Kapitel 2

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Irgendwann stand ich auf der Straße vor der Arztpraxis. Ich erinnerte mich nicht wirklich, wie ich dort hingekommen war. Ich agierte wie in Trance, konnte, wollte das alles einfach nicht wahrhaben. Ich hielt Ausschau nach einem freien Taxi, das mich nach Hause fahren würde.

Ich lehnte mich gegen die Hauswand und verlagerte mein Gewicht auf mein linkes Bein, um mein rechtes zu entlasten. In der einen Hand umklammerte ich den Griff meiner Krücke, in der anderen hielt ich den Umschlag mit den Formularen für die anstehende Operation fest. Mein persönliches Worst-Case-Szenario war eingetreten. Meine letzte Chance, doch noch Profivolleyballspieler zu werden, war soeben in unerreichbare Ferne gerückt.

Ich winkte ein vorbeifahrendes Taxi heran. Der schwarze Wagen hielt vor mir und ich stieg ein. Ich wollte nur noch nach Hause und mich unter meiner Bettdecke verkriechen. Vielleicht würde ich dann aus diesem wahrgewordenen Alptraum aufwachen. Doch während ich im Taxi saß, traf mich die gesamte Dimension der Diagnose wie eine Abrissbirne.

Ich würde nächsten Monat meinen Abschluss machen und stand dann mit leeren Händen da. Ich hatte keinen Verein, der mich unter Vertrag nehmen wollte, und selbst wenn ich bereits einen unterschrieben hätte, würde ich die nächsten Wochen, wenn nicht sogar Monate, ausfallen. Welcher Verein würde einen Spieler verpflichten, der nur auf der Ersatzbank saß?

Zum jetzigen Zeitpunkt konnte mein Arzt mir nicht einmal sagen, welche Auswirkungen der Eingriff auf mein Bein hatte und wie lange ich für die Genesung brauchen würde. Ich spürte, wie ich in ein tiefes Loch fiel.

So hatte ich mich zuletzt am Ende meiner Oberstufenzeit gefühlt, als mein Team der Aoba Johsai, das Spiel gegen die Karasuno Oberschule verloren hatte und mir die letzte Chance auf die nationalen Meisterschaften genommen worden war.

Nach einer kurzen Fahrt hielt der Wagen vor dem Studentenwohnheim meiner Uni. Der Campus war leer, es war schon spät und ich fragte mich, ob Iwa-chan schon zu Hause war. Er war mein Mitbewohner, mein bester Freund, mein Lebenspartner und wie ich Sportstudent. Nur lag sein Fokus auf der Trainerebene, während ich mich mehr mit der Sportart auseinandergesetzt hatte.

Ich konnte es kaum erwarten, mich in seine Arme zu werfen und ihm mein Leid zu klagen. Ich war mir sicher, er würde mich mit einer kleinen Neckerei aufmuntern. Ich sehnte mich plötzlich nach ihm, so schnell es auf Krücken ging, beschleunigte ich mein Humpeln und schloss einen kleinen Moment später, die Tür zu unserem Zimmer auf.

Die Wohnheimzimmer waren nicht sehr geräumig und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Doch die einfache Ausstattung, der enge Raum und die viel zu dünnen Wände hatten uns nie gestört. Denn dieses Zimmer war unser eigenes kleines Reich, in dem es nur uns beide gab.

Die letzten vier Jahre waren die besten meines Lebens gewesen und dass ich jetzt, einen Monat vor meinem Abschluss, vor dem Scherbenhaufen meiner Existenz stand, kam mir so surreal vor.

Ich schlüpfte aus meinen Schuhen, stellte die Krücken am Eingang ab und ging durch den kleinen Flur in das angrenzende Zimmer, das uns als Wohn-, Schlaf-, Ess- und Arbeitszimmer diente. Iwaizumi saß an seinem Schreibtisch, stand aber auf, als er mich hineinkommen hörte.

Ich brauchte nichts zu sagen. Ein Blick in mein Gesicht genügte ihm, um alles zu wissen. Und als er mich mit einer fließenden Bewegung in seine starken Arme zog, konnte ich nicht mehr länger die Tränenflut zurückhalten.

Ich vergrub meine Nase in seiner Halsbeuge, schniefte und schluchzte hemmungslos, während der Schmerz und die Enttäuschung wie Wellen über mir zusammenbrachen. Tröstend strich er mir immer wieder über den Rücken, murmelte beruhigende Worte, deren Sinn ich nicht erfassen konnte.

Gerade war ich nur im Stande, mich an ihm festzuhalten, während um mich herum alles auseinander driftete.

Iwa-chan wuchtete mich hoch und trug mich zu seinem Bett. Behutsam platzierte er mich auf der Matratze und legte sich neben mich. Das Bett war schmal und wir passten gerade so zusammen hinein. Ich kuschelte mich erneut an ihn und er zog mich fest in seine Arme. Er bettete meinen Kopf auf seinem Oberarm, während er mit seinen Fingerkuppen der anderen Hand über meinen Rücken fuhr.

Fallen StarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt