Kapitel 4

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Der Regen prasselte auf die Holzdielen vor meinem Fenster, der Wind rauschte laut durch die Bäume und irgendwo in den Bergen grollte der Donner, als das Sommergewitter über das dunkle Klinikgelände hinwegfegte. Die Vorhänge waren auf meinen Wunsch von der Nachtschwester nicht zugezogen worden und so fiel das schummrige Licht der Außenbeleuchtung nach innen und zeichnete blasse Quadrate auf den Zimmerboden.

Das Krankenzimmer kam mir tagsüber schon viel zu klein vor und ließ mich konstant eine seltsame Enge spüren. Wie ein eiserner Ring lag sie um meinen Brustkorb, der sich bei Einbruch der Dunkelheit langsam zuzog, sodass mir das Atmen schwerfiel, sobald die Wände sich dunkel verfärbten und es draußen so düster wurde, wie ich mich innerlich fühlte.

Ich war an dieses Bett gefesselt und hatte mich meinem Schicksal vollkommen ergeben. Die letzten Wochen waren eine schreckliche Achterbahnfahrt gewesen, die mich an den Rand der vollkommenen Erschöpfung getrieben hatte.

Die Operation war nicht problemlos verlaufen. Das Bein hatte sich schrecklich entzündet und war in eine stabilisierende Schiene gelegt worden, die mich unangenehm drückte. Die Schwellung war so groß, dass ich es so gut wie gar nicht bewegen konnte. Hinzu kam das hohe Fieber, das mich zusätzlich schwächte.

Der Frust über meinen Zustand saß tief, doch mir fehlte die Kraft, ihn laut hinauszuschreien. Stattdessen blickte ich den ganzen Tag teilnahmslos nach draußen, während ich die täglichen Untersuchungen von Ärzten und Krankenschwestern über mich ergehen ließ. Sie sagten alle dieselben aufmunternden Worte zu mir, die in meinen Ohren nur hohl und bedeutungslos klangen.

Was wussten sie denn schon? Sie waren schließlich nicht diejenigen, die hier vor sich hin siechten. Sie gingen nach Feierabend nach Hause zu ihren Familien, trafen sich zum Essen oder verabredeten sich fürs Kino, während ich mich so schrecklich gefangen in meinem eigenen Körper fühlte.

Ein heller Blitz erhellte den Nachthimmel und erleuchtete die Treppe, die direkt in meinem Blickfeld lag und auf die ich den ganzen Tag starrte. Sie führte zu einer Aussichtsplattform und ich fragte mich, ob die Klinikbetreiber insgeheim wohl Sadisten waren. Immerhin erinnerten sie ihre Patienten mit diesem Hindernis Tag für Tag daran, dass niemand von ihnen den Aufstieg schaffen würde.

Am Tag hatte ich sie gezählt. 45 Stufen sah ich allein von meinem Bett aus und so steil, wie der Hang von hier aus wirkte, mussten es weit über 100 sein, bis man oben angekommen war. Nat-chan, die Morgenschwester, hatte mir erzählt, dass man von dort oben einen tollen Blick über die Bucht hatte. Ich liebte zwar das Meer und mit Sicherheit hätte ich die Aussicht genossen, doch in meinem Zustand käme ich nicht einmal bis zur Terrassentür.

Und als wäre dieses unüberwindbare Hindernis nicht schon Hohn genug, hatte jemand ein Schild neben dem Treppenaufgang aufgestellt.

›Wer alles gibt, kommt auch ans Ziel‹, stand darauf und wirkte auf mich wie eine blanke Ohrfeige. Ich wusste aus Erfahrung, dass man sein ganzes Leben für etwas opfern konnte und am Ende trotzdem nichts erreichte.

Und dass, wenn man zu viel wollte, man nur einsam und verlassen in einer Anstalt für ausrangierte Träumer landete - so wie ich.

Ab dem Tag der Diagnose bis zu meinem Abschluss hatte ich nicht mehr am Training teilgenommen. Mir war alles egal geworden. Warum sollte ich noch auf ein Ziel hinarbeiten, das ich nie im Leben mehr erreichen würde? Besser, es mit einem glatten Schnitt hinter mir lassen, statt auf ewig solch sinnlose Altlasten mit mir herumzutragen.

Besorgt hatte mich Herr Takahashi, mein Trainer, aufgesucht und ich hatte gar keine andere Wahl gehabt, als ihm die Wahrheit über meinen Gesundheitszustand zu verraten.

Fallen StarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt