die Knochen schwer und die Muskeln gehorchen einem nicht mehr.", erklang die Stimme aus der Zelle nebenan.
Ich beobachtete, wie der Prinz kurz zu dem alten Mann rüber schaute. Er nickte. Dann tat er etwas, was mich sehr überraschte. Er griff nach meinem Arm und legte diesen um seine Schulter. Seinen eigenen Arm schlang er um meine Hüfte. So konnte er mich stützen und ich nicht fallen. Die Wachen beobachteten dies mit Argwohn.
Auf dem Weg zur Treppe beobachtete ich immer wieder aus dem Augenwinkel den Prinzen. Warum tat er das? Warum bestand er darauf mir zu helfen? Er hätte einer der Wachen einfach befehlen können, mich zu stützen. Der Blick der Wachen verriet mir, dass ich nicht die Einzige war, die sich das fragte.
„Da du gleich meiner Mutter gegenüberstehen wirst, werde ich dir einen Rat geben.", begann Arthus wieder zu reden. „Rede mit ihr. Gestern Abend sagte sie, dass du für diesen Krieg wertlos bist. Wenn du ihr also auf ihre Fragen antwortest, wird sie dich gehen lassen." Beinahe zuckte ich bei dem Wort wertlos zusammen. Wie konnte er es wagen, mich als wertlos zu bezeichnen? Doch solange ich Kelley war, musste ich damit leben, dass ich genau das war. Für den Krieg hatte ich als Tochter eines Kaufmanns keine Bedeutung. Die Frage, ob mich die Königin aus dem Grund gehen lassen würde, blieb trotzdem bestehen. Ich konnte sie schlecht einschätzen und nur auf das verlassen, was ich über sie gehört hatte, wollte ich mich in meiner derzeitigen Lage nicht. Ich entschied mich gegen den Rat des Prinzen und würde weiter schweigen.
„Kannst du allein die Treppen hinauf gehen?", fragte er, als es an der Zeit war, diese emporzusteigen.
Ich nickte, ohne zu wissen, ob es tatsächlich klappen würde. Auf Hilfe angewiesen sein zu müssen, fühlte sich nicht gut an. Ich löste mich von ihm und trat den ersten Schritt allein. Ich tat es zögerlich, da ich nicht sicher war, ob meine Füße mein Gewicht wieder halten konnten. Ich ging also vorsichtig Stufe für Stufe die Treppe hinauf. In meinem Kopf ging ich währenddessen unzählige Fluchtmöglichkeiten durch. Keine davon schien auch nur ansatzweise umsetzbar zu sein. Ich kannte das Schloss nicht. Auch schien es mir unmöglich mich unbewaffnet gegen einen Prinzen und zwei Wachen zu behaupten. Davon abgesehen, dass noch mehr Wachen kommen würden, sollte ich auch nur den Versuch eines Angriffs oder einer Flucht wagen. Die Königin war also meine beste Option.
Am oberen Ende der Treppe angekommen, schaute ich mich neugierig um. Ich stand in einem sehr breiten, hellen Gang. Die Wände waren von unterschiedlichen Rüstungen gesäumt und jede Rüstung hatte eine andere Fahne bei sich. Die Ruhmeshalle. Ein solchen Raum gab es auch bei uns im Palast. Die Rüstungen gehörten zu besiegten Feinden. In der Ruhmeshalle des Palastes standen die gleichen Rüstungen wie an diesem Ort. Lathetia war bis zu dem noch anhaltenden Krieg immer ein Land gewesen. In beiden Herrschersitzen wurden die Siege also ausgestellt.
Hinter mir tauchte der Prinz auf und bedeutete mir, den Gang zwischen den Rüstungen hindurchzulaufen. Ich tat genau das. Weit kam ich allerdings nicht. Am Ende der Reihe von Rüstungen stand eine tiefschwarze Rüstung. Eine solche Rüstung stand in der Ruhmeshalle des Palastes nicht. Es war eine von unseren Rüstungen. Ich ging darauf zu und blieb genau davorstehen. Die Rüstung von General Gouo., hauchten meine Gedanken ehrfurchtsvoll. Er war der erste Mann gewesen, den ich in einer solchen Rüstung gesehen hatte. Damals war ich noch sehr klein gewesen, trotzdem erinnerte ich mich genau daran. Ich war so beeindruckt von den vielen Zeichnungen auf der Rüstung gewesen. Ein paar Jahre danach wurde der General von Soldaten der weißen Armee entführt und wir hatten nur eine Nachricht bekommen, dass er gehängt wurde. General Montero hatte daraufhin seine Nachfolge angetreten.
„Das hier ist die Ruhmeshalle. Die Rüstungen stammen von den Feinden, die Larthetia im Krieg besiegt hat.", hörte ich hinter mir die Stimme des Prinzen. „Mutter sagt, dass die Flagge zu dieser Rüstung hinzugefügt wird, wenn der Krieg vorbei ist.", fügte er hinzu. Ich nickte als Zeichen, dass ich ihn gehört hatte. Er schien zu vergessen, dass ich auf die Seite dieser Rüstung in diesem Krieg gehörte. Ich schaute zu ihm. Er aber sah an mir vorbei auf die schwarze Rüstung. Etwas in seinen Augen verriet mir, dass ihm durchaus bewusst war, dass auch wir den Krieg gewinnen könnten und dann eine weiße Rüstung im Palast stehen würde.
Er bemerkte meinen Blick, der immer noch auf ihm lag. „Hier entlang." Er zeigte den Gang weiter hinunter.
Vor einer großen Holztür blieb er schließlich stehen. „Hier musst du rein. Ich werde allerdings nicht mitkommen. Mutter schickt mich sowieso raus."
Ich musste lächeln. „Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?" Ich flüsterte nur. Er schaute mich verblüfft an. Sicher hatte er nicht damit gerechnet, dass ich zu sprechen beginnen würde. Er nickte dann aber. Ich blieb allerdings stumm und schaute auf die Wache, die viel zu dicht stand für meinen Geschmack. Der Prinz verstand zum Glück sofort und schickte diese weiter weg. „Mein Name ist Kelley." Das Flüstern behielt ich trotzdem bei. Dann ging ich auf die hölzerne Tür zu.
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Larthetia
FantastikLarthetia war im Krieg - mit sich selbst - und das schon seit mehr als zwanzig Jahren. Ein Ende war nicht in Sicht, auch wenn alle Beteiligten des Kämpfens müde waren. Aleria hat nie eine andere Welt als die des Krieges kennengelernt. Sie sehnt sich...