Kapitel 8 - Taejoo

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Meine Laune ist total im Keller. Missmutig sitze ich in einer der Unibibliotheken an einem Tisch am Fenster und starre hinaus. Über meine Kopfhörer begleiten mich die Klänge eines Klaviers und die wehmütige, träge Melodie passt perfekt zu dem Regenwetter in meinem Kopf. Und den Kopfschmerzen. Wie konnte ich die vergessen?

„Tae?" Eine Hand mit rot lackierten Fingernägeln erscheint in meinem Blickfeld.

„Hm?" Ich ziehe mir die Kopfhörer aus den Ohren und löse meinen Blick von dem bunten Treiben auf dem Campus, das ich noch bis eben beobachtet habe.

„Du sollst lernen, nicht träumen." Holly sieht mich über ihre Brille, die sie immer zum Lesen aufhat, streng an. Vor ihr ausgebreitet liegen all die Bücher, die sie für ihr Meteorologie-Studium braucht „Wenn du so weiter machst, werden deine Noten noch schlechter."

Ich seufze. „Das ist mir durchaus bewusst."

Ihr Blick wird weicher. „Du hast dir sonst mehr Mühe gegeben. Was ist los?"

Wie soll ich beschreiben, was ich fühle? Wie soll ich ihr sagen, dass ich müde bin, aber nicht schlafen kann? Dass ich mich fühle, als würde ich durch Nebel waten und dass mein eigenes Leben mir so unendlich weit weg erscheint? „Ich werde jetzt lernen." Entschlossen schlage ich mein Buch auf irgendeiner Seite auf. „Siehst du?"

„Falsches Thema", wirft George wenig hilfreich von der Seite ein. „Da sind wir noch nicht."

Ich traue mich nicht zu fragen, bei welchem Thema wir sind, also linse ich zu ihm herüber. Alles, was da auf den Seiten steht, sagt mir absolut gar nichts. Ich merke, wie mein Herz beginnt schneller zu schlagen, als mir bewusst wird, wie weit ich mit dem Stoff hinterherhänge. Es ist mir schleierhaft, wie ich das je wieder aufholen soll.

„Hey..." George nickt mir aufmunternd zu. „Wenn du Hilfe brauchst, dann kann ich dir helfen. Ich will doch meinen liebsten Mitbewohner behalten."

„Ich bin dein einziger Mitbewohner", entgegne ich nur. Doch innerlich... Innerlich kann ich gar nicht in Worte fassen, was es mir bedeutet, dass er mir helfen würde. Wenn ich den Mut hätte, um Hilfe zu bitten, heißt das. Ich fühle mich schon schlecht genug, dass er mir während der Vorlesungen immer alles erklären muss. Die beiden sind weitaus schlauer als ich und alles, was ich kann, ist wahnsinnig schnell zu rennen. Das und Klavier spielen. Wobei ich vermute, dass ich es inzwischen verlernt habe. Mein altes Klavier steht noch in dem Haus in Japan und es würde mich nicht wundern, wenn mein Vater es kurz und klein geschlagen hat, nachdem wir weg waren. Seitdem hatte ich nie wieder die Gelegenheit zu spielen.

„Eben." Er schlägt mein Buch für mich an der richtigen Seite auf und schiebt seine Notizen zu mir rüber. „Und ich kann nicht riskieren, dass du rausfliegst und mich hier mit meiner verrückten Schwester alleinlässt."

„Ey!" Holly wirft mit einem Stift nach ihm, doch George fängt ihn grinsend.

Die beiden zanken noch eine ganze Weile weiter und ich mache schnell Fotos von Georges Aufzeichnungen, damit ich sie später abschreiben kann. Heute ist Freitag und nach dem Lernen wollen sie zu ihren Eltern außerhalb der Stadt fahren. Ich habe also ein ereignisloses Wochenende vor mir und somit viel Zeit zum Lernen und meiner Mutter im Restaurant zu helfen.

Nach zwei Stunden verabschieden sie sich von mir und lassen mich hier zurück. Ich bin immer noch damit beschäftigt mir Notizen zu machen und zu versuchen den Stoff der letzten Wochen nachzuholen. Sehnsüchtig schaue ich immer wieder zu meinem Handy, doch ich zwinge mich konzentriert zu bleiben. Nebenbei nippe ich an meinem mittlerweile dritten Kaffee und trotzdem mein Herz etwas beunruhigend rast, fühle ich mich ganz gut. Ich bin produktiv und tue etwas für mein Studium. Das ist doch gut, oder?

Moon LoversWo Geschichten leben. Entdecke jetzt