Kapitel 6

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Ich starrte auf den Rollstuhl, als wäre er ein Gegenstand aus dem All. Meine Augen huschten über das graue Metall und dann wieder hoch zu der Person, die dahinter stand. Sie wartete nur darauf, mich auf dieses Ungetüm zu setzen und aus meinem Zimmer zu chauffieren. „Was soll das?", fragte ich gereizt und fixierte Ushijima mit einem Blick, der ihm zu verstehen geben sollte, dass ich nicht dazu bereit war, mich wie ein Rentner durchs Klinikgebäude fahren zu lassen.

„Deine geschwächten Armmuskeln werden dein Gewicht auf dem langen Weg zu meiner Praxis nicht halten können", erklärte er ruhig. „Damit ist es sicherer als mit den Krücken und -"

„Vergiss es!", fiel ich ihm unwirsch ins Wort. Mein gesamtes Inneres sträubte sich dagegen, mich da draufzusetzen.

Es war eine Frage des Stolzes und ein klein wenig der Eitelkeit. Ich hatte seine Hilfe zwar angenommen, aber das hieß noch lange nicht, dass ich mich auf dieses Ding setzen würde.

„Bring mir meine Krücken", befahl ich barsch und verschränkte trotzig die Hände vor der Brust. Ushijima stieß einen tiefen Seufzer aus, schob den Stuhl zur Seite und kam auf mich zu.

Reflexartig hielt ich mich an der Bettdecke fest, denn das letzte Mal, als er so auf mich zugekommen war, hatte er mich raus in den Regen getragen. „Bleib mir ja vom Leib", warnte ich ihn und er blieb abrupt stehen. Offensichtlich hatte ich seinen Plan durchschaut.

„Auf Krücken wirst du ewig brauchen", begann er, doch ich schüttelte uneinsichtig den Kopf. Es war mir egal, wie lange es dauerte. Ich würde dieses Zimmer auf meinen eigenen zwei Beinen verlassen und nicht auf dem Rolli für Rentner.

Doch das sah mein Therapeut ganz anders. Mit vor der Brust verschränkten Armen starrte er mich mahnend an. „Oikawa, du hast jetzt zwei Möglichkeiten", sagte er streng und sein Tonfall reizte mich, ihm direkt wieder ins Wort zu fallen, doch ich hielt mich zurück.

„Entweder du setzt dich in den Rollstuhl und ich fahre dich in meine Praxis, oder..." Er machte eine kleine Pause, da ich bereits stur mit dem Kopf schüttelte. „Ich trage dich", schloss er und sah mich abwartend an.

Ich geriet ins Wanken. Die bloße Vorstellung, auf seinen Armen an allen Krankenschwestern, Ärzten und anderen Patienten vorbei getragen zu werden, trieb mir die Röte ins Gesicht. Da war mir der Rollstuhl plötzlich 1.000 Mal lieber, aber so schnell wollte ich nicht kleinbeigeben.

„Und was ist, wenn ich beides nicht will?", fragte ich und rekte kampflustig das Kinn in die Luft.

„Dann geh ich wieder und du versauerst einen weiteren Tag hier im Bett."

Die Vorstellung,noch mehr Zeit sinnlos in diesem Zimmer zu vergeuden, gefiel mir ganz und gar nicht. Mein Fieber war seit Kurzem verschwunden und zum ersten Mal seit Wochen fühlte sich mein Kopf klar und wach an. Auch die Schwere in meinen Gliedern hatte etwas abgenommen - es war, als käme ich langsam zu mir. Als erwachte ich aus einem langen Schlaf.

Mein unfreiwilliger Ausflug in den Regen hatte mich wachgerüttelt. Ich sprühte förmlich vor Tatendrang und wollte so schnell wie möglich zurück aufs Spielfeld und so fiel mein Blick erneut auf den Rollstuhl und dann sah ich Ushijima wieder an.

Die Erinnerung, wie er seinen Arm um meinen Körper gelegt und sich seine durchtrainierte Brust an meinen Oberarm gedrückt hatte, war schwach, aber sie war immer noch da. Ich hatte die Härte seiner Muskeln und die Wärme seiner Fingerspitzen durch den dünnen Stoff meines Pyjamas deutlich auf meiner Haut gespürt.

Die körperliche Nähe zu ihm war nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich konnte nicht abstreiten, dass mein ehemaliger Rivale gewisse körperliche Vorzüge hatte, die mich nicht ganz kalt ließen, und so kam das Hinaustragen überhaupt nicht in Frage.

Fallen StarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt