Kapitel 9

782 32 20
                                    

In der einen Hand hielt ich den kleinen Zettel mit der Wegbeschreibung zu Ushijimas Wohnung, während ich in der anderen die Tüte mit den Snacks trug, die ich in dem kleinen Kliniksupermarkt besorgt hatte.

Etwas in beiden Händen zu tragen und mich dabei gleichzeitig vorwärts zu bewegen, war ein völlig neues Gefühl für mich, war ich doch ein halbes Jahr lang auf Krücken durch die Gegend gehoppelt.

Meine noch etwas holprigen Schritte verhallten leise auf dem dunklen Asphalt und ich bog, wie auf der kleinen Zeichnung beschrieben, rechts in einen kleinen Seitenarm ein. Der Weg führte mich weg von den Klinikgebäuden und ließ mich Richtung Waldrand laufen.

Die tiefstehende Herbstsonne ging langsam unter und färbte das bunte Blattwerk in ein strahlendes Meer aus Rot, Orange und Gelb. Tief atmete ich die würzige Luft ein und die Vorfreude auf den gemeinsamen Abend mit Ushijima summte leise durch meinen ganzen Körper.

Zielstrebig bewegte ich mich auf die kleine Häuserreihe am Fuße des Waldes zu und steuerte direkt das in der Mitte an, passierte das kleine weiße Gartentor und stand keinen Augenblick später vor einer hellen Holztür.

Schnell stopfte ich den Zettel in meine helle Manteltasche, überprüfte den Sitz meines weißen Kaschmir-Pullovers, den ich zu meiner dunkelblauen Stoffhose trug, und fuhr mir noch einmal kurz durch die hellbraunen Haare, bevor ich anklopfte.

Mein Herz schlug aufgeregt in meiner Brust, als sich von drinnen Schritte näherten, und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Ein leckerer Geruch nach Gemüse, Ingwer und Sojasoße wehte mir entgegen, doch meine ganze Aufmerksamkeit galt dem Mann, der vor mir stand.

Ushijima trug eine schwarze Jeans und dazu einen moosgrünen Pullover, der seinen etwas dunkleren Teint gut zur Geltung brachte. Sein Outfit bildete in meinem Kopf einen angenehmen Kontrast zu seiner hellen Uniform, die ich sonst nur an ihm kannte.

Ich riss mich von seinem Anblick los und hielt ihm zur Begrüßung, sowie er es bereits bei mir getan hatte, die Tüte vor die Nase. „Arigato – für die Einladung. Ich habe uns Snacks mitgebracht", stieß ich nervös hervor und versuchte mich an einem kleinen Lächeln, das Ushijima allerdings nicht erwiderte.

„Danke", murmelte er und trat mit einer einladenden Geste zur Seite. Ich folgte der wortlosen Aufforderung und trat ins Innere.

Leise schloss er die Tür hinter mir und nahm mir die Tüte sowie meinen Mantel ab. Als er Letzteren sicher an der Garderobe verstaut hatte, lehnte ich mich ihm erwartungsvoll entgegen. Das Flattern in meiner Brust vibrierte laut. Jetzt, wo wir endlich wieder alleine waren, hätte ich nichts dagegen, gleich zum Dessert überzugehen und ihn ins Schlafzimmer zu locken, die störenden Klamotten von seinem mehr als attraktiven Köper zu schälen und dort weiterzumachen, wo wir heute früh gezwungen waren, aufzuhören.

Doch als Ushijima meine Lippen nur für einen flüchtigen Kuss einfing, erstarb das Kribbeln schlagartig. Irritiert suchte ich seinen Blick, versuchte zu erahnen, was los war, doch er wich mir aus. „Das Essen wird kalt", sagte er, trat um mich herum und ging ins Wohnzimmer. Mit einem beklemmenden Gefühl, das wie ein Knoten in meiner Brust saß, folgte ich ihm.

Der Wohnbereich war ein großer heller Raum mit einer offenen Küche, einem Esstisch, an dem vier Personen sitzen konnten, einem gemütlichen Sofa und einem übergroßen Fernseher, der an der Wand befestigt war. Der Raum wirkte, wie schon die Praxis, unnatürlich sauber und auch hier gab es nichts, was auf Ushijimas Volleyballvergangenheit hindeutete.

Stattdessen zierten hohle, unpersönliche Dekoelemente die Regale, die man aus den Möbelkatalogen kannte und die dem ganzen Zimmer einen unpersönlichen kalten Touch gaben. Die sterile Atmosphäre war auf eine seltsame Weise erdrückend und ich hatte erneut den Eindruck, lebendig begraben worden zu sein.

Fallen StarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt