Sorge

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Als Johanna endlich ihren Kopf wieder vom Bildschirm hob, bemerkte sie, wie die Sonne bereits daran war unterzugehen und sich allmählich hinter den Häusern zu verstecken.
„Meine Fresse...tief ins Darknet einzutauchen ist echt eine Ablenkung für sich...", stöhnte sie und rieb sich die Augenlider.
„Solange du dich nicht von einem Hübschling ablenken lässt...", knurrte Philipp hinter seinem Desktop hervor und Johanna drehte sich ruckartig zu ihrem Kollegen um und legte ihre Beine so hart auf den Tisch, dass Philipp von dem lauten Geräusch aufschreckte.
„Okay, jetzt mal ernsthaft Phips. Was soll die Scheisse?!", fragte Johanna direkt und der Angesprochene zog eine Augenbraue hoch. „Was meinst du denn damit?", fragte Philipp herausfordernd zurück und Joschi lehnte sich in den Stuhl zurück.
„Seit du Elias gesehen hast, bist du total abweisend und richtig knurrig zu mir. Sollte dich der „Bruder-Feix" angegriffen haben, tut's mir leid, aber mich deswegen jetzt den ganzen langen Nachmittag anzuschweigen und auf nichts einzugehen...."
„...das hat nichts damit zu tun...", brummte Philipp und Johanna stampfte mit den Füssen auf den Boden und klatschte in die Hände. „Mit was denn dann?! Heute Morgen war noch alles Friede, Freude, Eierkuchen und dann..."
Mit einem Seufzen löste sich Philipp vom Bildschirm und der Tastatur und sah Johanna das erste Mal seit Stunden direkt in die Augen.
„Es ist...", begann Philipp und atmete tief durch, als er Johannas erwartungsvollen Blick sah, „...ach, du findest das sicher dämlich!"
„Kommt darauf an. Wenn du mir weiß machen willst dass Tofu wirklich so lecker ist, wie du immer behauptest..."
„...nein!", stöhnte Philipp und winkte ab. „Vergiss' es!"
„Philipp...mach mir jetzt bitte keine Angst. Du kennst meine Sexualität und nichts ändert das. Ich mag dich aber nicht so und..."
„...nein! Du bist auch gar nicht mein Typ!", antwortete Philipp sofort und Johanna zog eine Augenbraue hoch. „Okay, nun fühle ich mich doch leicht beleidigt!", zog sie eine Schnute und bemerkte dann, dass Philipp Luft holte.
„Robert hat mir erzählt was für Gedanken du dir gemacht hast, als du krankgeschrieben warst...", gab Philipp leise zu und Johanna stutzte zunächst. Sie musste die unzähligen Stunden, Tage und Wochen in ihrem Kopf durchgehen lassen, bis sie endlich die passende für den Satz fand. Und sofort erwärmte sich ihr Herz und ihr konfuser Blick wurde warm und gerührt.
„Um Himmels Willen Philipp!", lachte sie und sah ihn mit einem Kopfschütteln an, „...und du denkst, weil Elias da ist..."
„...ist dir der Gedanke nicht in den Kopf gesprungen?", fragte Philipp direkt und Joschi stand auf. Sie ging auf Philipp zu und setzte sich auf die Ecke seines Schreibtisches.

„Hör mal, Großer", begann sie und legte eine Hand auf Philipps Schulter, „...ja ich hatte eine sehr dunkle Zeit und habe mir viel Gedanken gemacht. Da ich mich um Robert gekümmert hatte und mich zuerst der Therapeutin nicht öffnen konnte, ist mir in einem schwachen Moment alles rausgesprudelt. Ja, ich hatte mir Gedanken gemacht. Ich hatte überlegt, das Team zu verlassen. Aber nicht, weil ich euch nicht mag oder weil es mir hier nicht gefällt: Ich hatte so einen Schiss, diese Angst die nach der Geiselnahme in mir war nicht überwinden zu können. Ich hatte Angst, dass ich ein Hindernis für euch alle sein würde. Ich wollte kein Stolperstein sein. Robert hat mir den Gedanken dann aber schnell aus dem Kopf geschlagen. Ich will hier ein paar Jahre sein. Von euch allen lernen. Ich bin gerade mal seit einem Jahr Kommissarin. Und hier habe ich die beste Möglichkeit, mich zu steigern. Zudem habe ich hier endlich mein Team, meine Familie gefunden.  Hier kann ich die sein, die ich bin. Vor allem mit einem Büropartner, von dem ich am wenigsten erwartet hätte, dass er mich so ebenbürtig und gut behandelt!"

Mit einem Schniefen, räusperte sich Philipp und lehnte sich im Stuhl zurück. „Tofu ist trotzdem lecker! Außerdem weißt du ja, dass ich das nicht ganz freiwillig mache!"
Johanna erwiderte Philipps Lächeln und puffte ihm in die Schulter. „Kannst mich trotzdem nicht von überzeugen", zwinkerte sie mit einem Auge und hob die offene Hand, was Philipp verstand. Er schlug ein und die Beiden umarmten sich.
„Und das nächste Mal, sprich mich direkt an. Du solltest doch am Besten wissen, dass ich nicht beiße", sagte Johanna als sie sich löste und warf Philipp den Football zu, den Robert bei ihnen im Büro vergessen hatte.
„Ist notiert", entgegnete Philipp nachdem er das Ei gefangen hatte und sah auf, als es am Türrahmen klopfte und Michael hineinschaute.
„Leute, Schluss für heute", kündigte er an, „Max wird mit der Nachtschicht übernehmen. Die Anderen sind auch nach Hause. Ladet die Batterien auf und dann geht's morgen früh weiter.", kündigte er an und Joschi, sowie Philipp nickten.
„Zeit, nach Hause zu gehen, in dem Fall", sagte Joschi und fuhr ihren PC hinunter, nahm aber, wie Philipp auch, das Tablet und packte es ein.
„Bierchen bei mir und wir suchen noch ein bisschen weiter?", verstand Philipp sofort und Joschi grinste. „Da sag' ich nicht nein!" , stimmte sie zu und klimperte mit ihrem Wagenschlüssel. „Ich fahre. Kann ich dich morgen ja wieder mitnehmen!"
„Wie du möchtest. Und wenn's zu lange dauert: Ich hab' ne gemütliche Schlafcouch!", sagte Philipp und gemeinsam gingen sie, nachdem sie sich die Jacken angezogen hatten, zum Fahrstuhl den sie nahmen, um ins Parkhaus zu gelangen.

„Ich find's schön, dass sich mal jemand nicht über einen Fahrstil beschwert!", seufzte Johanna, als sie und Philipp gemeinsam auf ihren schwarzen Mini GT liefen und Philipp sah sie verdutzt an. „Robert und Elias haben sich heute Mittag darüber lustig gemacht", erklärte sie beleidigt und Philipp grinste. „Nun ja, er ist schon eigen", musste er zugeben und konnte sich einen Lacher nicht verkneifen, als Joschi ihn mit grimmigen Blick ansah.
Jedoch wurde das Schauspiel jäh beendet, als sie den Funkschlüssel betätigte und die Scheinwerfer ihres GTs zwar kurz aufleuchteten, aber keine Entriegelung zu hören war.
„Hast du vergessen abzuschließen?", fragte Philipp verwundert und Johanna sah ihn ebenso verwirrt an. „Tu ich eigentlich nie", murmelte sie nachdenklich und sie liefen auf den Wagen zu, wo Philipp sich umsah und dann seine Kollegin anhielt.
„Blut...!", flüsterte er und zeigte auf den Boden, der zum hinteren Teil des Wagens führte. Tatsächlich, waren rote Punkte auf dem Beton zu erkennen.
„Was zum...?" Johanna zog gemeinsam mit Philipp die Waffe hervor und während Philipp die Hand zum Türgriff bewegte, zählte er leise einen Countdown hinunter und als er fertig war, riss er die Türe sofort auf, woraufhin er und Johanna sofort die Waffen in Anschlag nahmen.
„Ach du Scheisse", flüsterte Philipp, als er jedoch sah, was das Innenlicht des Wagens anleuchtete und auch Johanna, steckte ihre Waffe sofort ein.
Elias saß halb liegend auf der Rückbank und hatte ein Stück Stoff seinen rechten Oberarm gepresst. Das Tuch war mit Blut vollgesogen und Johannas früherer Kollege war kreidebleich und in Schweiß getaucht. Die Kleidung, die Philipp sonst nur von Parcours-Läufern kannte, war verdreckt und zum Teil zerrissen.
„Bitte", flüsterte Elias, als sich seine halboffenen Augen auf die Kommissare richteten, „helft mir!"

Aus der Asche - K11 die neuen FälleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt